Fragen und Antworten

AfD laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextremistisch – was das bedeutet

In Umfragen ging es für die AfD zuletzt aufwärts. Wie sich die Neubewertung als gesichert rechtsextremistisch für die Partei von Alice Weidel und Tino Chrupalla auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Die AfD-Vositzenden Alice Weidel (l.) und Tino Chrupalla. | © picture alliance / SZ Photo

Berlin (dpa). Die AfD wird vom Verfassungsschutz jetzt als rechtsextremistische Partei beobachtet. Was bedeutet das für die Zukunft der Partei und für ihre Mitglieder? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Auf welcher Grundlage fällt so eine Entscheidung?

Der Verfassungsschutz ist als ein Element der wehrhaften Demokratie nicht nur für Spionageabwehr und die Aufklärung terroristischer Bestrebungen verantwortlich. Er soll auch eine Art Frühwarnsystem sein.Das bedeutet, er hat die Aufgabe, rechtzeitig Gruppierungen zu erkennen und benennen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Dabei geht es um die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.

Außerdem wird betrachtet, welche Kontakte zu anderen extremistischen Gruppierungen bestehen. Wie aus der Mitteilung des Bundesamtes hervorgeht, stützt sich der Verfassungsschutz in seiner Neubewertung derAfD vor allem auf Äußerungen und Positionen, bei denen es um die Verletzung der Menschenwürde geht – etwa durch die Abwertung von Muslimen oder pauschal verwendete Begriffe wie „Messermigranten“.

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Muss die Partei mit einem Verbot rechnen?

Mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das BfV zwar vordergründig nichts zu tun. Denn dieses kann nur von Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigtfühlen, einen solchen Antrag zu stellen.

Bundeskanzler Olaf Scholz warnt trotz der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch vor einem voreiligen Verbotsverfahren. „Ich finde, das ist eine Sache, die man nicht übers Knie brechen darf“, sagte der SPD-Politiker. Das Bundesverfassungsgericht habe alle Verbotsanträge der letzten Zeit abgelehnt. „Ich bin gegen einen Schnellschuss und werde deshalb auch nicht sagen, so sollten wir es machen.“ Die Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sei sehr sorgfältig vorbereitet. „Die vielen Seiten müssen jetzt auch malvon vielen gelesen werden“, sagte Scholz.

Was steht in dem Gutachten?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat vor der Entscheidung ein rund 1.110 Seiten starkes Gutachten zu der Partei erstellt. Das Gutachten ist nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt. Es listetunter anderem Äußerungen auf, die der Verfassungsschutz als „fortlaufende Agitation“ gegen Geflüchtete und Migranten wertet. Entsprechende Äußerungen von AfD-Politikern finden sich nicht nur in der internenKommunikation, sondern auch in Reden und sozialen Medien. Sie reichen von Slogans wie „Abschieben schafft Wohnraum!“ bis zu Sätzen wie „Jeder Fremde mehr in diesem Land ist einer zu viel.“

Wer bekommt das Gutachten zu sehen?

Das Bundesinnenministerium hat es erhalten, außerdem die Verfassungsschützer in den Ländern. Eine Veröffentlichung des internen Arbeitspapiers, in das auch Erkenntnisse aus dem zurückliegendenBundestagswahlkampf eingeflossen sind, ist nicht vorgesehen. Das Gutachten, das der Verfassungsschutz vor der Einstufung als „Verdachtsfall“ erstellt hatte, war allerdings von dem auf digitale Freiheitsrechte spezialisierten Online-Medium netzpolitik.org veröffentlicht worden.

Was ändert sich durch die Hochstufung konkret?

Die Möglichkeiten der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ändern sich durch die neue Einstufung grundsätzlich nicht. Das Bundesamt darf auch gegen einen „Verdachtsfall“ sogenannte nachrichtendienstliche Mittel einsetzen - dazu zählt der Einsatz verdeckter Ermittler und von V-Leuten oder das Abhören von Telefonaten.

Einen Unterschied macht die Hochstufung dabei jedoch: Die vom Verfassungsschutz eingesetzten Mittel müssen verhältnismäßig sein. Bei einer „gesichert extremistischen Bestrebung“ können weitreichende Überwachungsmaßnahmen eher als verhältnismäßig angesehen werden, als bei einem „Verdachtsfall“.

Bald kein Geld mehr vom Staat?

