Aussagen von AfDlern aus Minden-Lübbecke dienen Verfassungsschutz offenbar als Belastungsbeleg

Bad Oeynhausen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Partei &bdquo;Alternative für Deutschland“ seit 2022 als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Ein wichtiger Teil der Parteimitglieder äußert sich immer wieder völkisch-nationalistisch, islamfeindlich, antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und den Nationalsozialismus verharmlosend, kurz: verfassungsfeindlich. Die Partei taucht deshalb in den öffentlichen Verfassungsschutzberichten auf. Der Inlandsgeheimdienst hat dafür bundesweit öffentliche Äußerungen von Parteifunktionären ausgewertet. Unklar blieb bislang, von wem diese Aussagen stammen. Das ist seit einigen Tagen anders. Das Internetblog Netzpolitik.org hat Anfang Februar ein etwa 1.000 Seiten starkes Gutachten des Verfassungsschutzes veröffentlicht, das Grundlage der Einstufung ist. Es wurde bereits 2021 erstellt und sollte eigentlich Verschlusssache bleiben. Das Gutachten erlaubt einen tiefen Einblick in das Netzwerk der Neuen Rechten, die Strukturen der AfD und die Denkweisen ihrer Funktionäre. Zwei Parteipolitiker aus dem Mühlenkreis tauchen in dem Text wiederholt auf: der Mindener Thomas Röckemann und der Bad Oeynhausener Markus Wagner. Die AfD hat die erste Stufe der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 2019 erklommen. Grundlage dafür war ebenfalls ein Gutachten, das weniger als halb so viele Seiten wie das jüngst geleakte Gutachten hat und das vor zwei Jahren bereits von Netzpolitik.org veröffentlicht wurde. Darin wird der Mindener Thomas Röckemann dreimal mit völkisch-nationalistischen Äußerungen aus sozialen Netzwerken zitiert. Dem Mindener Rechtsanwalt wird außerdem eine Nähe zur innerparteilichen völkisch-nationalistischen Strömung &bdquo;Flügel“ um Björn Höcke attestiert, der sich inzwischen aufgelöst haben soll. Allein in NRW zählt der Landesverfassungsschutz 950 Flügel-Anhänger, die weiter in der AfD aktiv sind. Lesen Sie dazu: Rechtsextremer &bdquo;Flügel“ in der AfD: Wieso es Zweifel an der Auflösung gibt Auch Äußerungen zweier AfD-Männer aus Mühlenkreis relevant Auch für das Gutachten von 2021 hat der Verfassungsschutz ausschließlich öffentlich einsehbare Verlautbarungen der Partei und ihrer Funktionäre verwendet. Darunter rund 1.800 Facebook-Posts, 250 Twitter-Tweets und 200 Youtube-Videos. Besonders interessant sind allerdings die öffentlichen Äußerungen von 302 Parteifunktionären. Darunter die beiden AfD-Männer aus dem Mühlenkreis. Die AfD klagte gegen die Hochstufung des Verfassungsschutzes und damit auch gegen dieses zweite Gutachten und scheiterte im Mai 2024 vorm Oberverwaltungsgericht Münster. In die Zeitspanne, in der das 2021er Gutachten erstellt wurde, fällt der Ausbruch der Corona-Pandemie, die für extrem rechtes Gedankengut als Brandbeschleuniger wirkte. Teile der AfD machten damals in sozialen Medien Stimmung gegen eine &bdquo;Corona-Diktatur“ und bezeichneten das Infektionsschutzgesetz als &bdquo;Ermächtigungsgesetz“, was der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen vergeblich rügte. AfD-Politiker aus Bad Oeynhausen: Ausnahme in Corona-Pandemie Eine Ausnahme war der AfD-Landtagsabgeordnete Markus Wagner aus Bad Oeynhausen. Er blieb den damals aufkommenden Anti-Corona-Demos und Protestspaziergängen fern. Wagner, damals noch AfD-Fraktionschef im Landtag von NRW, ließ sich und seine Familie als eine der ersten in der Kurstadt gegen das Coronavirus impfen. Wagner ist Geschäftsführer einer Einrichtung zur Eingliederungshilfe. In der Coronakrise war seine Impfung allerdings ein Skandal, weil der Impfstoff knapp war und zunächst für Risikogruppen zur Verfügung