Meinung

Neuer Migrationskurs in NRW: Wüsts Abkehr von Angela Merkel

Der Ministerpräsident vollzieht in diesen Tagen eine politische Kehrtwende, die seinem Koalitionspartner so gar nicht schmecken dürfte, meint unser Autor.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat im Landtag ein Sicherheits- und Migrationspaket vorgestellt. | © David Young

Ingo Kalischek
11.09.2024 | 11.09.2024, 16:03

So schnell kann sich der Wind drehen. Vor einem Jahr noch rollte Hendrik Wüst Ex-Kanzlerin Angela Merkel in Köln den roten Teppich aus – und ehrte sie mit dem NRW-Staatspreis. Merkels damalige Entscheidung, Hunderttausende Geflüchtete ins Land zu lassen, bezeichnete er als „großen Akt der Humanität“, mit dem sich Merkel den „Abschottungstendenzen in Europa“ entgegengestellt habe. Ihre legendären Worte „Wir schaffen das“ machte sich Wüst im Landtag mehrfach zu eigen. Jetzt, nach den Wahlen im Osten und dem Attentat von Solingen, vollzieht er einen politischen Kurswechsel.

Plötzlich spricht er davon, dass kein Land „so viele Menschen“ abschiebe wie NRW. Die Migration sei die „zentrale Herausforderung für das Vertrauen“ der Menschen in den demokratischen Rechtsstaat. Es brauche „substanzielle Veränderungen“, um einen weiteren Vertrauensverlust zu verhindern. Zurückweisungen von Asylbewerbern an deutschen Grenzen sind für Wüst inzwischen okay. „Wir haben verstanden; wir sind fest entschlossen“, sagte er. Das sind ziemlich neue Töne.

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Es ist offensichtlich, dass Wüst und seine Landes-CDU gerade eine Abkehr des Flüchtlings- und Migrationskurses von Angela Merkel vollziehen. Da passte der Versprecher von Oppositionsführer Jochen Ott in der Landtagsdebatte ganz gut ins Bild, als dieser Wüst versehentlich „Herrn Merz“ nannte. Tatsächlich nähert sich Wüsts neuer Sound dem von CDU-Chef Friedrich Merz an. In den vergangenen zwei Jahren war das noch anders: Da war Wüst bemüht, sich öffentlich vom konservativen Merz abzugrenzen – und sich als moderner und liberaler Grünen-Versteher in Szene zu setzen, der den verwaisten Merkel-Wählern eine neue Heimat bot.

Das Maßnahmenpaket in NRW sieht einige bedeutende Änderungen vor

Das scheint nun vorbei zu sein. Das Maßnahmenpaket der NRW-Regierung sieht einige bedeutende Veränderungen in der Sicherheits- und Migrationspolitik vor, die überwiegend auf Zustimmung treffen dürften: ein zweites Abschiebegefängnis in NRW, mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz – und die Vorgabe, dass ausreisepflichtige Asylbewerber künftig bis zur Abschiebung in Aufnahmeeinrichtungen des Landes bleiben müssen. Für die Grünen aber dürften diese und weitere Punkte wohl vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen sein.

Wie schwer dem CDU-Juniorpartner in NRW diese Änderungen fallen, konnte man im Landtag sehen. Einige Abgeordnete verweigerten Wüst während dessen Rede den Applaus – und guckten bedröppelt auf den Tisch. Die schwarz-grüne Harmonie scheint verflogen zu sein.

Wüst nimmt das in Kauf. Der CDU-Politiker verfügt über einen guten politischen Riecher, der Stimmungen in der Bevölkerung verlässlich aufnimmt. Migration hat den Klimaschutz längst als Top-Thema abgelöst. Schwarz-Grün gilt im Bund vorerst als Auslaufmodell. Wüst setzt sich nach anfänglicher Harmonie nun auch in NRW langsam von seinem Koalitionspartner ab.

Das neue Maßnahmenpaket des Landes darf derweil auch als Flucht nach vorne verstanden werden. Denn das Attentat von Solingen hätte auch mit den schon bestehenden Rechtsgrundlagen in NRW verhindert werden können – wenn die Behörden ihren Job gemacht hätten.