OWL Crime - mit Podcast

So kamen die grausamen Taten im "Horrorhaus von Bosseborn" ans Licht

2016 schockt ein Kriminalfall ganz Deutschland. Wilfried und Angelika W. haben zwei Frauen in ihrem Haus zu Tode gequält. Wie kam es dazu?

In diesem Haus in Höxter-Bosseborn lebten Wilfried und Angelika W. | © picture alliance / dpa

18.10.2024 | 04.12.2024, 16:15

Höxter. Donnerstag, 21. April 2016: Es klingelt an der Tür. Die Uhr zeigt halb elf. In dieser Nacht herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Draußen steht eine Frau. Sie habe eine Panne mit dem Auto, sagt sie. Ob man ein Taxi rufen könne? Wobei... Später soll es doch lieber ein Rettungswagen sein. Es ist der Moment, in dem das wohl spektakulärste und bizarrste Verbrechen der vergangenen Jahre aus dem Raum Ostwestfalen aufgedeckt wird: die Taten im "Horrorhaus von Bosseborn".

Der Fall ist nun Thema in einer neuen Episode von OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen.

Als die Retter am Ort der Panne eintreffen - an der Bundesstraße 64 bei Lenne in Niedersachsen, irgendwo zwischen Höxter und Bad Gandersheim - finden sie eine schwer verletzte Frau in einem Opel Corsa am Straßenrand. Sie ist dem Tod nahe. Kopfverletzung. Offenbar misshandelt, gequält. Sie ist abgemagert. Körpertemperatur: unter 30 Grad. Schnell wird sie in ein Krankenhaus nach Northeim bei Göttingen gebracht. Doch es ist zu spät. Sie stirbt wenig später. Die Polizei beginnt zu ermitteln - plötzlich ist Bosseborn in ganz Deutschland bekannt.

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Auf Zeitungsanzeige gemeldet

Die Tote ist Susanne F. (41). Sie hat die Liebe gesucht. Sie ist geschieden, lebt in Bad Gandersheim im Kreis Northeim, unmittelbar in der Nähe von Höxter. Die Zeitungsannonce von Wilfried W. kommt da gerade recht.

Der Fall Bosseborn im Überblick

  •  1. August 2014: Nach schweren Misshandlungen stirbt Annika W. im Alter von 33 Jahren im "Horrorhaus von Höxter". Den Leichnam bewahren Wilfried und Angelika W. in einer Tiefkühltruhe auf und verbrennen ihn später stückweise im Ofen des Hauses.
  • 21. April 2016: Angelika W. und Wilfried W. wollen die schwer misshandelte Susanne F. zurück zu ihrer Wohnung in Niedersachsen fahren. Nach einem Motorschaden alarmieren sie den Rettungsdienst. Einen Tag später stirbt sie.
  • 27. April 2016: Angelika W. und Wilfried W. werden durch sechs Beamte der Mordkommission in ihrem Haus in Höxter-Bosseborn festgenommen.
  • 5. Oktober 2018: Das Landgericht Paderborn verurteilt Angelika W. zu dreizehn und Wilfried W. zu elf Jahren Haftstrafe.
  • Am 30. August 2023 beginnt ein neuer Prozess. Sollte das Paderborner Landgericht eine Sicherungsverwahrung verhängen, würde Wilfried W. hinter Gittern bleiben, solange er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

Wilfried W. sucht eine Beziehung, schreibt er darin. Schon zuvor hatte Wilfried mehrere Anzeigen geschaltet. In einer beschreibt sich der Mann aus Bochum, der mittlerweile im winzigen Höxteraner Ortsteil Bosseborn (keine 600 Einwohner) lebt, als sportlich. Er mag Liebesfilme. Nichtraucher. Er ist groß, fast 1,90, heißt es in Anzeigen.

Wilfried W. - © picture alliance / dpa
Wilfried W. | © picture alliance / dpa

Susanne F. meldet sich bei Wilfried, angelockt durch das Inserat. Beide lernen sich kennen. Offenbar mögen sich beide - denn Susanne F. zieht im März 2016 bei Wilfried W. ein. In den ehemaligen Hof, mitten im Ort. Der Beginn der großen Liebe? Nein. Der Beginn des Grauens.

Eigenartig und unzugänglich

Was sie vor ihrem Einzug nicht ahnte: Wilfried W. - später wird man ihn einfach Willi nennen - lebt mit seiner Ex-Frau Angelika zusammen. 1999 haben sich der Bochumer und die Herforderin kennengelernt - auch über eine Annonce. Wilfried suchte darin eine Frau für eine gemeinsame Zukunft. Zwei Monate später folgte die Hochzeit. Angelika will Gewalt von Wilfried erfahren haben, sagt sie später aus. Nach einigen Jahren die Scheidung. Aber wohl nur pro forma. Aus finanziellen Gründen, heißt es. Das Paar lebt seit 2010 gemeinsam auf dem Hof in Bosseborn, zuvor wohnten sie in Schlangen, nahe Paderborn. Angelika gibt sich später gegenüber Opfern und Nachbarn als "Schwester" aus. Nachbarn beschreiben das Paar als eigenartig und unzugänglich.

