Hiddenhausen. Sonntag, 11. Mai 2003, gegen 21.40 Uhr: Ein Anwohner der Schulstraße in Eilshausen wird auf das Grundstück seiner Nachbarin Irmgard B. (Name geändert) aufmerksam. Die Terrassentür ihres Hauses steht offen. Als er näher kommt, sieht er, dass die Rentnerin auf dem Bauch auf dem Terrassenboden liegt. Sie ist tot, wurde ermordet. Neben der 71-Jährigen harrt ihr kleiner Mischlingshund aus – offenbar bereits seit mehr als 20 Stunden, wie sich später herausstellt.
Der Notruf des Zeugen bei der Polizei in Herford löst ein eingespieltes Prozedere aus: Zunächst sperren Polizisten den Tatort nahe der Eilshauser Schule ab. Aus Bielefelder Ermittlern des Kriminalkommissariats 11 und Herforder Kollegen wird eine siebenköpfige Mordkommission gebildet, Spezialisten der Spurensicherung des Polizeipräsidiums untersuchen den Tatort – doch der Fall der früheren Sparkassenmitarbeiterin ist anders als die meisten Frauenmorde im Wittekindsland. Er ist bis heute nicht aufgeklärt, der Täter nach wie vor unerkannt.
In der neuen Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der „Neuen Westfälischen“, spricht Moderatorin Birgitt Gottwald mit dem NW-Reporter Jobst Lüdeking über den Mord an der 71-jährigen Irmgard B., der auch nach 22 Jahren noch ungelöst ist.
Der Mord an Irmgard B. – Der Fall im Überblick
- Irmgard B. wird am 11. Mai 2003 tot auf ihrer Terrasse gefunden.
- Sie wurde mit mehreren Messerstichen getötet.
- Der Täter flieht und ist seitdem spurlos verschwunden.
- 2003 verlaufen alle Ermittlungen ins Leere und der Fall wird trotz DNA-Spur zum Cold Case.
- Im Jahr 2007 wird der Fall wieder aufgerollt und eine DNA-Massenuntersuchung mit 300 Männern veranlasst.
- Auch die DNA-Untersuchungen bleiben ohne Durchbruch.
- 22 Jahre nach der Tat bleibt der Fall ungelöst.
Irmgard B. starb schon am Vortag
„Wir vermuten, dass das Opfer in der Nacht von Freitag auf Samstag getötet wurde“, teilt Ina Leinkauf, damals noch Staatsanwältin, mit. Es könne also sein, dass die Leiche der 71-Jährigen bereits 24 Stunden auf der Terrasse gelegen habe, bis sie gefunden wurde, ergänzt die Kapitaldezernentin, die bei schwersten Verbrechen wie Mord und Totschlag die Ermittlungen leitet. Am Freitagabend, so stellt sich bei der Befragung der Nachbarn heraus, ist Irmgard B. noch lebend gesehen worden. Die Ermittler grenzen den Tatzeitpunkt – auch aufgrund der Obduktionsergebnisse – auf Samstag ein. Die Frau ist erstochen worden, ihr Körper weist mehrere Wunden auf – wie viele es sind und wo sie liegen, ist Täterwissen. Deshalb geben die Ermittler dazu keine Einzelheiten bekannt.
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Fakt ist: Die gebürtige Eilshauserin, die bei einer Bank arbeitete, hat über Jahre allein in dem Haus gelebt, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Der Mord löste damals in Hiddenhausen und Herford Angst aus. Kurz zuvor war die Bewohnerin eines Herforder Seniorenheims vergewaltigt und getötet worden – und nun ist erneut eine Rentnerin umgebracht worden. „Die Bevölkerung hat keinen Grund zur Furcht“, erklärt Herfords damaliger Polizeidirektor Bernd Stienkemeier. Ein sexueller Hintergrund werde nicht vermutet. Die Kleidung des Opfers, so der Chef der Mordkommission, Hartmut Runte, saß korrekt.
Die Suche nach der Waffe im Mordfall Irmgard B.
Unklar ist noch, wo die Waffe zu finden ist, mit der auf die Frau eingestochen wurde. Hat der Mörder sie in der Nähe weggeworfen? Die Ermittler beginnen mit einer großräumigen Suche. Doch die bleibt erfolglos. Auch die weitere Befragung der Nachbarn liefert nicht die Hinweise, die zu einem Durchbruch in dem Fall führen.
