Düsseldorf (dpa). Als Konsequenz aus der Hochwasserkatastrophe soll in Nordrhein-Westfalen schnell ein neues Prognosesystem für kleine Flüsse geschaffen werden.
Dadurch könne die Vorwarnzeit, die derzeit in einigen Fällen nur bei wenigen Stunden liege, verlängert werden, sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am Montag. Auf drei Tage Vorwarnzeit wie beim Pegelstand des Rheins werde man aber nicht kommen.
Die vom Deutschen Wetterdienst vorhergesagten Regenmengen sollen in dem neuen System schnell in zu erwartende Pegelstände umgerechnet werden. Dafür sei es auch notwendig zu berücksichtigen, wie vollgesogen die Böden bereits sind. Beim Hochwasser Mitte Juli hätten sie wie versiegelte Flächen gewirkt, weil sie kein Wasser mehr aufnehmen konnten. Beim Landesumweltamt sei ein solches System bereits seit zwei Jahren im Testbetrieb.„Das Ereignis in seiner kompletten Wucht war für uns im Grunde erst ab dem 14. Juli abends absehbar", sagte Heinen-Esser.
Gefahrenkarten für 80 Kommunen
Ausweichend äußerte sie sich auf die Frage, ob zerstörte Gebäude nun an gleicher Stelle wieder aufgebaut werden sollten. Alle öffentlichen Stellen hätten die Folgen des Klimawandels zu beachten, sagte sie. Für 80 Kommunen würden Starkregengefahrenkarten entwickelt, um eine Entscheidungsgrundlage zu erhalten.
Auch der technische Hochwasserschutz für kleine Flüsse müsse verbessert werden. „Dafür muss der Oberlauf den Mittel- und Unterlauf schützen", sagte die Ministerin. Dies betreffe auch das Talsperrenmanagement. Einzelne Talsperrenbetreiber hätten im Vorfeld der Regenfälle kein Wasser ablassen wollen, weil sie wie in den Vorjahren im weiteren Verlauf des Sommers eine Trockenheit befürchtet haben. Sie habe nun sämtliche Talsperrenbetreiber eingeladen, um mit ihnen über den Hochwasserschutz zu sprechen.
Bereits am Wochenende hatte Heinen-Esser mehrere Behörden in Schutz genommen. Der Deutsche Wetterdienst, das für Hochwasserinformationen zuständige Landesumweltamt und die Bezirksregierungen seien „nach bisherigen Erkenntnissen ihren Verpflichtungen nachgekommen".
Reul hatte seine Meinung zum Thema Krisenstab in der Flutkatastrophe geändert. „Wenn ich es noch einmal zu entscheiden hätte, würde ich dem Ministerpräsidenten die Aktivierung des Krisenstabs empfehlen", hatte er am Wochenende gesagt. Dies aber nur aus symbolischen Gründen, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen.
"Kleiner Krisenstab hat gut funktioniert"
Die Koordinierungsgruppe habe als „kleiner Krisenstab" gut funktioniert und gearbeitet, bekräftigte er am Montag. Während Reul betonte, das Ereignis sei so nicht vorhersehbar gewesen, wies ein Experte des Deutschen Wetterdienstes darauf hin, dass die Niederschlagsmengen deutlich gut vorhersehbar gewesen und auch mitgeteilt worden seien.
Heinen-Esser sagte, tatsächlich habe es auch schon früher in NRW Starkregenfälle dieses Ausmaßes gegeben, allerdings nur örtlich begrenzt und nicht derart flächendeckend.
"Sirenen sind nicht überall eingesetzt worden"
Reul begrüßte die von der Bundesregierung beschlossene Einführung des sogenannten „Cell Broadcasting". Damit können Warnungen gezielt an sämtliche in einer Funkzelle eingeloggten Handys geschickt werden. Es könne trotz stumm geschalteten Handys bei Gefahr in direkter Nähe auch einen Warnton aussenden.
Ob das Spektrum der bisherigen Sirenenwarnungen erweitert werden sollte, ließ Reul offen. Zu viele Warnsignale könnten zur Verwirrung führen. „Es gab nicht überall Sirenen und sie sind auch nicht überall eingesetzt worden", räumte der Innenminister ein.
Bei der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli starben in Nordrhein-Westfalen nach bisherigem Stand 49 Menschen. Es entstanden nach ersten Schätzungen Schäden in Höhe von 13 Milliarden Euro.
Opposition fordert Einblick in Telefondaten
Die Opposition hat umfassenden Einblick in die Telefondaten aller Ministerinnen und Minister während der Flutkatastrophe zur Rekonstruktion des Krisenmanagements gefordert. Es müssten alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten ergriffen werden, um die Verbindungsdaten der Kabinettsmitglieder vom 9. bis zum 16. Juli zu sichern, sagte der SPD-Fraktionsvize André Stinka der Rheinischen Post. Dazu zählten Anrufe, E-Mails, SMS oder Nachrichten über Messengerdienste. "Wir müssen nachträglich lückenlos nachvollziehen können, wie das Krisenmanagement der Landesregierung genau abgelaufen ist und welche Versäumnisse es gab", sagte Stinka der Zeitung.
Zuvor hatte es in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung geheißen, dass Landesumweltministerin Ursula Heinen-Esser nicht mehr rekonstruieren könne, wann sie erstmals mit Ministerpräsident Armin Laschet (beide CDU) über die Katastrophe gesprochen habe.
Die Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer übte der Zeitung zufolge scharfe Kritik an Innenminister Herbert Reul (CDU). Reuls Antworten auf die Katastrophe zeigten, "wie uninformiert und konzeptlos der Innenminister im Bereich des Katastrophenschutzes aufgestellt ist". Angesichts der "Gefahr für Leib und Leben" durch etwaige Katastrophen sei das "erschreckend".
INFORMATION
Gefährliche Schadstoffe?
In den von der Flutkatastrophe stark getroffenen Regionen im Rhein-Erft-Kreis sind keine gefährlichen Schadstoffe im Boden gelandet. Der Kreis habe abgelagerte Schlämme im Labor des Landesumweltamts untersuchen lassen, teilte ein Kreissprecher am Montag mit. Es seien „keine relevanten zusätzlichen Bodenbelastungen durch das Hochwasserereignis hervorgerufen worden". Punktuell seien durch ausgetretenes Heizöl Schadstoffe freigesetzt worden. Die Wassermassen hätten diese aber stark verdünnt, es gebe nur noch geringfügige Belastungen. (dpa)