Schock für Rentner: Um den neuen Gas-Abschlag zu zahlen, müsste er einen Kredit aufnehmen

Minden. Ein Brief sorgte bei Ortwin Kohring für schlaflose Nächte. Von seinem Anbieter EMB (Energie Mark Brandenburg) erhielt der Rentner die Nachricht, dass sich der Tarif für den Erdgaspreis ändert und er fortan deutlich mehr zahlen müsse. Mit einem Aufschlag hat der Eigentümer eines Einfamilienhauses in Zeiten der Energiekrise zwar gerechnet. Aber dass der so gepfeffert sein würde, hätte er niemals für möglich gehalten. Statt 140 Euro soll er nun 865 Euro pro Monat zahlen, das ist eine Erhöhung um 650 Prozent, und die sei für den Rentner aus Minden finanziell nicht zu stemmen, sagt er. Wie Ortwin Kohring geht es derzeit vielen. Mit den Sanktionen gegen Russland steigen die Preise für die Verbraucher, weil kaum noch Gas über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland gelangt. Während zahlreiche Mieter wohl erst im nächsten Jahr mit hohen Nachzahlungen über die Nebenkostenabrechnungen konfrontiert werden, schließen Eigentümer ihre Verträge direkt mit den Anbietern ab. Bei Kohring war es spezieller, er hatte einen Jahresvertrag mit EMB und konnte vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. &bdquo;Andererseits wäre ich zahlungsunfähig geworden oder hätte einen Kredit aufnehmen müssen.“ Ortwin Kohring und seine Frau haben monatlich etwa 1.500 Euro zum Leben. &bdquo;Da wäre nicht mehr viel übrig geblieben – denn auch die Kosten für Lebensmittel und Strom steigen“, sagt der 78-Jährige. EMB begründet den Aufschlag gegenüber dieser Redaktion damit, dass die Beschaffungspreise für Erdgas erheblich gestiegen seien und die Speicherumlage eingeführt worden wäre. Aber wie kommen die unterschiedlichen Aufschläge der Anbieter zustande? &bdquo;Die Tarife und Preise von Energielieferanten unterliegen keiner staatlichen Aufsicht. Sie können von den Lieferanten selbstständig kalkuliert werden“, erklärt ein Sprecher der Bundesnetzagentur. Die Gründe dafür seien dabei auch die jeweils unterschiedlichen Strategien der Versorger zur Gasbeschaffung und das unterschiedliche Maß, in dem diese von Steigerungen auf den Großhandelsmärkten betroffen wären. Neue Anbietersuche gestaltet sich schwierig Nach dem beendeten Kapitel mit EMB muss sich Ortwin Kohring einen neuen Anbieter suchen – auch das ist nicht einfach. Anders als bei Bestandskunden profitiert er als Neukunde von keiner Preisgarantie. Will er bei den Stadtwerken Minden einen Vertrag abschließen, müsste er aktuell 702 Euro monatlich zahlen, bei Eon wäre die Summe mit 1.267 Euro noch höher, wie er berechnet hat. Andere Stadtwerke, zum Beispiel in Porta, nehmen ihn erst gar nicht auf, da er in Minden wohnt. &bdquo;Angesichts der aktuellen, sich dynamisch entwickelnden Marktsituation ist damit zu rechnen, dass sich für die Endkundenpreise vorerst keine Entspannung zeigen wird“, erklärt ein Eon-Sprecher. "Das ist meine Grenze" Kohrings Alternative bleibt die Grundversorgung, alle anderen Optionen wären zu teuer, in Minden übernimmt sie Eon. Der Gesetzgeber hat dieses System geschaffen, um Verbrauchern eine Basis-Energiebelieferung sicherzustellen – zum Beispiel dann, wenn der Vertrag mit einem vorherigen Lieferanten endet, der vorherige Lieferant ausfällt oder man beim Umzug nicht daran denkt, sich einen Anbieter zu suchen. Der Rentner aus Minderheide geht davon aus, dass er zwischen 450 und 500 Euro für die Grundversorgung zahlen müsse. &bdquo;Das ist meine Grenze, mehr geht nicht.