Still und leise basteln SPD, Grüne und FDP nach der Wahl an ihrer Ampel-Koalition. Zwar sind viele Ideen der potenziellen Koalitionspartner noch nicht im Detail ausverhandelt - doch die Arbeitswelt dürfte bereits das, was beschlossen ist, gehörig umkrempeln: Die Mindestlohnerhöhung wird Millionen Beschäftigten ein höheres Einkommen bescheren - und ganze Branchen vor Probleme stellen, wie Ökonomen warnen. Derweil fürchten Gewerkschaften die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die die Ampel-Koalitionäre planen.
Was sich beim Mindestlohn ändern soll
Klar ist, dass vor allem Geringverdiener mit einem höheren Einkommen rechnen können, sollte die Ampel wirklich regieren: Acht bis zehn Millionen Beschäftigte würde die - schon für 2022 angepeilte - Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro unmittelbar zu Gute kommen. Auch jenseits dieser Marke dürfte der Lohndruck zunehmen. „Ich vermute, dass viele, die weniger als 14 Euro pro Stunde verdienen, davon profitieren werden", sagt der Arbeitsmarkt-Experte Christoph Schröder vom arbeitgebernahen Institut für Wirtschaft (IW).
Möglich ist das nur, wenn die Politik der Mindestlohnkommission reinredet - ein Tabu, wie es noch bei der Einführung des Mindestlohns 2015 hieß. „Für die Tarifautonomie sind die Pläne keine guten Nachrichten", meint Schröder deshalb. Dass die Arbeitslosigkeit wegen der Erhöhung steigt, hält Schröder zwar für nicht ausgemacht. „Aber für manche Branchen wird das eine heftige Anpassung", warnt der Ökonom. Er hätte sich eine schrittweise Erhöhung gewünscht - und verweist außerdem darauf, dass Länder wie Frankreich Unternehmen bei der Zahlung eines vergleichbar hohen Mindestlohns subventionieren.
Was sich bei Mini- und Midijobs ändern soll
Dass die FDP den entsprechenden Plänen der SPD und der Grünen zugestimmt hat, ist offenkundig Kompromissen geschuldet: Sowohl beim Umgang mit Minijobs als auch bei der Frage nach flexibleren Arbeitszeiten erinnert das Sondierungspapier stark an Vorstellungen der Liberalen. So ist geplant, die Verdienstgrenzen bei Mini- und Midijobs auf 520 beziehungsweise 1600 Euro im Monat anzuheben. Die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse macht das attraktiver, sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitgeber.
Dabei ist aus Sicht von Gewerkschaften eigentlich das Gegenteil gefragt: „Hunderttausende Beschäftigte im Gastgewerbe haben ihren Minijob in der Corona-Pandemie verloren – ohne jede Absicherung durch Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Minijobs sind eine Falle und dienen oft dazu, Schwarzarbeit zu legitimieren", meint Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. „Statt Minijobs lukrativer zu machen, sollten sie komplett sozialversicherungspflichtig werden", sagte Zeitler dieser Zeitung.
Was sich bei den Arbeitszeiten ändern soll
Übel stößt Gewerkschaften auch auf, dass SPD, Grüne und FDP Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz ermöglichen wollen. Undenkbar ist zwar, dass die SPD einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit zustimmt - aber 13-Stunden-Tage sind ebenso vorstellbar wie verkürzte Ruhepausen. „Fatal" sei das, sagt Johanna Wenckebach. Die Leiterin des zur Hans-Böckler-Stiftung gehörenden Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht (HSI) warnt, dass Beschäftigte regelmäßige Pausen und Schlaf brauchen, um gesund zu bleiben: „Hier Schutz für Arbeitnehmende abzubauen und 13-Stunden-Arbeitstage zu ermöglichen, wäre ein großer Rückschritt."
Besonders scharf kritisiert sie, dass es ausweislich des Sondierungspapiers zwar strenge Voraussetzungen für Experimente mit längeren Arbeitszeiten geben soll - aber ausgerechnet eine Zustimmung von Betriebsräten ausreichen könnte, um vom Gesetz abzuweichen. Betriebsräten fehle es mangels Streikrecht an Gegenmacht, um entsprechende Vorstöße von Arbeitgebern zu blockieren. „Die Öffnung des Arbeitszeitgesetzes würde sie erpressbar machen", befürchtet Wenckebach. „Dass die Ampelkoalition Kompromisse erfordert, ist klar. Aber hier hoffe ich auf rote Linien der Parteien des Bündnisses, die Beschäftigte schützen wollen," betont Wenckebach.
Worüber noch verhandelt wird
Andere Baustellen haben die potenziellen Koalitionspartner hingegen noch nicht abgeräumt: Die Tarifbindung soll laut des Sondierungspapiers gestärkt werden, doch wie genau, ist bislang unklar. Der DGB hatte zuletzt ein Bundestariftreuegesetz gefordert, bei öffentlichen Aufträgen hätten dann nur noch Unternehmen mit Tarifvertrag eine Chance. Ob Vergleichbares kommt, wollen die Verhandlerinnen und Verhandler in Berlin in diesen Tagen klären.