Detmold. Mehr als zwei Jahre ist es her, dass die Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) Düsseldorf und Oberstaatsanwalt Andreas Brendel an der Tür von Reinhold Hanning in Lage schellten. Über die damalige Vernehmung des Rentners, der sich seit dem 11. Februar vor dem Landgericht Detmold wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen verantworten muss, wird Freitag am sechsten Prozesstag der LKA-Ermittler Stefan Willms berichten.
Am 19. Februar 2014 stellte sich Hanning, der eine Wohnung im Haus seines Sohnes bewohnt, in dessen Beisein den Fragen der Ermittler. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft hätten den heute 94-Jährigen, der gerade von einem Arztbesuch heimgekehrt sei, damit überrumpelt, lautet der Vorwurf der Verteidigung. Anwalt Johannes Salmen hat deshalb beantragt, dass die Aussage seines Mandanten im Verfahren nicht gewertet wird.
Mit dem Besuch der Ermittler dürfte Hanning, der als Mitglied des SS-Totenkopfsturmbanns im Vernichtungslager Auschwitz von Januar 1943 bis Juni 1944 Beihilfe am Massenmord geleistet haben soll, jedoch gerechnet haben. Denn dass es Ermittlungen gegen einen ehemaligen SS-Wachmann aus Lage gab, war schon ein Jahr zuvor publik geworden.
2012 beginnen die Ermittlungen
Ende 2012 hatte die Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Hannings Name war zusammen mit 50 anderen auf einer Bekleidungsliste des KZ Auschwitz entdeckt worden. Schnell schrumpfte die Liste auf 30 – einige waren verstorben, andere nicht mehr verhandlungsfähig oder bereits in früherer Zeit verurteilt worden.
Oberstaatsanwalt Andreas Brendel, zuständig für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen, erhielt schließlich fünf Namen von Verdächtigen aus NRW: „Einer war bereits verstorben, ein anderer zog in ein anderes Bundesland und starb kurz darauf. Ein Dritter war verhandlungsunfähig", beschreibt er, wie sich die Zahl der potenziellen Beschuldigten immer weiter reduzierte. Am Ende blieb neben Hanning noch ein weiterer übrig: Jedoch stellte sich heraus, dass der Mann auf dem Weg von der Ostfront nur einen Tag in Auschwitz zur Einkleidung war. Die Ermittlungen wurden deshalb eingestellt.
Brendel reiste persönlich ins KZ nach Auschwitz und Birkenau: „Ich wollte mir ein Bild von dem Gelände machen." Im Auschwitz-Archiv seien die Ermittler auch auf Sterbebücher, in denen die SS-Verwaltung einen Teil der im Lager ermordeten Häftlinge vermerkte, und ein Bunkerbuch gestoßen – Papiere, die vorher nicht bekannt waren.
Die Einordnung der historischen Dokumente und der Papiere, die Hannings Tätigkeit belegen, wird an einem späteren Verhandlungstag der Historiker Stefan Hördler, Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, vornehmen. Aufschluss über das Wachsystem in Auschwitz soll der ehemalige KZ-Wärter Jakob Wendel geben, der heute als Zeuge gehört wird. Wendel ist der einzige SS-Mann, den die Kammer in diesem Prozess hören wird.