“ Ob das klappt, weiß er nicht, der Konzern hat sich noch nicht bei ihm gemeldet. Eon blickt jedoch voraus, dass die Kosten auch für die Grundversorgung weiter steigen könnten, heißt es von einem Sprecher. Weitere Haushalte sind besorgt Auch Christiane J. plagen die Sorgen in der Krise. Zusammen mit ihrer Partnerin geht sie davon aus, dass sie im Winter auf das Zwiebelprinzip setzen und sich in ihrem Einfamilienhaus in Dankersen warm anziehen muss. Nahezu täglich überlege Christiane J. (ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen), wo und wie sie Energie, auch bei den Elektrogeräten, sparen könne. &bdquo;Wir werden unsere Fußbodenheizung nicht höher als auf 19 Grad stellen.“ Vor dem Krieg wären 21 Grad normal gewesen. Dabei hat das Paar bereits eine Photovoltaikanlage und eine neue Heizung angeschafft, um besser zu haushalten. Da nur Christiane J.s Frau arbeitet und sie selbst eine Erwerbsminderungsrente bezieht, bleiben im Monat 800 Euro für den Kraftstoff zweier Autos, Lebensmittel, Haustiere und weitere Kosten übrig. Eine Gasnachzahlung aus dem Vorjahr in Höhe von 320 Euro tue ihnen bereits weh, sagt die 58-Jährige. Die müssten sie in Raten zahlen. &bdquo;Im nächsten Jahr wollen wir auch beim Urlaub sparen.“ Christiane J. hat fast Mitleid mit der Regierung. Erst kam die Pandemie, dann die Inflation und die Energiekrise. Die große Sorge von Christiane J. ist auch, wie es nach dem Ende des Kriegs in der Ukraine weitergeht und was sonst noch alles auf die Bürger wartet. Verbraucherzentrale wird verstärkt angefragt Die Beratungsstelle der Verbraucherzentrale Minden bekommt täglich zehn bis 15 Anfragen rund um die Energielieferverträge und die damit verbundenen Probleme, berichtet Umweltberaterin Cornelia Franke-Röthemeyer: &bdquo;Es melden sich immer mehr – auch verzweifelte Kunden, die Sorge haben, wie sie die erhöhten Abschläge für Strom und Gas bezahlen sollen.“ So berichten Bürger, dass sie keine neuen Anbieter finden oder wenn ja, dass diese dann horrende Preise verlangen. &bdquo;Vor dem Krieg haben wir stets vor der damals im Vergleich zu teuren Grundversorgung abgeraten. Das ist jetzt anders“, berichtet Franke-Röthemeyer. Was Verbraucher tun können Erhöhen mussten auch die Stadtwerke Minden ihre Preise. In den ersten Tagen klingelte das Telefon dort mehr als 100-mal, wie Alina Gödeke, Leiterin Vertrieb und Marketing, mitteilt: &bdquo;Einige Kunden sind erschrocken und machen sich Sorgen über die weitere Entwicklung. Andere möchten ihren Abschlag freiwillig zusätzlich erhöhen, um auf der sicheren Seite zu sein.“ Insgesamt könnten die Stadtwerke sagen, dass ein Großteil der Kunden die Preisanpassung nachvollziehen könne – &bdquo;insbesondere, wenn wir die aktuelle Situation sowie die damit zusammenhängenden Auswirkungen ehrlich und transparent erklären“, so Gödeke. Die Stadtwerke raten allen, Energie einzusparen: Das sei das Einzige, das Verbraucher momentan tun können, um die Umwelt und den Geldbeutel zu schonen sowie einen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Ortwin Kohring hofft, dass er bald in die Grundversorgung kommt und eine Antwort von Eon erhält – damit er nachts besser schlafen kann.

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