Angelika W. - © picture alliance / Bernd Thissen/dpa
Angelika W. | © picture alliance / Bernd Thissen/dpa

Den Kontakt zu anderen im Dorf hätten beide nie gesucht. Doch sie suchten Kontakt zu Frauen. Für Wilfried. Frauen, die er per Annonce sucht. Ja, um Kontakt zu neuen Frauen zu erlangen, soll Angelika sogar versucht haben, ihren Lebensgefährten bei der TV-Sendung "Bauer sucht Frau" anzumelden, berichtet sie später vor Gericht.

Gewalt, Quälereien, Erniedrigungen

Zurück in den März 2016: Susanne F. wird nicht lange auf dem Hof leben. Ungefähr zwei Monate, um genau zu sein. Denn schon kurz nach ihrem Einzug im "Horrorhaus" beginnen Gewalt, Quälereien und Erniedrigungen. Auf dem Hof in Höxter gelten strenge Regeln. Nichtachtung wurde bestraft. Nach wenigen Tagen, so heißt es, wird sie zurück in ihre Wohnung gebracht. Doch sie kehrt freiwillig auf den Hof zurück. Warum? Niemand weiß es.

Die Quälereien nehmen kein Ende. Ermittler berichten später, dass schon Nichtigkeiten gereicht haben, um Gewalt auszulösen. Etwa wenn beim Tischdecken das Messer auf der falschen Seite liegt. In der Anklage heißt es dann, Susanne F. wurde einmal mit einem Handtuch zur Bewusstlosigkeit gedrosselt. Psychische und physische Gewalt, so wird schnell klar, sollten die Frau abhängig machen. Auf zig Zetteln notiert das Folter-Paar die Erniedrigungen und Quälereien. Teils existieren auch Videoaufnahmen von den grausamen Taten.

Mit dem Kopf gegen den Schrank geprallt

Es ist schließlich ein Donnerstag, als sich Wilfried und Angelika in ihr Auto setzen. Hinten liegt Susanne F. Sie ist schwer verletzt. Während des Prozesses heißt es, sie sei geschubst worden und mit dem Kopf gegen den Schrank geprallt. Die Haare von Susanne F. sind allesamt abrasiert. Das Paar will die 41-Jährige zurück in ihre Wohnung bringen. Doch die Panne kommt dazwischen. Die Panne, die aufdecken wird, was in dem Folterhaus passiert ist.

Die erste Mitteilung der Polizei Bielefeld und der Staatsanwaltschaft Paderborn wird veröffentlicht - gut eine Woche nach dem Tod von Susanne F. im Krankenhaus. Der Text liest sich noch heute nüchtern und trocken. Eine Polizeimeldung eben. Die 41-Jährige ist "nach Misshandlungen, die sich in einer Wohnung in Höxter ereignet haben, in einem Krankenhaus in Northeim gestorben", heißt es. Von "stumpfer Gewalt gegen den Kopf", ist die Rede. Dass die Misshandlungen einen sexuellen Hintergrund hatten, dafür hatten die Ermittler keinerlei Hinweise.

Angelika W. packt aus

Wilfried und Angelika W. sitzen derweil im Gefängnis. Untersuchungshaft. Wegen Totschlags. Die Ermittlungen laufen weiter auf Hochtouren. Und schon bald stellt sich heraus, dass das "Horrorhaus" nicht nur einem Menschen das Leben gekostet hat.

Der Paderborner Oberstaatsanwalt Ralf Meyer steht während einer Pressekonferenz zum "Horrorhaus" Rede und Antwort. Das Medieninteresse ist enorm.  - © Archivfoto: Wolfgang Rudolf
Der Paderborner Oberstaatsanwalt Ralf Meyer steht während einer Pressekonferenz zum "Horrorhaus" Rede und Antwort. Das Medieninteresse ist enorm.  | © Archivfoto: Wolfgang Rudolf

Mehrere Tage sitzen Wilfried W. und seine Lebensgefährtin Angelika nun schon in Untersuchungshaft, als Staatsanwaltschaft und Ermittler neue Erkenntnisse präsentieren. So gibt es Hinweise zu mehreren Frauen, die im Horrorhaus von Höxter gefangen und gequält wurden. Angelika W. hatte ausgepackt. Eine Frau aus Magdeburg kam mit dem Leben davon, nachdem sie ähnliche Qualen erfahren hatte. Doch Angelika W. sprach mit den Ermittlern auch über ein weiteres Todesopfer: die damals 33-Jährige Anika W.

