Schaut der Verfassungsschutz bei der AfD bald ganz genau hin?

Bielefeld. Geht es nach Medienberichten, dann will das Bundesamt für Verfassungsschutz noch im Januar bekannt geben, ob die AfD für die Behörde zum sogenannten "Verdachtsfall" wird. Doch was bedeutet das für die rechte Partei? Ein Experte ordnet die Situation ein - und auch AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen meldet sich gegenüber nw.de zu Wort. Vergangenen Dezember soll der Präsident des Bundes-Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, laut dem Spiegel den Innenministern von Bund und Ländern berichtet haben, dass der Einfluss des völkischen Flügels innerhalb der AfD größer geworden sei. Eine Entscheidung, ob die Partei bundesweit zum "Verdachtsfall" wird, soll demnach noch im Januar fallen. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes wollte sich gegenüber nw.de nicht zu den Berichten äußern. In einigen ostdeutschen Bundesländern werden AfD-Landesverbände bereits von den Verfassungsschutzorganen beobachtet. Derweil wird die Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) bundesweit bereits als "Verdachtsfall" eingestuft, der inzwischen aufgelösten Flügel der AfD um den Thüringer Landeschef Björn Höcke als "erwiesen extremistisch" beurteilt. Was sind die Konsequenzen? Für die Partei um die Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla hätte eine Beobachtung immense Auswirkungen. Denn dann könnten auch geheimdienstliche Mittel zur Überwachung der Partei eingesetzt werden. Abzuwarten bleibt dann aber, ob sich der "Verdachtsfall" bestätigt. Für den Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel, der sich intensiv mit der AfD beschäftigt, könnte eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz richtungsweisend für die Partei sein. "Ein solcher Schritt würde durchaus Mitglieder oder mögliche Wähler abschrecken", meint Schroeder. "Der normale Bürger geht dann womöglich eher auf Distanz, er möchte sich schließlich nicht 'extrem' genannt wissen." Im Umkehrschluss würden nur noch diejenigen bleiben oder rekrutiert werden, "denen der Verfassungsschutz ohnehin egal ist", mein Schroeder. "Hartgesonnene", nennt er diese Personen. Sollte diese Wirkung eintreten, dann, so Schroeder, "würde das Bemühen von Meuthen, die AfD als rechtskonservative Partei koalitionsfähig zu machen, zumindest mittelfristig konterkarriert werden". Schroeder weist zudem auf langfristige Perspektiven hin. 2017 wurde zuletzt ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei NPD vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen (bisher wurden nur zwei Parteien in der Bundesrepublik verboten; die Sozialistische Reichspartei 1952 und die Kommunistische Partei Deutschlands 1956). Das Gericht begründete die Entscheidung damals damit, dass die NPD zwar &bdquo;ideologisch eindeutig verfassungswidrig" sei, aber politisch zu unbedeutend, um sie verbieten zu können. Allerdings änderte die Regierung wenig später die staatliche Parteienfinanzierung, verfassungsfeindliche Parteien - wie die NPD - können künfig von dieser ausgeschlossen werden. Heißt: Wenn die AfD nicht nur ein "Verdachtsfall" bleiben sollte, sondern mit der Zeit als verfassungswidrig eingestuft wird, würde sich das auch auf die finanziellen Mittel der AfD auswirken. Worin besteht die Begründung? Noch sind diese Punkte jedoch Mutmaßungen. Schroeder erklärt: Alleine für die Einstufung als "Verdachtsfall" müssen begründete Erkenntnisse und Fakten über die Bestrebungen der Partei vorliegen. "Der Verfassungsschutz als Instrument schwächt schließlich die Wettbewerbsfähigkeit einer Partei und greift in den Wettbewerb mit anderen Parteien ein", so Schroeder. Doch auch wenn es zu einer Beobachtung der AfD kommt, kann die Partei dagegen noch immer klagen. Was sagt die AfD? Wenn die AfD eine wirkliche Alternative zu den etablierten Parteien sein will, sollte sie sich aus Sicht ihres Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland nicht nach dem Verfassungsschutz richten. "Wir sollten das, was der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, sagt, nicht zum Maßstab unseres Handelns machen", sagte Gauland. "Es gibt leider einige Leute bei uns, die zu stark in Richtung des Verfassungsschutzes denken; so kann man aber keine echte Opposition sein." Gauland geht zudem davon aus, dass die AfD "einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz sowieso nicht entgehen" werde. Denn diese Behörde "hat einen Auftrag zu erfüllen", mutmaßte der Fraktionschef. "Wir werden uns dagegen juristisch zur Wehr setzen und damit dann auch Erfolg haben." Jörg Meuthen betont gegenüber nw.de, dass die AfD für eine Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz keine inhaltliche Grundlage biete. "Wer die AfD kennt, weiß: An der Verfassungstreue unserer Partei kann es keinen Zweifel geben." Auch der AfD-Vorsitzende kündigte im Falle einer Beobachtung an, dass die Partei rechtliche Mittel einsetzen werde. Immerhin sei die Beobachtung eine "gezielte Image-Schädigung unserer Partei im Superwahljahr 2021". Bei welchen Parteien schaut der Verfassungsschutz noch hin? Im jährlich erscheinenden Verfassungsschutz des Bundes werden neben der NPD auch die rechtsextremen Splitterparteien "Der III. Weg" und Die Rechte beschrieben und dementsprechend beobachtet. Auf Seiten des Linksextremismus stehen die Deutsche Kommunistische Partei (KPD), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland (MLPD) und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) im Fokus. Was sagen NRW-Politiker zu einer möglichen Beobachtung? Marc Lürbke, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion NRW, sagt gegenüber nw.de: "Die AfD und die oftmals völkischen bis rechtsextremen Positionen ihrer Mitglieder sind aus meiner Sicht unvermindert großer Anlass zur Sorge und zu erhöhter Wachsamkeit. Die AfD bleibt auch nach Auflösung des erwiesen extremistischen Flügels offenbar ein Sammelbecken rechter Ideologien und extremistischer Brandstifter von ganz Rechtsaußen." Für seine Fraktion sei es wichtig, dass die Entscheidung über eine mögliche nachrichtendienstliche Beobachtung "aus gutem Grund nicht von der Politik getroffen wird, sondern allein dem Verfassungsschutz obliegt." Nur dort liegen die für eine Beurteile belastbaren Erkenntnisse. "Das A und O ist aber in jedem Fall eine rechtsfeste Begründung, die einer möglichen Klage stand hält. Ansonsten böte man der AfD womöglich gerade eine weitere Bühne, um sich als vermeintliches Opfer des rechtsstaatlichen Systems darzustellen." Sven Wolf, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, betont derweil: "Die AfD ist längst zu einer extremistischen Partei mutiert. Deshalb muss sie jetzt auch in NRW vom reinen Prüffall zu einem Verdachtsfall werden, um auch nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz einsetzen zu können." Diese Forderung stellen Wolf und seine Fraktion bereits seit fast einem Jahr. "Viele Expertinnen und Experten teilen unsere Meinung", so Wolf. "Wir stehen damit auch an der Seite vieler sozialdemokratischer Innenpolitiker aus Bund und Ländern." Der innenpolitischen Sprecher der CDU in NRW, Christos Katzidis, sagt: "Die Gesinnung einiger Mitglieder der AfD NRW wird anhand der Redebeiträge und Zwischenrufe im Landtag von NRW immer wieder deutlich." Die Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" sei nach seiner Überzeugung "gerechtfertigt".

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