Clankriminalität im ländlichen Raum: Wie groß ist das Problem wirklich?

Bielefeld. Clankriminalität ist vor allem in den Metropolen an Rhein und Ruhr ein Problem. Doch auch im ländlichen Raum fallen Mitglieder der Großfamilien durch Straftaten auf.Ostercappeln in Niedersachsen hat ungefähr 10.000 Einwohner. Die Gemeinde liegt nur ein paar Kilometer vom Kreis Minden-Lübbecke entfernt. In Ostercappeln kennt man sich. Und hier kennt man auch die Familie Z. Teile der Familie leben in einem schmucken Einfamilienhaus, hinter hohen Mauern und einem schweren, stählernen Tor. Hier und da hatte Familie Z. Besuch. Von der Polizei. Zwei Clan-Mitglieder müssen sich aktuell vor dem Landgericht Osnabrück verantworten. Es geht um Einbrüche und Raub. Ein kleiner Clan vom Dorf - offenbar kein Einzelfall in Deutschland. "Clans schotten sich oft gegenüber dem Umfeld ab - auch im ländlichen Raum", berichtet Werner Schwarz, Mitglied im Bund Deutscher Kriminalbeamter und Vorsitzender im Direktionsverband Osnabrück. Er führt das auf einen "stark überhöhten familiären Ehrbegriff" zurück. "Sie scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben. Die allgemeine Rechtsordnung wird zugunsten einer familiären Paralleljustiz abgelehnt." Schwarz führt weiter aus: "Es gelten eigene Regeln. Verstöße werden intern sanktioniert."Wie häufig kommt es zu Clankriminalität? Auffällig werden Clanmitglieder laut Schwarz auch durch Provokationen in der Öffentlichkeit, zum Beispiel im Straßenverkehr. "Einige wiederholt durch Straftaten, vielfach geprägt von hoher Intensität bei der Begehung oder Androhung von Gewaltdelikten", berichtet der Kriminalbeamte weiter Schwarz betont: "Wirkliche Hotspots werden in Niedersachsen in Sachen Clan-Kriminalität nicht festgestellt." Stimmt. In Niedersachsen sucht man in offiziellen Daten vergebens nach Städten, in denen sich die Straftaten so absurd häufen, wie in Essen, Recklinghausen und Gelsenkirchen. Hier kam es 2020 zu jeweils mehreren Hundert Straftaten, die auf das Konto krimineller Clanmitglieder gehen sollen. Auffällig in Niedersachsen: In der Provinz wie dem Raum Hildesheim, Salzgitter, dem Kreis Rotenburg an der Wümme oder Wilhelmshaven kam es 2020 zu überdurchschnittlich vielen Straftaten, die Mitglieder von Großfamilien begangen haben sollen. Auch Hameln wird im Zusammenhang mit Clans öfter genannt; zuletzt gab es hier mehrere Durchsuchungen im Rahmen von Encrochat-Ermittlungen gegen Clankriminalität. Zudem geriet die Stadt vor wenigen Jahren in die Schlagzeilen: Eine Großfamilie sorgte für Krawalle vor einem Krankenhaus, in dem ein Angehöriger verstorben war.In Ostwestfalen spielen Clans auch eine Rolle. 2020 hat die Polizei Mitgliedern von "ethnisch geprägten Familien" ein paar hundert Straftaten zugeschrieben, die meisten in Bielefeld. Dicht gefolgt von dem eher ländlichen Kreis Minden-Lübbecke. Alleine hier wurden 56 Personen als Tatverdächtige geführt. Bedeutet auch: Mindestens 56 Personen werden hier verschiedenen Clans zugerechnet. Insgesamt werden etwas mehr als 150 Personen als Tatverdächtige in Sachen Clan-Kriminalität mit Wohnort in OWL geführt.Familien meist weit verbreitet Im ländlichen Minden-Lübbecke, so ist aus Polizeikreisen zu hören, fällt das eine oder andere Familienmitglied gerne mal bei Verkehrskontrollen auf. Zudem sorgte eine Auseinandersetzung zwischen einer jesidischen Großfamilie und Türstehern in Bad Oeynhausen für Aufsehen. Schüsse fielen - ein langwieriger Prozess läuft.Familie S. aus Bad Oeynhausen