Konfliktforscher Zick über Corona-Proteste: "Es wird zu Hasstaten kommen"

Herr Zick, nach der US-Wahl war ein Phänomen besonders auffällig: Nachdem Donald Trump von Wahlbetrug twitterte, übernahmen sofort sehr unterschiedliche Gruppen auch im deutschsprachigen Raum dieses Narrativ: AfD-Vertreter, Identitäre und Rechtsextreme, aber auch "Querdenker” und Corona-Demonstranten. Welche Koalitionen haben sich da gebildet?Andreas Zick: Es sind einerseits die langjährigen Koalitionen der europäischen und amerikanischen Ultrarechten. Die AfD hat wie andere Parteien des rechten Flügels in Europa Trump favorisiert. Was in der Corona-Pandemie dazu kommt, sind neue Wechselwirkungen zwischen der gemeinsamen Idee einer ultrarechten internationalen Bewegung und Verschwörungsgruppen. Trump hat Sympathien zum Beispiel zu QAnon geäußert, er hat rechtsextreme Kadergruppen in den USA positiv beurteilt. Da die europäische Rechte Trump zum Vorbild einer erfolgreichen Politik auserkoren hat, führt das hierzu, dass ultranationale rechte Parteien sich auch für extremistische und radikale Gruppen öffnen. Zudem hat Trump mehr oder minder direkt das befördert, was wir in Europa als neurechte Ideologien und Bewegungen bezeichnen, also extrem rechte Gruppen, die sich zwar von Gewalt distanzieren, aber die nationale Identität und Feindbilder gegenüber Multikulturalismus und Immigration hochhalten sowie die sogenannten Ethnopluralismus predigen. Gemeint ist damit die Idee, dass jedes Volk eine unverkennbare Identität hat und sich durch Migration nicht vermischen sollte. Diese moderne Verbindung zwischen amerikanischem Nationalismus und europäischen neurechten Ideologien erklärt, warum die Polarisierung in den USA, die Spaltungen des Volkes in Gute und Schlechte, auf einmal auch hier anschlussfähig ist. Unverhohlen ruft die Trump-Kampagne ihre Anhänger auf, "zurückzuschlagen” gegen den Versuch der "radikalen Linken, die Wahl zu stehlen”. Wie gefährlich kann das noch werden?Zick: Die Kommunikationsstrategie von Trump hat über Jahre die westliche Welt polarisiert. Die Strategie ist einfach: Wir sind die Allergrößten. Linke, Migranten, nicht-christliche Gruppen und viele andere sind bedrohlich - und daher ist die Welt in Unordnung geraten. Die Unordnung kann nur durch uns aufgehoben werden, daher diskutieren wir nicht, sondern machen etwas, also Grenzen bauen, Zölle einführen. Trump hat aus seinem stereotypen Europabild, das auf der Idee basiert, dass in Europa Linke die Welt bestimmen, ein eigenes Programm gemacht. In den USA hat es mindestens eine erklärte Anhängerin der Verschwörungserzählung QAnon ins Repräsentantenhaus geschafft. Diese Erzählung gewinnt auch in Deutschland rasant an Anhängern. Wie gefährlich ist diese Ideologie?Zick: Nach allen Daten die wir aus empirischen Studien haben, ist das brandgefährlich, weil diese Ideologien mit menschenfeindlichen Orientierungen, rechtsextremen Einstellungen, mit Gewaltbilligungen und Gewaltbereitschaft einhergehen. QAnon hat radikale und extremistische Gruppen und Zellen gegründet. Wer an diese Verschwörung glaubt, wird die staatliche Demokratie mit ihren Regeln nicht anerkennen und meinen, sich im Widerstand gegen teuflische Kräfte zu befinden. Der AfD-Politiker Björn Höcke wirbt um Querdenker. Bisher konnte die AfD jedoch kaum während der Pandemie punkten. Könnte sich das ändern?Zick: Bisher hat die AfD es daher nicht geschafft, sich an die parlamentarische Spitze der Proteste gegen die harten Corona-Regeln zu stellen. Das ist derzeit auch vorbei. Allerdings wissen wir nicht, wie hart die Krise noch wird und ob die Frustrationen von Bürgerinnen und Bürgern zunehmen, sodass die AfD eine zweite Chance bekommt, sich als politisches Sammelbecken der "Freiheitskämpfer” zu inszenieren. Die Forschung zeigt, dass gerade erst im Auslauf und nach Krisen die gesellschaftlichen Konflikte zunehmen, daher sind Prognosen schwer. Das nun kaum mehr in der Gesellschaft zu leugnende rechtsextreme Potenzial der Partei hat aber sicherlich im Moment Wirkungen und macht die Partei nicht attraktiv bei Menschen. In Deutschland ist nach allen Daten und trotz allem Misstrauen das Vertrauen in Demokratie extrem hoch. Am Sonnabend mobilisiert "Querdenken” erneut bundesweit zu einer Demonstration, diesmal in Leipzig. Stärker als vorher rufen Rechtsextreme zur Teilnahme auf, es kursieren Gewaltszenarien. Wie radikalisiert ist die Bewegung bereits?Zick: In den sozialen Netzwerken ist sie hoch radikalisiert, weil dort Gewaltbilder und aggressive Tendenz zunehmen. Die Feindbilder sind dort klar, die Netzwerke geschlossen. Die Radikalisierung wird allein deshalb vorangetrieben, weil es dort Überbietungswettbewerbe gibt zwischen Gruppen, die versuchen Meinungsführung zu übernehmen. Die Straßenproteste begleiten das und geben der Bewegung Stabilität. Wir haben ja bereits aggressive Angriffe auf Polizei und Politiker sowie einen ersten Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut gesehen. Ich denke, es wird radikaler und aggressiver. Es wird zu Hasstaten kommen, weil Gruppen auch lokal Aktionen planen. Das Problem der Querdenker ist dabei, die Gewaltdistanz zu halten, denn das hängt von Lippenbekenntnissen nicht ab. Querdenker stehen selbst unter dem Druck nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Reichsbürger haben mit der Besetzung der Treppe des Reichstagsgebäudes Punkte gemacht, weil solche Inszenierungen Bilder erzeugen. Radikalisierung hängt maßgeblich von einer überbordenden Identifikation ab. Die Pandemie erleichtert solche Radikalisierungen, insbesondere dann, wenn zunehmen abweichendes und kriminelles Handeln von Gruppen gezeigt wird und das als legitim wahrgenommen wird. Welches Gewaltpotenzial birgt die Auseinandersetzung über Corona-Einschränkungen?Zick: Als Forscher möchte ich bei der Frage nach Gewalt als Forscher gerne auf der Grundlagen von Daten, also Fakten und Studien antworten. Wir brauchen dringend ein klares Bild der Gewalttaten in Corona-Zeiten und dies auch mit Blick auf Gewalt, die von den Gruppen ausgeht, unabhängig davon, ob sie zur Verurteilung führen. Es geht zum Beispiel um Anzeigen, die systematisch danach ausgewertet werden können. Unsere Studien vor der Corona-Zeit zeigen, dass Menschen, die Verschwörungsmythen glauben, gewaltbereiter und gewaltbilligender sind als jene, die nicht daran glauben.

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