Zwei Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische Partei NPD, die sich 2023 in „Die Heimat“ umbenannt hat, scheiterten: das erste Mal, im Jahr 2003, weil sich herausstellte, dass der NPD-Führungsriege mehrereInformanten des Verfassungsschutzes – sogenannte V-Leute – angehörten. Das zweite Mal, im Jahr 2017, urteilte das Bundesverfassungsgericht, die NPD sei zwar eindeutig verfassungsfeindlich, politisch aber mittlerweilebedeutungslos. Im Januar 2024 gab das Bundesverfassungsgericht allerdings einem Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung statt, der Partei „Die Heimat“ den Zugang zu weiteren staatlichen finanziellen Mitteln zu verwehren, durch den Ausschluss von der Parteienfinanzierung.

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Seit einer Grundgesetzänderung von 2017 kann „Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zubeseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“, die staatliche Finanzierung aus Steuergeldern gestrichen werden.

Welche Möglichkeiten hat die AfD, um zu reagieren?

Wahrscheinlich ist, dass die AfD – wie bei früheren Einstufungen durch den Verfassungsschutz – auch diesmal wieder dagegen klagen wird. Die Gerichte müssen dann prüfen, ob und in welchem Maße die Partei gegen dieGrundprinzipien der Verfassung verstößt. Es kann Jahre dauern, bis die neue Einstufung der AfD-Bundespartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ tatsächlich rechtskräftig ist.

In erster Instanz ist das Verwaltungsgericht (VG) Köln zuständig, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz in Köln hat. Über eine Berufung entscheidet dann das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster und über eine Revision das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Ob die Einstufung des Verfassungsschutzes berechtigt ist, wird dabei umfassend geprüft.

Wird das der AfD politisch schaden?

Das wird sich zeigen. In drei ostdeutschen Ländern – Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt – galt der jeweilige Landesverband bereits als gesichert rechtsextremistisch. Bei der zurückliegenden Bundestagswahlhat das der Partei dort nicht geschadet. In westlichen Bundesländern mag das anders aussehen.

Die AfD hatte in Wahlumfragen in den vergangenen Wochen zugelegt und war an die Werte der CDU/CSU herangerückt, teils auch darüber hinaus. Im aktuellen ZDF-Politbarometer liegt die Union (27 Prozent) hingegenwieder mit deutlichem Abstand vor der AfD (23 Prozent).

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar war die AfD mit 20,8 Prozent auf dem zweiten Platz gelandet. Wie groß die Zustimmung für die Partei künftig sein wird, dürfte wahrscheinlich wesentlich auch davon abhängen, ob die neue schwarz-rote Koalition wie angekündigt positive Impulse für die deutsche Wirtschaft setzen, die Zahl der unerlaubten Einreisen reduzieren und dafür sorgen kann, dass Wohnen, Energie und Lebensmittel für alle bezahlbar sind.

Sollte das Gutachten nicht schon 2024 kommen?

Der frühere BfV-Präsident, Thomas Haldenwang, wollte das aktuelle Gutachten zur AfD eigentlich schon im vergangenen Jahr fertigstellen. Durch die vorgezogene Bundestagswahl und Haldenwangs Ausscheiden imDezember änderte sich der Zeitplan jedoch. Derzeit führen die Vizepräsidenten Sinan Selen und Silke Willems den Inlandsdienst.

Viel war zuletzt darüber spekuliert worden, ob das Gutachten womöglich zurückgehalten wurde, um einen politisch günstigen Zeitpunkt für die Neubewertung zu wählen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur erreichte das Dokument das Bundesinnenministerium am vergangenen Montag, als die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf Dienstreise in Österreich war.

Unter den Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen hatte es in den vergangenen Tagen Diskussionen darüber gegeben, ob man Abgeordnete der AfD zu Ausschussvorsitzenden wählen solle oder nicht. Der designierteUnionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte unlängst eine heftige Kontroverse ausgelöst mit dem Vorschlag, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien.

Was bedeutet die Entscheidung für einzelne AfD-Mitglieder?

Eine Mitgliedschaft in einer als rechtsextremistisch eingestuften Partei kann Zweifel an der Verfassungstreue begründen. Allerdings ist die Mitgliedschaft allein noch nicht ausreichend für dienstrechtlicheKonsequenzen bei Beamten, sondern der Einzelfall wird betrachtet. Das Gleiche gilt für den Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis bei Jägern und Schützen.