Gesetz für Homeoffice

Vorreiter Portugal: Klare Homeoffice-Regeln und Kontaktverbot für Chefs

"Recht auf Ruhe" und Verbote: Neue Regelungen zur Heimarbeit stärken die Rechte der Arbeitnehmer und nehmen Unternehmen in die Pflicht.

Teil der
Arbeitsrechtsreform ist auch ein Verbot, die Angestellten außerhalb der
Arbeitszeiten zu kontaktieren.
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Ralph Schulze
15.11.2021 | 16.11.2021, 07:55

Die Arbeit im Homeoffice, die sich in Corona-Zeiten stark ausbreitete, hat viele Vorteile. Und sie wird von immer mehr Arbeitnehmern für die Zeit nach der Pandemie gewünscht. Aber sie bringt für manche Telearbeiter auch ein paar Nebenwirkungen mit sich, die den Heimarbeitsalltag trüben können.

Portugal, das in Sachen Digitalisierung zu Europas Vorreitern gehört und als Paradies für Telearbeiter gilt, hat das Problem erkannt. Gerade trat in dem südeuropäischen Land ein weitreichendes Gesetz in Kraft, dass die Rechte der Homeoffice-Arbeiter stärkt und die Unternehmen in die Pflicht nimmt.

So räumt der neue Homeoffice-Erlass allen Büroangestellten mit Kindern bis zu acht Jahren das Recht ein, von zu Hause aus zu arbeiten. Der Arbeitgeber darf dies nicht ablehnen, soweit die Telearbeit technisch und organisatorisch möglich ist. Extrakosten für Computer, Internet und Strom müssen vom Betrieb übernommen werden. Das Recht auf Heimarbeit gilt allerdings nur, wenn das Unternehmen mindestens zehn Mitarbeiter hat.

Verbot für Anrufe außerhalb der Arbeitszeit

Teil der Arbeitsrechtsreform ist auch ein Verbot, die Angestellten außerhalb der Arbeitszeiten mit Anrufen, Emails und Kurznachrichten per Whatsapp oder Telegram zu kontaktieren. Bei Verstößen gegen das „Recht auf Ruhe", wie es portugiesische Medien nennen, drohen empfindliche Geldstrafen.

Das neue Kontaktverbot schützt übrigens künftig nicht nur Heimarbeiter vor respektlosen Vorgesetzten, sondern alle Arbeitnehmer in Portugal – unabhängig davon, ob sie zu Hause oder im Unternehmen arbeiten. Ausnahmen gelten nur im Falle „höherer Gewalt" wie es etwas schwammig im Gesetz heißt.

Zur „höheren Gewalt" dürfe aber nicht zählen, dass der Chef am Wochenende die Angestellten zur Erledigung einer Aufgabe anhalten wolle, stellten portugiesische Juristen umgehend klar. Sondern darunter seien „nicht vorhersehbare Ereignisse im Betrieb" zu verstehen, über welche die Mitarbeiter informiert werden müssten. Etwa schwere Betriebsstörungen durch Unfälle, Brände oder Streiks.

"Vorteile nutzen und Nachteile beseitigen"

Es sei an der Zeit, dem Missbrauch im Arbeitsleben Grenzen zu setzen, sagte Portugals sozialistische Ministerin für Beschäftigung, Ana Mendes Godinho. Die Notwendigkeit zu Reformen habe sich in den letzten Monaten vor allem in der Heimarbeit gezeigt, die angeschoben durch die Corona-Epidemie vielerorts eingeführt worden sei. Das Gesetz habe vor allem ein Ziel: „Wir wollen die Vorteile des Homeoffices nutzen und die Nachteile beseitigen."

Bis zum vergangenen Sommer war das Homeoffice für Portugals Büroarbeiter sogar Pflicht, um das Corona-Risiko in den Betrieben zu reduzieren. Dank einer rekordverdächtigen Impfquote von 88 Prozent ist die Zahl der Ansteckungen auf der iberischen Halbinsel inzwischen stark gesunken und die Telearbeit wird von der Regierung nur noch empfohlen.

Überwachung von Heimbüros untersagt

Zum neuen Arbeitsrecht gehören noch ein paar weitere Dinge, die das Privatleben der zu Hause sitzenden Telearbeiter schützen sollen. So wird zum Beispiel auch jede Form der Überwachung des Heimbüros untersagt, etwa durch Kameras oder andere elektronische Mittel.

Das Gesetz war mit den Stimmen der regierenden Sozialisten, die eine sozialdemokratische Linie verfolgen, verabschiedet worden. Zwei kleine Linksparteien hatten sich enthalten. Die konservative Opposition, welche die Arbeitgeber auf ihrer Seite hatte, stimmte dagegen.

Die Reform war übrigens einer der letzten Beschlüsse des portugiesischen Parlamentes, das in den nächsten Tagen aufgelöst wird. Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa hat Neuwahlen für Ende Januar angekündigt, nachdem der Haushalt der sozialistischen Minderheitsregierung von Premier António Costa keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus gefunden hatte.

KOMMENTAR DER REDAKTION


Abschalten muss möglich sein

Na, „typisch", hätten typische Deutsche wohl in den 70er und 80er Jahren gedacht. Diese Südländer. Im Angesicht einer weltweit grassierenden Pandemie und bei der gleichzeitigen Bewältigung eines rasanten technologischen Wandels, der unter dem Begriff „Digitalisierung" zusammengefasst wird, haben die Portugiesen nur ihre Ruhe im Sinn. Siesta, sonnige Wochenenden und lange Nächte. Doch heute, im halbwegs vereinten Europa, dürfen wir anders denken.

Das kleine Portugal, dessen Pro-Kopf-Einkommen kaum halb so groß ist wie das deutsche, zeigt uns, worauf es ankommt: Nicht Ehrgeiz und Wachstum sind Trumpf um jeden Preis. Langfristig zählen Nachhaltigkeit und ein gesundes Maß. Natürlich wissen auch Wirtschaftslenker, dass ausgeruhte Mitarbeiter am Ende kreativer und effizienter sind als jene, die ständig am Rande des Burn-outs entlangsurfen. Ferien, freie Tage und Feierabende müssen auch in Zeiten, in denen allzu viele Menschen allzeit online sind, der Erholung dienen. Abschalten muss auch im Homeoffice möglich sein. Es ist sinnvoll, dies in einem eigenen Gesetz aufzuschreiben, wenn alle Arbeitnehmer vor digitalen Vergiftungserscheinungen bewahrt werden sollen.