Arbeitgeber-Chef Kampeter: „Wir brauchen eine höhere Wertschätzung von Arbeit“

Herr Kampeter, der deutschen Wirtschaft droht 2024 das zweite Jahr in der Rezession. Welche Maßnahmen müsste die Bundesregierung sofort ergreifen, um die Wachstumskrise zu überwinden? Steffen Kampeter: Es gibt nicht die eine Lösung, die die Wachstumskrise löst. Es gibt nicht den quick fix. Es ist in den zurückliegenden Jahren von der Politik einfach zu viel liegen geblieben und unterlassen worden. Deutschland wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs zu bringen, wird Jahre dauern und Strukturreformen erfordern. Realistisch kann kurzfristig nur ein Stimmungswandel erreicht werden. Da nennt das kürzlich veröffentlichte Papier von Bundesfinanzminister Christian Lindner die richtigen Stellschrauben. Also: Stopp von Gesetzgebungsverfahren, die nicht dem Standort nützen, zum Beispiel das Lieferkettengesetz, und keine Ausweitung überflüssiger Bürokratie. Der Koalitionsvertrag ist mittlerweile aus der Zeit gefallen. Das Programm ist vor dem Krieg Russlands in der Ukraine, vor der Inflation, vor der Zinswende, vor dem Einbruch des chinesischen Marktes aufgestellt worden. Deswegen gibt es nun die verschiedenen Papiere der Koalitionsspitzen zur Wirtschaft. Was man in diesem Jahr noch braucht, sind Projekte mit großer Symbolkraft. Welche könnten das sein? Stichwort: Bürgergeld. Das Wichtigste bei einer Reform wäre, dass mit dem Missverständnis aufgeräumt wird, es bestünde eine Wahl zwischen Sozialleistung und Arbeit. Der Regelfall muss sein, dass man arbeitet. Menschen, die das unverschuldet nicht können, müssen unterstützt werden. Wer hingegen arbeiten kann, muss stärker eingeladen werden, wieder am Erwerbsleben teilzunehmen. Ein weiteres Thema: Braucht man wirklich die telefonische Krankschreibung? Viele Betriebe beklagen eine Zunahme bei den Krankmeldungen. Die telefonische Krankschreibung abzuschaffen, hätte eine hohe Symbol- und Kostenwirkung. Da sehe ich viel Potenzial. Lesen Sie auch: Rekord bei Krankmeldungen: Arzt aus OWL sieht schlechte Arbeitsmoral als eine Ursache Das sind bisher alles Forderungen, die die Arbeitgeber an die Politik stellen. Welchen Beitrag müssen sie selbst leisten? Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer starken Wirtschaft und politischer Leistungsfähigkeit. Da liegt der zentrale Beitrag der Unternehmen. Gewinne bei guten Rahmenbedingungen zu erzielen, das ist Antrieb unternehmerischen Handelns. Das sichert Steuererträge sowie Sozialabgaben und ermöglicht Investitionen. So trägt eine starke Wirtschaft zum sozialen Zusammenhalt bei und ermöglicht der Politik wieder wirkmächtig nach innen, aber auch nach außen zu sein. Mir fällt kein Beispiel für ein wirtschaftlich schwaches Land ein, das politisch potent ist. Ein Gegenbeispiel sind die USA. Den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht sieht man auch daran, dass früher nichts ohne die Achse Berlin-Paris ging. Das hat sich geändert. Und so verliert Deutschland etwa in Brüssel immer mehr an Bedeutung. Dazu trägt unsere Wachstumsschwäche bei. Die USA setzen dabei allerdings auf eine Investitionspolitik, die weitgehend aus Schulden finanziert ist. In Deutschland haben wir hingegen die Verschuldungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Müssten wir die Schuldenbremse nicht lockern, um mehr zu investieren? Ist eine gefährlich lockere Fiskalpolitik tatsächlich der einzige Wachstumstreiber? Das gesamte amerikanische Wirtschaftsmodell setzt viel mehr als das deutsche auf Flexibilität in verschiedenen Bereichen, etwa im Genehmigungsrecht, auf dem Arbeitsmarkt oder im sozialen Bereich. Ich würde nicht alles auf Deutschland übertragen wollen – etwa den Umstand, dass es keine verpflichtende Krankenversicherung gibt. Vielmehr müssen wir nun einen deutschen oder europäischen Weg zurück