Kreis Paderborn. Es ist der 10. Oktober 1993 gegen 22.30 Uhr. Am Futterweg zwischen Paderborn-Dahl und Grundsteinheim in Lichtenau wird eine Frau schwerstverletzt am Straßenrand gefunden. Wenig später stirbt sie im Krankenhaus.
Wer die Tote ist, bleibt zunächst unklar. Wenige Tage später stellt sich heraus: Es handelt sich um die 41-jährige Martina B. (alle Namen geändert). Sie war am Sonntagabend mit ihrem Auto aus Warstein in Richtung Paderborn unterwegs. Dort kommt sie nie an, von ihrem blauen VW Golf 2 fehlt jede Spur.
In der neuen Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, spricht Moderatorin Birgitt Gottwald mit dem damals ermittelnden Oberstaatsanwalt Ralf Vetter. Er war vor über 20 Jahren auch der Ankläger bei dem folgenden Prozess vor dem Paderborner Landgericht.
Der Tod von Martina B. – der Fall im Überblick
- Martina B. ist am Sonntagabend in ihrem Auto von Warstein nach Paderborn unterwegs.
- Gegen 22.30 Uhr wird sie schwer verletzt am Straßenrand gefunden – ihr Auto ist verschwunden.
- Wenig später stirbt die 41-Jährige im Krankenhaus.
- Die Obduktion zeigt: Martina B. wurde mehrmals von einem Auto überfahren.
- Die Ermittlungen in dem Fall werden 1993 eingestellt, der Fall Martina B. wird zum Cold Case.
- 2004 untersucht die Paderborner Polizei den Fall erneut.
- Blutspuren an Martina B.s Jacke führen die Ermittler zu einem neuen Verdächtigen – Manfred D.
- Ein Jahr später kommt es zum Prozess vor dem Paderborner Landgericht.
- Aufgrund verschiedener Indizien wird Manfred D. wegen Totschlags zu neun Jahren Haft verurteilt.
Das passierte am Abend des 10. Oktobers 1993
Martina B. ist Sozialpädagogin und arbeitet seit drei Jahren als Leiterin beim Jugendamt in Warstein. Am Sonntagabend, 10. Oktober 1993, ist die 41-Jährige von einer Dienstreise auf dem Weg nach Hause. Gemeinsam mit ihren Kollegen war sie auf einer Veranstaltung in Wurzen bei Leipzig (Sachsen) unterwegs.
Martina B. fuhr an jenem späten Abend erst nach Warstein, um dort ein paar ihrer Kollegen abzusetzen. Von da aus will sie kurz vor neun Uhr nach Hause fahren, nach Paderborn. Sie soll ihren üblichen Weg über Süttrop, Rüthen und Büren gefahren sein. Später finden Anwohner sie schwer verletzt am Straßenrand in der Lichtenauer Ortschaft Grundsteinheim.
Tod von Martina B. – Unfall wird schnell ausgeschlossen
Aufgrund der Art der Verletzungen der Frau ist den Ermittlern schnell klar: Es handelt sich hier nicht um einen Unfall. Das Opfer wurde vermutlich mehrmals mit ihrem eigenen Auto überfahren – mindestens zweimal. Als Martina B. gefunden wird, ist ihr blauer Golf 2 jedoch verschwunden.
Nach der Obduktion der Leiche wird eine zwölfköpfige Mordkommission gegründet. Der damalige Oberstaatsanwalt Ralf Vetter erzählt in unserem Podcast: „Ich gehe davon aus, dass deutlich mehr Leute an dem Fall gearbeitet haben. Diese zwölf Leute, die in der Berichterstattung stehen, das wird der feste Stamm gewesen sein.“ Mordkommissionen arbeiten oft mit zahlreichen kleinen Teams, die jeweils bestimmten Ermittlungsaspekten nachgehen. In der ersten heißen Phase der Ermittlungen kann eine Mordkommission personell schnell anwachsen.
Auto der getöteten Frau wurde in Detmold abgestellt
Mehr als eine Woche nach der Tat wird Martina B.’s Golf gefunden: Nur etwa zwei Gehminuten von der Detmolder Staatsanwaltschaft entfernt stand der Wagen auf einem Parkplatz. Bei der Durchsuchung entdecken die Mordermittler, dass unter anderem eine Tasche mit den Papieren des Opfers fehlt. Andere Gegenstände waren für den Täter offenbar nicht interessant, diese hat er liegen lassen – auch einen Frauenparka, der noch eine entscheidende Rolle bei den Ermittlungen spielen wird.
