Krisengewinner

NW+-Icon
Möbelindustrie warnt vor Lockdown bis Ostern

Die Branche hat im Coronajahr zwar wie die gesamte Wirtschaft einen Umsatzdämpfer hinnehmen müssen, aber im Sommer startete eine Aufholjagd. Jetzt verfügt die Branche über ein Auftragspolster.

Ein Mitarbeiter von Nobilia in Verl überprüft den Frontauszug eines Küchensegments. | © picture alliance / dpa

Martin Krause
21.01.2021 | 21.01.2021, 08:33

Bielefeld/Köln. Jan Kurth macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Statt Durchhalteparolen auszugeben, gibt der Geschäftsführer des Möbelindustrieverbandes VDM offen zu, dass es ihn und seine Branche schmerzt, dass die Geschäfte geschlossen sind. Dass die Möbelmesse imm Cologne in diesem Jahr nicht stattfinden kann. Und dass der Lockdown mindestens bis Mitte Februar verlängert wird: "Was wir jetzt brauchen, ist eine Perspektive für die Öffnung nach dem 14. Februar", fordert er im Namen von Industrie und Handel. Für die Branche hänge nun alles von der Entwicklung der Pandemie und dem Zeitpunkt der Wiedereröffnung ab. Einen Lockdown bis Ostern lehnte er ab, denn "die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen wären nicht kalkulierbar".

Dabei hat sich die Möbelindustrie im Coronajahr 2020 ausgesprochen gut geschlagen und kann fast als Krisengewinner gelten. Zwar musste die Branche bis zu 60-prozentige Auftragseinbrüche im März und April hinnehmen und erlitt zeitverzögert massive Umsatzeinbußen bis in den Mai. Doch dann folgte eine Aufholjagd, mit der selbst Optimisten nicht gerechnet hatten: Angesichts von Homeoffice und Home-Schooling konzentrierten die Verbraucher sich auf die Einrichtung ihres Zuhauses, und sie hatten das nötige Geld dazu - etwa, weil sie nicht so viel für das Reisen ausgeben konnten.

Umsatz schrumpfte um vier Prozent, Belegschaften um 2,2 Prozent

In der Jahresbilanz der in OWL stark vertretenen Möbelindustrie wird nun ein Umsatz von 17,2 Milliarden Euro erwartet und damit ein Minus von 4 Prozent. Die Unternehmen bauten zugleich aber ein Auftragspolster auf, weil die erst zeitversetzt umgesetzten Bestellungen bei den Wohnmöbelproduzenten um 2020 um 14,1 Prozent stiegen und bei den Küchenmöbelherstellern um 11,8 Prozent. Selbst die Aufträge für die Polstermöbler legten um 5,5 Prozent zu.

Noch besser hätte es laufen können, wenn der zweite Lockdown nicht nötig geworden wäre: In der Zeit von Dezember bis Februar sammele die Branche sonst 30 Prozent der Bestellungen ein, so Kurth. Entsprechend herb seien nun die Einbußen für die Möbelhersteller, die schätzungsweise rund 100.000 Männer und Frauen beschäftigen, davon allein 82.600 in den 468 größeren Betrieben mit mindestens 50 Mitarbeitern (minus 2,2 Prozent).

Handel macht Vorschläge für Öffnung - Verzicht auf Werbung denkbar

Wie die gesamte Wirtschaft erlebte auch die Möbelbranche 2020 einen Digitalisierungsschub, der sich etwa in einem beschleunigten Wachstum des Onlinehandels bemerkbar machte. Der gesamte Einzelhandel habe ein kleines einprozentiges Umsatzplus auf 34,5 Milliarden Euro Bruttoumsatz verbucht, wie Christian Haeser vom Handelsverband Möbel und Küchen erklärte. Dabei sei der Anteil des Onlinehandels von 14 auf rund 18 Prozent gewachsen. Und es sei keineswegs so, dass nur Amazon unter den Gewinnern sei, wie Jan Kurth ergänzte. Inzwischen seien auch stationäre Händler vermehrt im Internet präsent, "es ist einiges in Bewegung."

Mit Rabattschlachten wie im Modehandel rechnen die Möbler trotz des Lockdowns einstweilen nicht, auch, weil Möbel von vornherein mehr auf Langlebigkeit und Nachhaltigkeit angelegt sein. Um den Handel aber möglichst bald auch vor Ort wieder anzukurbeln, hat die Branche eine Reihe von Vorschlägen: So seien Einzelberatungen mit Maskenpflicht denkbar, eine Vergrößerung der Mindestflächen pro Kunde von 10 auf 50 Quadratmeter und auch der Verzicht auf frequenzsteigernde Maßnahmen (also Werbung), wie sie noch im Spätherbst 2020 für Verdruss gesorgt hatten.

INFORMATION


IHK: Reserven vieler Firmen erschöpft

„Jeder weitere Tag des staatlich verordneten Stillstands belastet die Firmen massiv und lässt das Insolvenzrisiko steigen", warnt Petra Pigerl-Radtke, die Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen. Für eine verantwortbare moderate Öffnung von Gastronomie und Einzelhandel müsse schon jetzt die konkrete Planung beginnen, fordert sie.

Die finanziellen Reserven in vielen Betrieben seien aufgezehrt, so Pigerl-Radtke. Daher werde die Ankündigung begrüßt, dass die Bundeshilfen für Unternehmen durch mehr Gelder und einfacheren Zugang verbessert werden sollen. Das Geld müsste aber zügig ausgezahlt werden: „Das hat bisher nicht funktioniert."