stehen sollte. Wagner äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu. Aus dem Archiv: Der geimpfte AfD-Spitzenkandidat Weder die Bewohner von Wagners Einrichtung noch Mitarbeiter oder deren Angehörige genossen damals höchste Impfpriorität. Hatte sich Wagner vorgedrängelt? Der Kreiskrisenstab erklärte den Skandal damals gegenüber der &bdquo;Neuen Westfälischen“ mit einer Verwechselung: Die Berolina GmbH mit Geschäftsführer Wagner sei versehentlich als Klinik eingestuft worden. Die gleichnamige Berolina-Klinik wäre dagegen impfberechtigt gewesen. Allerdings wissen Ortskundige: Die Berolina-Klinik befindet sich nicht in Bad Oeynhausen und auch nicht im Mühlenkreis, sondern in der Nachbarstadt Löhne im Kreis Herford. Der Krisenstab des Mühlenkreises wäre also gar nicht zuständig gewesen. Verfassungsschutz blickt auf Netzwerk der Neuen Rechten Der Verfassungsschutz interessiert sich für etwas anderes. Die Gutachter beschreiben das Netzwerk der Neuen Rechten und die Verbindungen der AfD zu einem rechten Internetblog namens &bdquo;PI-News“. Spitzenfunktionäre der AfD gratulierten dem Blog zum 15-jährigen Bestehen, in einem am 10. November 2019 veröffentlichten Youtube-Video. Markus Wagner nannte &bdquo;PI-News“ in dem Video ein &bdquo;wertvolles Korrektiv in der Medienlandschaft“. Auf diesem Internetblog wurde zuvor immer wieder gegen den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) agitiert, er wurde als &bdquo;Volksverräter“ beschimpft und seine Privatadresse veröffentlicht. Walter Lübcke wurde am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses ermordet. Markus Wagner erklärte dazu auf Nachfrage: &bdquo;Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus widern mich an – ungerechtfertigte Vorwürfe derselben hingegen auch, denn ’PI-News’ war zum Zeitpunkt der Gratulation auch vom Verfassungsschutz nicht als rechtsextrem bewertet worden.“ Bilderbuch-Skandal der AfD-Landtagsfraktion Ein Beleg für die fremdenfeindliche Grundeinstellung vieler AfD-Funktionäre ist dem Verfassungsschutz auch der Bilderbuch-Skandal der AfD-Landtagsfraktion um Wagner. Nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015 wurden Männer mit Migrationshintergrund pauschal als Triebtäter verunglimpft. Die AfD-Landtagsfraktion thematisierte das 2019 in einem Bilderbuch zum Ausmalen. Markus Wagner schrieb das Grußwort. Demnach sollte das Kinderbuch mit &bdquo;humorvollen Zeichnungen“ und &bdquo;poetischen Beiträgen“ AfD-Positionen deutlich machen. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes enthielt das Buch &bdquo;Darstellungen, die rassistische und islamfeindliche Stereotype bedienen“. So seien beispielsweise in Schwimmbädern Männer mit Knochen im Haar gezeigt worden, die nach jungen Mädchen greifen. Weitere Darstellungen thematisierten die Gräueltaten des Islamischen Staats. Die Gutachter erkannten in der &bdquo;verächtlich machenden Gestaltung“ des Buches die &bdquo;Abwertung ganzer Bevölkerungsgruppen“. &bdquo;Die Ermittlungen zum angeblichen Malbuch-Skandal sind lange eingestellt - nichts davon war strafwürdig oder extremistisch“, erklärt Markus Wager dazu. &bdquo;Trotz dessen hatte die Fraktion damals nach Sichtung der noch gar nicht ordentlich freigebenden Arbeitsfassung auf das Projekt verzichtet. Und wir haben daraufhin mit entsprechendem Personal und mit mehr Qualitäts- und Ablaufsicherung reagiert.