
Detmold. Auf Freispruch des Angeklagten plädierten die Verteidiger im Detmolder Auschwitz-Prozess. Dort muss sich der 94-jährige Reinhold Hanning aus Lage vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts wegen der Beihilfe zum Mord an mindestens 170.000 Menschen im Konzentrationslager Auschwitz in der Zeit von Januar 1943 bis Juni 1944 verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte für sechs Jahre Haft plädiert.
In der Verhandlung seien keine Beweise für die direkte Beteiligung des heute 94-Jährigen an konkreten Taten vorgelegt worden, sagte Rechtsanwalt Johannes Salmen in seinem Plädoyer vor dem Landgericht Detmold. Hanning habe zu keinem Zeitpunkt Menschen getötet, geschlagen oder dabei geholfen.
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Der Verteidiger sagte, sein Mandant habe sich in den Dienst eines verbrecherischen Systems gestellt, dessen Befehle er fortan befolgt habe. Als einfacher Arbeiter ohne Schulabschluss habe der junge Mann die Folgen seines Handelns nicht überblicken können. Heute bereue er sein Verhalten. Die Möglichkeit eines persönlichen Schlusswortes nutzte Hanning nicht. Aus Termingründen wurde in dem Verfahren ausnahmsweise am Samstag verhandelt.
Jüngere Schuldsprüche gegen Vernichtungslager-Wachmänner wegen Mordbeihilfe seien bislang nicht rechtskräftig, stellten Hannings Verteidiger fest. So werde im Fall des 2015 als „Buchhalter von Auschwitz" zu vier Jahren Haft verurteilten Oskar Gröning noch über eine Revision entschieden. Daher habe die höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Jahr 1969 noch immer Gültigkeit: Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs sei nicht jeder, der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers eingegliedert war, für alles verantwortlich zu machen.
Salmen betonte, dass Hanning noch ein Jugendlicher gewesen sei, als er sich zur SS meldete. Als einfacher Arbeiter ohne Schulabschluss habe er die Folgen seines Handelns nicht überblicken können. „Man kann heute nicht so tun, als ob der Angeklagte damals ein gestandener Mann war, der wusste was er tut", so Salmen.
Von Karrieregedanken getrieben, habe er sich zur SS gemeldet. Fortan habe er im Dienste eines verbrecherischen Systems gestanden, dessen Befehle er befolgen musste. Sich zu verweigern habe er aus Angst vor den Folgen nicht gewagt. Heute bereue Hanning sein Verhalten und schäme sich. Der Prozess habe Spuren hinterlassen: „Er ist ein gebrochener alter Mann und nicht mehr derjenige, der er vor der Verhandlung gewesen sein mag", sagte Salmen.
Zuvor hatte Richterin Anke Grudda den rechtlichen Hinweis erteilt, dass das Gericht in seinen Urteilsberatungen auch statt der Behilfe zum Mord die Mittäterschaft berücksichtigen könnte. Käme eine Verurteilung wegen Mittäterschaft zum tragen, läge die Haftstrafe bei Lebenslänglich. Beihilfe würde mit Haft zwischen drei und 15 Jahren geahndet. Das Urteil soll am Freitag, 17. Juni, um 14 Uhr in den Räumen des Detmolder Landgerichts gesprochen werden.