Die Ermittler finden an und in dem Wagen eine Vielzahl von Spuren. Die Spurensicherung sichert sie mithilfe von Spur-Folien, die sowohl DNA-Spuren als auch Fingerabdrücke von den Autotüren und -griffen aufnehmen. Die DNA-Analyse ist 1993 allerdings für die Kripo noch nicht weit entwickelt. Daher fokussieren sich die Ermittler im Fall Martina B. auf die Fingerabdrücke.
Nach der Einstellung wird der Fall neu aufgerollt
Trotz der vielen vorliegenden Spuren und mehrerer Tatverdächtiger können die Ermittler den Fall 1993 nicht aufklären, die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen schließlich ein. Der Tod von Martina B. wird zu einem Cold Case.
Unsere Podcast-Folge aus der vergangenen Woche: Tanz in den Mai endet für 30-Jährigen tödlich
Doch das ändert sich, als die Paderborner Polizei den Fall 2004 neu aufrollt. Elf Jahre nach der Tat untersuchen Kripobeamte die sichergestellten Spuren ein zweites Mal. Und siehe da: Mit modernster Technik können Laborexperten auf dem im Auto gefundenen Parka drei Blutspritzer identifizieren. Damals wurden sie vermutlich für das Blut des Opfers gehalten. Bei der Untersuchung stellt sich heraus: Die Blutspuren stimmen mit einer DNA in der Datenbank überein.
Der Tatverdächtige sitzt bereits im Gefängnis
Die im Blut festgestellte Erbinformation ist bereits in der Datenbank des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden registriert. Die Spur führt die Ermittler direkt zu Manfred D., der sich bereits seit 1995 im Gefängnis befindet.
Das Landgericht Paderborn hatte Manfred D. bereits 1995 zu einer langen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt – wegen mehrfacher Vergewaltigungen, sexueller Nötigungen, Diebstählen und Raubdelikten.
Mehr als zehn Jahre nach der Tat beginnt der Prozess
Aufgrund der nachträglich gefundenen Blutspuren und der geglückten Datenanalyse startet 2005 der Prozess vor dem Paderborner Landgericht. An sechs Verhandlungstagen sind über 20 Zeugen und fünf Gutachter geladen. Der Angeklagte Manfred D. äußert zu Beginn des Prozesses, dass er unschuldig sei. Er benennt ein Alibi, welches aber wenig später in der Verhandlung entkräftet wird. Im weiteren Verlauf äußert sich der Angeklagte dann nicht mehr zu den Vorwürfen.
Trotzdem ist Manfred D. im Gerichtssaal sehr präsent. Ralf Vetter erzählt in der neuen Podcast-Folge, wie er den Angeklagten damals wahrgenommen hat: „Bei dem Täter habe ich eine gewisse Kälte gespürt. Da hat man schon den Eindruck gehabt, dass man jemanden vor sich hat, dem man lieber nicht im Dunklen begegnen möchte.“
Der Tathergang bleibt trotzdem unklar
Der Tathergang sowie das Motiv bleiben aber auch während der Verhandlungen unklar. Der Prozess und die Verurteilung basieren am Ende auf zwei Indizien: dem Blut auf B.’s Jacke und einem Butterfly-Messer, das am Tatort gefunden wurde. Zeugenaussagen haben bestätigt, dass Manfred D. ein ähnliches Messer besaß. Und auch sein Vorstrafenregister war für die Richter bei der Bewertung bedeutend. Sie kamen zu dem Schluss, dass D. der Täter im Fall von Martina B. ist.
Noch mehr True Crime: Unsere Ostwestfälle-Übersichtsseite
Ein Gutachter diagnostiziert bei Manfred D. zwar eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, eine Schuldunfähigkeit hat diese allerdings nicht zur Folge. Und so verurteilt das Gericht den Angeklagten mehr als ein Jahr nach der Tat wegen Totschlags zu neun Jahren Freiheitsstrafe. Zu einer anschließenden Sicherungsverwahrung wegen der besonderen Gefährlichkeit des Straftäters kommt es diesmal allerdings nicht. Zeitlich betrachtet hat Manfred D. mittlerweile seine Strafe abgesessen. Ob er inzwischen – 20 Jahre nach dem Urteil – wieder auf freiem Fuß ist, ist Ralf Vetter nicht bekannt.