ist ein Beispiel dafür, dass Großfamilien nicht nur regional vertreten sind. Unter den angeklagten Mitgliedern, die an der Schießerei beteiligt gewesen sein sollen, sind auch Personen aus Niedersachsen. Große, berüchtigte Clans wie die Familien Al-Zein oder Miri sind zwischen Ruhegebiet und Berlin bis Bremen verbreitet - und haben zum Teil ihre Finger in kriminellen Geschäften.Die Bielefelder Polizei zeigt sich in Sachen Clankriminalität gewohnt bedeckt. Einige Großfamilien seien den Behörden in OWL bekannt, Einzelpersonen treten immer wieder mit Straftaten in Erscheinung. Mit Bezug zur Organisierten Kriminalität? Oder Straftaten im Kreise der Familie? Laut Polizei in OWL ist das eher nicht der Fall. Was Ermittler beobachten Ermittler berichten davon, dass Clanmitglieder im ländlichen Raum auf gewisse Geschäftsfelder setzen. So sei auch hier feststellbar, dass Shishabars oder Cafés eröffnen. In manchen Betrieben seien unversteuerter Tabak oder manipulierte Spielautomaten entdeckt worden. Zudem spielen in ländlichen Räumen laut Ermittlern häufig religiös verbundene Gruppen und Familien eine Rolle. Zum Beispiel Jesiden.Schwarz betont: "Die meisten erfassten Straftaten, die Clans zugeschrieben werden, sind Rohheitsdelikte oder Straftaten gegen die Freiheit. Das ist auf dem Land nicht anders als in der Stadt." Das Problem unterschätzen dürfe man aber auf keinen Fall. "Aufgrund der hohen Intensität, provozierten Eskalationen und einer hohen claninternen Mobilisierung sind immer wieder hohe personelle Ressourcen der Polizei zur Lagebewältigung erforderlich", berichtet Schwarz.Die öffentliche Wahrnehmung solcher Situationen könne das Sicherheitsgefühl der Bürger wesentlich beeinflussen. Egal, ob auf dem Land oder der Stadt. "Deshalb gilt es, hohe Wachsamkeit und eine geringe Toleranzschwelle zu bewahren", sagt Schwarz weiter. Gleichzeitig müsse man Clanmitglieder, "die überregional vernetzt sind - auch mit Personen aus dem Ausland" -, im Blick behalten. Oft agieren sie im Verborgenen. Nicht umsonst wird das Phänomen Clankriminalität häufig im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität genannt."Auch auf dem Land lässt sich Geld verdienen" Doch was macht den ländlichen Raum attraktiv? "Es gibt hier mehr Möglichkeiten, sich abzuschotten und auf das Umfeld einzuwirken", berichtet Schwarz. Er vermutet: "Es könnte das Gefühl von unmittelbarer Macht und einer größeren Bedeutung auf dem Land sein, als es in einer Metropole möglich wäre." Generell, so Schwarz weiter, erscheinen Clans im ländlichen Raum personell nicht so stark wie die verzweigten Großfamilien in Berlin oder dem Ruhrgebiet. Zudem sei nicht jedes Familienmitglied auch kriminell. "Aber der Teil an kriminellen Mitgliedern kann auf dem Land richtig Alarm machen." Ein weiterer Faktor: "Nicht nur in den Großstädten, sondern auch auf dem Land lässt sich mit kriminellen Geschäften Geld verdienen", sagt der Paderborner Innenexperte Marc Lürbke, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in NRW. Das sei bei Clans, Rockern und anderen Banden bekannt. "Auch in OWL versucht die Organisierte Kriminalität, Strukturen aufzubauen, teilweise sind ethnisch geprägte Großfamilien bereits tief verwurzelt in illegalem Glückspiel oder Drogenhandel." Wichtig sei hier, so Lürbke, den "hohen Kontroll- und Verfolgungsdruck" konsequent fortzusetzen. Lürbke verspricht: "NRW wird im Kampf gegen Clankriminalität keinen Spalt locker lassen."

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