zu wirtschaftlicher Stärke finden. Da kann man schauen, was man aus den USA auf uns übertragbar ist. Eine steigende Arbeitsproduktivität und die Lust auf Arbeit sind eine wesentliche Quelle für den wirtschaftlichen Erfolg – nicht nur in den USA. Das hat dort damit zu tun, dass die amerikanische Kultur den wirtschaftlichen Erfolg fördern möchte, während die bürokratische Kultur in Deutschland ihn erst mal risikofrei stellen möchte. Da gibt es viele Übertreibungen im Genehmigungsrecht. Es gibt Unternehmen, die behaupten, sie erhöhten die Produktivität, indem sie die &bdquo;Vier-Tage-Woche“ einführen. Wie denken Sie darüber? Ich kenne kein Unternehmen, das im internationalen Wettbewerb steht und eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich anbietet. Wenn man sich das nüchtern anschaut, kann sich das langfristig nicht rechnen. Deutschland hat bereits mit die niedrigste Jahresarbeitszeit weltweit – bei einer sehr hohen Zahl an Urlaubs- und Feiertagen. Ich bin gegen eine gesetzliche Vorschrift, die die Arbeitszeit reduziert. Wie Unternehmen Ihren Unternehmenserfolg organisieren, hängt davon ab, welchen Flexibilitätsspielraum wir ihnen geben. In der deutschen Wirtschaft gibt es unzählige Arbeitszeitmodelle. Dabei versuchen Unternehmen, auf vielfältige individuelle Bedürfnisse einzugehen. Mir kommt es darauf an, dass wir gesamtwirtschaftlich zu einem höheren Arbeitsvolumen kommen. Ich glaube, wir brauchen bessere Rahmenbedingungen wie ein unkompliziertes Arbeitszeitrecht und eine höhere Wertschätzung von Arbeit. Eine Vier-Tage-Woche, die eine versteckte Lohnerhöhung ist, ergibt keinen Sinn. Kommentar: &bdquo;Null-Bock-Tage“ für Arbeitnehmer: Das braucht Deutschland gerade nicht Kann man durch Arbeit denn noch zu Wohlstand kommen? Gilt das alte Wohlstandsversprechen auch für junge Menschen noch? Ja – aber ich verkenne nicht die Schwierigkeiten. Wohlstand kommt von Arbeit und Einkommen. Die durchschnittliche Arbeitszeit ist im Vergleich zu früher gesunken. Gleichzeitig greift der Staat immer mehr in den Geldbeutel der Menschen. Durch steigende Beiträge in den Sozialversicherungen sinkt das Netto vom Brutto. Da helfen auch nicht die Lohnerhöhungen durch die Arbeitgeber, wenn der Staat danach zugreift. Zudem ist die Bildung von Wohneigentum schwieriger geworden. Auch hier trägt der Staat eine Mitschuld. Immer mehr Regulierungen haben das Bauen teuer gemacht. Schließlich – und das treibt mich besonders um – ist die Bildung vielerorts nur noch mangelhaft. Unser Bildungssystem hat massiv an Qualität verloren. Das lernen wir bei jeder PISA-Studie. Es gab mehr Ministerpräsidentenkonferenz zur Zukunft des 49-Euro-Tickets, das vielleicht nicht das zentrale Thema ist, als zur Frage, wie machen wir eine nationale Initiative gegen den fortschreitenden Verlust der Bildungsqualität. Wenn die Bildungswende nicht zu einer Offensive für die Bildungsqualität kommt, führt das zu Frustration. Der Wahltag in den USA steht unmittelbar bevor. Wie schaut die deutsche Wirtschaft auf das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump um die Präsidentschaft? Für die deutschen Arbeitgeber bleiben die USA ein sehr wichtiger wirtschaftlicher Partner. Daher hoffe ich, dass mit der kommenden Administration die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte fortgeschrieben wird. Hoffentlich wissen wir am Mittwoch überhaupt, wie es in den USA weitergeht. Die Antwort auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahl kann nicht sein, dass auch wir neuen Protektionismus einführen. Stattdessen müssen wir EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrem Versprechen unterstützen, Europa wieder wettbewerbsfähiger und bürokratieärmer zu machen. Lesen Sie auch: Liveticker zur US-Wahl: Wer wird neuer Präsident der USA?

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