Dafür gibt es zumindest einen wichtigen Fund, der bei der Aufklärung helfen kann – es ist eine Gen-Spur, die von dem Mörder stammen könnte und von den Bielefelder Spurensicherungsexperten gesichert wird. Nach mehreren Wochen ohne Durchbruch halten es die Ermittler für durchaus möglich, dass es sich bei dem Mörder um einen reisenden Täter handeln könnte.
Hiddenhausens Ortsteil Eilshausen liegt nah an der Autobahn. Einbrecher, aber auch EC-Kartendiebe und -betrüger nutzen dies aus, begehen ihre Straftaten in der Großgemeinde und verschwinden dann wieder über die nahe Autobahn.
Da die Ermittlungen zunächst nicht weiterkommen, stellt die Mordkommission ihre öffentlich sichtbare Arbeit in Hiddenhausen nach mehreren Wochen ein – so scheint es zumindest. Mord verjährt jedoch nicht. Immer dann, wenn es neue Ansätze für Ermittlungen gibt, werden die Beamten des Kriminalkommissariats 11 in Bielefeld bei bisher ungeklärten Tötungsdelikten wieder aktiv.
Mordkommission kehrt zurück
Im Frühjahr 2007 ist das der Fall. Unter anderem haben sogenannte Fallanalytiker den Mord an der Rentnerin untersucht – die öffentlich bekannt werdenden Details über den Täter beschränken sich unter anderem auf dessen Alter, das auf 18 bis 25 Jahre geschätzt wird. Die Ermittler des KK 11 – diesmal unter der Leitung von Kriminalhauptkommissar Jürgen Heinz – nehmen im Mai erneut ihre Arbeit auf. Mit den Ergebnissen verlegt die Mordkommission am 2. November ihren Sitz in die Kreispolizeibehörde an der Hansastraße.
Offenbar, so eine Hypothese der Ermittler, hat die Frau ihren Mörder dabei überrascht, wie er einbrechen wollte. „Wir konzentrieren uns auf durchreisende Personengruppen“, erklärt Kriminalhauptkommissar Heinz. Eine wichtige Spur, die die Ermittler bisher noch nicht zuordnen können, ist die in der Nähe des Opfers gesicherte DNA-Spur.
Die jeweilige Gensequenz ist bei jedem Menschen – außer bei Zwillingen – einzigartig und noch individueller als ein Fingerabdruck. Sie kann vom Täter stammen, aber auch von Nachbarn oder Bekannten, die bei Irmgard B. zu Gast waren und gar nichts mit der Tat zu tun haben. Die Ermittler gehen deshalb auf Nummer sicher. „Deshalb wollen wir an weitere Nachbarn herangehen, und sie um Speichelproben bitten. Das geschieht auf freiwilliger Basis“, ergänzt Jürgen Heinz damals im Gespräch mit der NW. „So können wir einen Ausschluss bekommen.“
Wie die Männer ausgewählt werden
Wenn die DNA nicht von Nachbarn stammt, heißt das, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit dem Täter gehört, der nach den Ergebnissen der Fallanalytiker zwischen 18 und 25 Jahre alt ist. Bisher schon ist die Eilshauser Gen-Spur im Computer der Polizei gespeichert, ohne dass es einen Treffer unter den weit mehr als 600.000 erfassten DNA-Daten gibt. Im Dezember 2007 läuft die Untersuchung an: 300 Männer werden zum Speicheltest gebeten. Angeschrieben werden Männer, die in das Täterprofil passen, aber auch Männer im sogenannten Kontaktumfeld des Opfers. Die Auswertung der DNA-Tests dauert danach rund drei Monate – einen Treffer gibt es nicht.
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Damit enden die Ermittlungen in Eilshausen vorerst – 22 Jahre nach der Tat ist der Mord an Inge V. damit nach wie vor ungesühnt. Er gehört auch zu den Fällen, die die Bielefelder Ermittler an eine Spezialabteilung des Düsseldorfer Landeskriminalamtes gemeldet haben. Die Erfahrungen aus gleich gelagerten Mordfällen zeigen aber, dass die Zeit in den meisten Fällen gegen den Täter – der jetzt zwischen etwa 40 bis 60 Jahre alt sein müsste – und für die Gerechtigkeit arbeitet.
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