“ Rechtsausleger der Mühlenkreis-AfD Der Name Thomas Röckemann taucht in den Gutachten deutlich häufiger auf. Der Mindener sympathisierte mit den Coronaprotesten. Schon 2019 analysierte der Verfassungsschutz, Röckemann vertrete &bdquo;ein Politikverständnis, das nicht auf den Interessensausgleich in einer pluralistischen, freiheitlichen Gesellschaft ausgerichtet ist, sondern auf einem identitären Volksverständnis basiert“. Röckemann war damals noch rechtspolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion und Co-Vorsitzender der Landespartei. Inzwischen ist er nicht mehr im Landtag vertreten, sitzt aber für die AfD im Kreistag und im Mindener Stadtrat. Der damalige Co-Landesvorsitzende Helmut Seifen warnte vor Röckemann und dem Erstarken des Höcke-Flügels in NRW als &bdquo;Partei in der Partei“. Aus dem Archiv: Mittendrin: Rechtsextreme bei nicht genehmigter Kundgebung von Impfgegnern Im Europawahlkampf 2019 trat Röckemann laut Verfassungsschutz mit der Forderung hervor, die &bdquo;Kulturnationen“ Europas gegen Einwanderung zu verteidigen, und rief in einer Rede in Gütersloh: &bdquo;Holen wir uns unser Deutschland zurück!“ Auf Facebook wurde Röckemann Monate später laut Gutachten deutlicher: &bdquo;Einziges Ziel der Migranten ist das Abgreifen von Sozialleistungen und deren Transfer in die Heimat.“ Dass Menschen um ihr Leben fürchten und deshalb nach Europa fliehen, kam Röckemann offensichtlich gar nicht in den Sinn. Die Verfassungsschutz-Gutachter haben auch entlastendes Material zusammengetragen, dafür stehen die beiden Politiker aus dem Mühlenkreis aber nicht Pate. Die Äußerungen der beiden AfD-Funktionäre sind auch bloß zwei Mosaiksteinchen im Gesamtbild. Als das Gutachten 2021 fertig war, war der weitere Weg der AfD in den Rechtsextremismus nach Ansicht des Verfassungsschutzes noch offen. Das Fazit: Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich die &bdquo;erwiesen extremistischen Bestrebungen in der Gesamtpartei“ durchsetzen könnten. Vor allem der extrem rechte Parteiflügel treffe in der AfD auf &bdquo;Nähr- und Resonanzboden“ und sein Einfluss zeige sich &bdquo;in zahlreichen gewichtigen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen“. AfD auf dem Weg zum Parteiverbot? Nach Einschätzung von Beobachtern ist die AfD mittlerweile noch radikaler geworden. Im Januar 2022 trat der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen zurück. Das Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam unter Beteiligung von AfD-Funktionären zum Thema &bdquo;Remigration“ fand im November 2023 statt. Die Reichsbürger-Verschwörung um Heinrich XIII. Reuß wurde im Dezember 2023 aufgedeckt. Beteiligt daran war nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden die ehemalige Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Der Landesverfassungsschutz NRW hält derzeit nur Teile der AfD für rechtsextrem. Der völkisch-nationalistische Flügel-Nachfolger sei ein &bdquo;relevanter - jedoch nicht dominierender - Faktor im Landesverband der AfD“, heißt es im Landesbericht 2023. Äußerungen von Thomas Röckemann beim Wahlforum der Industrie- und Handelskammer im Dezember 2022 haben zuletzt für Wirbel und eine Ermittlung wegen Volksverhetzung gesorgt. Er soll davon gesprochen haben, dass &bdquo;der Volkskörper dezimiert“ werden müsse und eine Abschiebeinitiative gefordert haben. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelte. Das Amtsgericht Lübbecke stellte das Verfahren 2024 mangels Tatverdachts ein. Anders als Markus Wagner ließ Thomas Röckemann die Gelegenheit zur Stellungnahme verstreichen. Das Ergebnis des dritten Gutachtens des Bundesamtes für Verfassungsschutzes könnte Grundlage für ein Verbotsverfahren der AfD werden. Es sollte nach Recherchen der &bdquo;Süddeutschen Zeitung“eigentlich längst veröffentlicht werden und soll die AfD als &bdquo;gesichert rechtsextrem“ bezeichnen. Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl wurde darauf verzichtet. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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