Pandemie

"Letzte Warnung der Wissenschaft": Virologen fordern härtere Corona-Regeln

In den Appell mischen sich Unverständnis über die Politik, Ärger - und Resignation.

Eine menschenleere Einkaufsstraße im Corona-Lockdown. | © picture alliance / SvenSimon

Björn Vahle
09.12.2020 | 11.12.2020, 17:13

Berlin. Mehrere Virologen in Deutschland haben sich mit drastischen Warnungen an die Öffentlichkeit gewandt - und ein schnelleres Wiederhochfahren der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Pandemie gefordert. In den Appell mischen sich Unverständnis über die Politik, Ärger - und Resignation.

„Es ist schon so, dass wir jetzt unbedingt etwas tun müssen", sagte der Charité-Wissenschaftler Christian Drosten im jüngsten „Coronavirus-Update" bei NDR-Info. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass die Weihnachtszeit zu einem Anstieg der Fallzahlen führe. Werde jetzt nicht nachreguliert, drohe „Ende Januar und über den gesamten Februar hinaus" ein Lockdown mit massiven Folgen für die Wirtschaft.

Drosten ist einer der Experten, der an einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina mitgewirkt hat. Darin wird empfohlen, die Feiertage und den Jahreswechsel für einen „harten Lockdown" zu nutzen. Bereits ab 14. Dezember müssten Kontakte auf ein „absolutes Mindestmaß" reduziert werden.

Das Papier der Leopoldina sollte vielleicht verstanden werden als „deutliche und letzte Warnung der Wissenschaft", sagte Drosten. Entscheide sich die Politik anders, habe sie sich nicht mehr für die Wissenschaft entschieden.

Ähnlich deutlich wurde die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie sagte am Dienstag in den Tagesthemen (hier geht's zum Video) zu den Forderungen der Leopoldina: "Wenn die Politik sich an diese Ratschläge nicht hält und eher sogar noch weiter lockert, wie es im Moment in einigen Bundesländern geplant ist, dann habe ich tatsächlich meinen Glauben an die Politik in Deutschland verloren."

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Der Teil-Lockdown sei "nicht das, was man braucht, um Kontakte wirklich so zu reduzieren, dass die Zahlen wirklich sinken". Sie erinnerte an die frühen Warnungen von Wissenschaftlern - und kritisierte damit deutlich die deutsche Corona-Politik: "Es wäre sinnvoll gewesen, schon vor Wochen stärkere Maßnahmen zu ergreifen, damit die Zahlen erst gar nicht so hoch klettern."

Auf die Frage von Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga, warum überhaupt bis Weihnachten mit einem Lockdown gewartet werden müsse, wenn doch jetzt die Zahlen schon wieder stiegen, antwortete Brinkmann: "Das ist eine gute Frage. Ich würde tatsächlich sagen: Je früher, desto besser." Die Leopoldina hatte beispielsweise die Aufhebung der Schulpflicht bereits ab dem 14. Dezember empfohlen.

Sinkende Zahlen durch Lockdown - "wenn alle mitmachen"

Dann werde wohl auch wirtschaftlich geringerer Schaden entstehen. "Ich hoffe, dass das tatsächlich auch reicht." Es sei realistisch, dass "auch in kurzer Zeit" die Zahl der Neuinfektionen deutlich sinke - "wenn alle mitmachen, wenn es alle ernst nehmen".

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen stieg im Vergleich zur Vorwoche an. Nach Angaben des RKI wurden binnen 24 Stunden 20.815 Ansteckungsfälle registriert und damit gut 3.500 mehr als am Mittwoch vor einer Woche. Die Zahl der neuen Corona-Sterbefälle erreichte mit 590 einen neuen Ein-Tages-Höchststand.

Auch andere Virologen äußerten sich kritisch

Nicht alle Experten, die sich in der Pandemie häufiger zu Wort gemeldet haben, haben den Appell der Leopoldina unterzeichnet. Doch auch sie haben bereits früher empfohlen, was ihre Kollegen jetzt mit Nachdruck fordern.

So hatte der Virologe Alexander Kekulé, der bereits mit seinem Kollegen Drosten aneinandergeraten war, bereits Anfang Dezember gesagt, die Verlängerung des Teil-Lockdowns sei nicht sinnvoll. Durch das Aufrechterhalten der gleichen Maßnahme würde man in der Regel keine stärkere Bremsung beim Infektionsgeschehen hinkriegen.

Schmidt-Chanasit: "Lockdowns ersetzen keine langfristige Strategie"

Für ihn hätte es zwei Optionen gegeben: entweder ein Abwarten bis kurz nach Silvester oder ein sofortiges Nachjustieren. "Dann muss man aber jetzt schärfere Maßnahmen ergreifen und nicht bis 11. Januar warten", hatte er am 4. Dezember gesagt.

Tags zuvor hatte der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit gesagt, mit dem derzeit geltenden Teil-Lockdown sei eine deutschlandweite deutliche Reduktion der Corona-Neuinfektionen bis Weihnachten nicht zu schaffen. Harte Lockdowns ersetzten aber auch keine langfristige Strategie. "Damit verschiebt sich das Problem nur um einige Wochen." Die Situation im Sommer habe gezeigt, dass damit nicht die Zahlen dauerhaft niedrig bleiben - selbst wenn die Gesundheitsämter es schafften, die Kontakte intensiv nachvollziehen.

Mit Material der dpa.