Geschlagen, gewürgt, verbrüht, angekettet

Anikas Geschichte im "Horrorhaus" beginnt einige Jahre zuvor. Sie kommt aus Uslar, einer Kleinstadt in Niedersachsen, nur wenige Kilometer entfernt von Höxter. Sie lernt Wilfried, der 1995 schon einmal verurteilt wurde, weil er eine Frau quälte, über eine Kontaktanzeige kennen. Sie zieht bei ihm und seiner "Schwester" im Sommer 2013 samt Haustieren ein. Kurz darauf heiratet sie den Mann. Doch auch Anika erfährt auf dem Hof in Bosseborn nur Gewalt und Leid, so wie Susanne F.

Sie wird geschlagen, gewürgt, verbrüht, mit einem Elektroschocker gequält, an die Heizung gekettet, muss auf dem Fußboden oder in der Badewanne schlafen. Einmal liegt Anika gefesselt in der Wanne, berichtet Angelika W. während des Prozesses, als der Wasserhahn aufgedreht wird. Solange, bis ihr Kopf unter Wasser ist, sie keine Luft mehr bekommt und bewusstlos wird.

Zerstückelt, verbrannt und Asche am Straßenrand verteilt

Eines Tages verletzt sie sich so schwer am Kopf, dass sie auf dem Hof stirbt. Das war im August 2014. Wohl durch die Folgen eines Sturzes, berichtet Angelika W. später. "Ich glaube, die nippelt uns ab", soll Wilfried noch gesagt haben. Er und Angelika entschließen sich, Anikas Leiche in der Kühltruhe aufzubewahren. Später zerstückeln sie die tote Frau, verbrennen sie im Kaminofen und verstreuen ihre Asche an Straßenrändern in der nahen Umgebung. "Unvorstellbar und perfide", sagte der damalige Leiter der Mordkommission. Angelika schreibt nach Anikas Tod weiter SMS an die Familie der 33-Jährigen - vom Handy der Getöteten. Wilfried meldet seine Ehefrau beim Meldeamt derweil ab - sie sei nach Amsterdam gezogen.

Prozessauftakt gegen Wilfried und Angelika W. in Paderborn - wieder ist das Medieninteresse gigantisch.  - © picture alliance / dpa
Prozessauftakt gegen Wilfried und Angelika W. in Paderborn - wieder ist das Medieninteresse gigantisch.  | © picture alliance / dpa

26. Oktober 2016. Wieder blick ganz Deutschland nach Ostwestfalen. Jetzt allerdings nach Paderborn. Denn dort beginnt am Landgericht der Prozess gegen Wilfried und Angelika W., die mittlerweile in den Medien "Folterpaar", "Bestie" oder "Hexe" genannt werden. Beide wurden angeklagt - wegen Mordes durch Unterlassung.

Als Wilfried W. den Gerichtssaal betritt, genießt er es, im Rampenlicht zu stehen. Alle Kameras der unzähligen Reporter sind auf den Mann mit dem Bart, der modischen Brille und dem adretten Haarschnitt gerichtet. Blitzlichtgewitter. Angelika W. hingegen versteckt ihr Gesicht während Wilfrieds Minuten des Ruhmes hinter einem roten Aktendeckel. Als die Fotografen und Kameramänner abziehen, beginnt der Prozess gegen das Paar aus Bosseborn. Ein Prozess, an den man sich auch heute noch erinnert. Erst zwei Jahre später fällt das Urteil.

Zweifel an Gutachten

Vor Gericht beschuldigen sich die beiden Angeklagten Wilfried und Angelika W. gegenseitig. Am 5. Oktober 2018 verhängt das Landgericht Paderborn Haftstrafen: für Angelika W. dreizehn, für Wilfried W. elf Jahre Haft. Die beiden werden des zweifachen Mordes und Mordes durch Unterlassen für schuldig befunden. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass das Paar von 2011 bis 2016 Frauen in ihr Haus nach Bosseborn gelockt und dort gequält hat. Zwei Frauen starben an den Folgen schwerer Misshandlungen. Weil er als nicht schuldfähig gilt, wird für Wilfried W. die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik im Maßregelvollzug angeordnet.

Doch ein neues Gutachten hatte Zweifel an der zuvor attestierten verminderten Schuldfähigkeit aufkommen lassen. 2020 wird Wilfried W. schließlich in ein normales Gefängnis verlegt. Daraufhin hat die Paderborner Staatsanwaltschaft einen Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gestellt. Damit käme Wilfried W. auch nach Absitzen seiner Strafe vorerst nicht frei. Am 30. August 2023 beginnt der Prozess. Sollte das Paderborner Landgericht eine Sicherungsverwahrung verhängen, würde Wilfried W. hinter Gittern bleiben, solange er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.