"Wir befinden uns gerade in einer Situation, die uns alles andere als vertraut ist." Bernd Vinkes Arbeitsalltag, sonst geprägt von zwischenmenschlichen Kontakten, hat sich im Zuge der Corona-Krise stark verändert. Mails und Telefonate sind nun das Kommunikationsmittel der Wahl statt persönlicher Gespräche. Vinke ist Koordinator des Ambulanten Hospizdienstes im AWO-Kreisverband Bielefeld, mit dem Schwerpunkt der Lebens- und Sterbebegleitung im Quartier.
Dort ist die Arbeit zurzeit nur eingeschränkt möglich. Sie steht und fällt eben mit dem persönlichen Kontakt. „Ein vertrautes Miteinander ist dabei ganz wichtig." Doch das ist von jetzt auf gleich einfach weggefallen. Angebote wie Spielenachmittage oder Begegnungen im Café können derzeit nicht stattfinden „Verständlich, aber auch sehr schwierig", kommentiert Bernd Vinke diese Entwicklung.
Es muss niemand allein sterben
Er selbst pflegt momentan vor allem den digitalen Kontakt mit den Ehrenamtlichen und versucht auf ganz vielseitige Art, Gemeinschaft zu schaffen. Dazu gehört auch, dass er hier und da nette Texte und aufmunternde Fotos verschickt. „Ich versuche, zumindest digital ein bisschen Nähe und Austausch herzustellen." Denn die Ehrenamtlichen halten weiterhin Kontakt zu hilfsbedürftigen Menschen – aber eben nur noch telefonisch oder per Post. „Vieles ist ja dank der Technik möglich. Trotzdem fehlt uns das Physische. Und da bekommt so ein Brief, den wir aus dem Briefkasten ziehen können, auf einmal einen ganz anderen Wert."
Distanzen, die auf einmal ohne persönlichen Kontakt überbrückt werden müssen – eine Situation, die auch die Hospizarbeit aktuell sehr belastet. „Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass gerade keine Sterbebegleitung ansteht", sagt Vinke. Was wäre aber, wenn? Die wichtige Nachricht: „Es muss niemand alleine sterben, auch nicht in diesen Zeiten", betont Vinke. Egal ob Pflegeeinrichtung oder Krankenhaus: Eine vertraute Person darf dem Sterbenden in seinen letzten Stunden zur Seite stehen. Das hatte auch schon der Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin im evangelischen Klinikum Bethel (EvKB), Florian Weißinger, am 9. April in der NW betont: „Auch in Krisenzeiten muss sterben menschenwürdig bleiben, dafür tun wir alles."
Letzte-Hilfe-Kurse finden nicht statt
Wie genau die Sterbebegleitung aber in Zeiten von Corona aussehen kann, das hängt sehr von den Regeln und Standards der Pflegeeinrichtungen ab, sagt Bernd Vinke. „Pflegeheime tun sich verständlicherweise gerade schwer, Menschen für die Sterbebegleitung in die Einrichtung zu lassen." Das kann nur unter sehr hohen Hygienestandards erfolgen, damit die anderen Bewohner, allesamt Teil der Risikogruppe, nicht gefährdet werden. „Sterbebegleitung im Schutzanzug – das wäre nicht schön, aber in diesen Zeiten eben auch nicht zu ändern. Dass dies möglich gemacht wird, würde ich mich sehr wünschen – für die Betroffenen selbst und die allernächsten Angehörigen."
Genau wie die Tatsache, dass die Letzte-Hilfe-Kurse momentan nicht stattfinden können, die Bernd Vinke mit seiner Kollegin Linda Zybell regelmäßig in Bielefeld organisiert. Letzte Hilfe heißt der Ansatz, den der Palliativmediziner Georg Bollig gemeinsam mit Kollegen entwickelt hat – ganz nach dem Vorbild der Erste-Hilfe-Kurse. Ziel ist es, medizinische Laien auf die würdevolle Begleitung von Sterbenden vorzubereiten, ihnen dafür ein kompaktes Basiswissen an die Hand zu geben.
Digitale Kurse stoßen an Grenzen
Der Tod, der für viele ein Tabu ist, wird dafür deutschlandweit in vier Themenblöcken à 45 Minuten offen angesprochen. 15 Kurse gab es schon in Bielefeld, alle waren ausgebucht. „Es geht dabei nicht darum, Ängste zu nehmen! Wir dürfen unsicher sein. Aber je besser wir informiert sind, desto mehr schützt uns das."
Noch freie Plätze auf der Warteliste
Doch es gibt Hoffnung: Fünf Minuten vor dem telefonischen Interview für diesen Text hat Bernd Vinke eine Mail erhalten, dass Kurse für Ehrenamtliche in einer Größe von acht Personen in dem Saal des AWO-Kreisverbandes stattfinden dürfen. Natürlich mit Abstand, Nasen-Mundschutz und unter Einhaltung von Hygieneregeln. „Das ist schon mal eine gute Nachricht. Und wir müssen das jetzt prüfen, ob das für uns in Frage kommt." Interessierte können sich telefonisch unter Tel. (05 21) 5 20 89 43 für kommende Letzte-Hilfe-Kurse auf eine Warteliste setzen lassen und werden dann von Bernd Vinke informiert, sobald es weitergeht.
Und bis dahin bleibt sein Wunsch, „dass wir die Krise gemeinsam ganz schnell überwinden." Und sie auch als Chance verstehen, uns die elementar wichtigen Dinge abseits von Konsum und Schnelllebigkeit in Erinnerung zu rufen und bewusst zu machen. Den Zusammenhalt zum Beispiel. Dass sich noch mehr Menschen für die sorgende Gemeinschaft engagieren, vielleicht als Ehrenamtliche in der Hospizarbeit. Aber auch die persönlichen Begegnungen.
„Genießen wir auch die kleinen Momente des Glücks"
Bernd Vinke wird angesichts der aktuellen Corona-Lage nachdenklich. „Wir werden derzeit stärker als sonst mit der Endlichkeit und der Nicht-Planbarkeit von Leben konfrontiert. Es gibt eben diese eine Gewissheit: Wir werden irgendwann sterben und nicht alles ist planbar. Umso wichtiger ist doch, dass wir lernen, mit dieser Gewissheit bewusst umzugehen." Das könne auch die Freude am Leben fördern. „Genießen wir auch die kleinen Momente des Glücks", empfiehlt Vinke. „Und machen wir uns deutlich, was wir haben und worauf es wirklich ankommt. Das Leben ist etwas sehr Fragiles und ein sehr kostbares Gut. Wir sollten achtsamer damit umgehen!"
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Mut zur Zukunft: Erfolgsgeschichten aus der Region
Mit langsamen und vorsichtigen Schritten nimmt das öffentliche Leben wieder Fahrt auf. Damit das so weitergeht, ist es weiterhin geboten, auf sich und andere aufzupassen – durch Distanzhalten, Händewaschen und das Tragen von Masken. Genauso wichtig sind aber Einfallsreichtum, Optimismus, Solidarität und Treue. Wie Ideen in die Tat umgesetzt werden und wie man mit positiven Gedanken an neue Projekte herangeht, zeigen wir in unseren Erfolgsgeschichten aus der Region. Beschrieben werden Menschen, Unternehmen und Institutionen, die trotz Krisenzeiten den Mut nicht verloren haben und die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln um eine gute Zukunft kämpfen.
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