
Bielefeld. Bei den Einzelhändlern herrscht nackte Überlebensangst. Viele sind in Aufruhr, fühlen sich ungleich behandelt, weil Supermärkte, Gartencenter und Baumärkte öffnen dürfen und ihnen das Geschäft wegnehmen.
"Optiker verkaufen jetzt Sonnenbrillen"
Der NRW-Erlass werde ständig unterlaufen, erzürnt sich Henner Zimmat, Vorsitzender der Bielefelder Altstadt-Kaufmannschaft. „Täglich stehen Hunderte vor unseren Baumärkten Schlange. Das sind wohl kaum alles Handwerker die Material einkaufen wollen." Alle Regeln zum Schutz vor dem Coronavirus würden über Bord geworfen. Optiker, die als Handwerksbetriebe Brillen reparieren dürfen, „verkaufen jetzt Sonnenbrillen".
Sein Stellvertreter Dennis Bußian, der fünf Bekleidungsläden in OWL hat, ärgert sich über Supermärkte, die auch Textilien verkaufen dürfen. Ein 32-seitiger Marktkauf-Prospekt werbe auf 16 Seiten „aggressiv" für Non-Food-Artikel – darunter auch Skaterbekleidung. „Die verkaufen dieselben Schuhe wie ich, aber 20 Prozent billiger." Die gesamte Modebranche liege brach, klagt er.
Den Eindruck, dass Supermärkte ihren Non-Food-Bereich in der Krise noch ausbauten, weisen Real, Rewe und die Marktkauf-Muttergesellschaft Edeka Rhein-Ruhr unisono zurück. Laut NRW-Erlass dürfen Supermärkte mit gemischtem Sortiment nur dann Non-Food-Artikel verkaufen, wenn Lebensmittel den Schwerpunkt bilden.
Umsatzverlust von rund 400 Millionen Euro
Bußians Antrag, stets nur einen Kunden bedienen zu dürfen, wies Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) aufgrund des NRW-Erlasses zurück. Jens Fedeler, Vorsitzender des Handelsverbandes, fordert: „Wir müssen jetzt schon diskutieren, wie wir den Exit schaffen." Nach dem 20. April, spätestens aber nach dem 2. Mai sollten Geschäfte mit Auflagen wieder öffnen dürfen.
Auch der Paderborner Landtagsabgeordnete Daniel Sieveke (CDU) plädiert für Lockerungen „unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen" nach einem Exit-Plan von Bund und Ländern. "Momentan schaut alles noch auf die steigenden Infektionszahlen, aber in ein paar Wochen dürften es leider steigende Insolvenz- und Arbeitslosenzahlen mit harten Konsequenzen für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und deren Familien sein", warnt Carsten Linnemann, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ein Kollaps der Wirtschaft würde auch zum Kollaps des Gesundheits- und Sozialsystems führen, so Linnemann. "Daher ist es gut, wenn die Debatte um eine Exit-Strategie jetzt geführt wird. Man mag zurecht über den richtigen Zeitpunkt für Lockerungen streiten und auch darüber, wie diese aussehen könnten. Aber man muss ein fertiges Konzept zum langsamen Hochfahren der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten aus der Schublade ziehen können, wenn die Eindämmung des Virus erste Erfolge zeigt", fordert Linnemann
Der Handelsverband schätzt den Umsatzverlust in OWL bis zum 20. April, also nach den Osterferien, auf rund 400 Millionen Euro.