Meinung

Zwei Jahre NRW-Regierung: Mehr Schein als Sein?

Ministerpräsident Wüst klettert mit seiner Landes-CDU in Umfragen weiter nach oben. Dabei sind die Probleme in NRW nicht kleiner als anderswo, meint unser Autor.

Hendrik Wüst (CDU) führt seit zwei Jahren eine schwarz-grüne Koalition in NRW. | © Christoph Reichwein

Ingo Kalischek
29.07.2024 | 29.07.2024, 11:06

Oft hilft ein Blick in die Nachbarschaft, um zu merken, wie gut man es selber hat. So dürfte es auch der schwarz-grünen Landesregierung in NRW gehen, die inzwischen seit zwei Jahren regiert. In den ostdeutschen Ländern droht im Herbst beim Blick auf die Stärke der AfD ein politisches Erdbeben. In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein arbeiten CDU und Grüne längst nicht mehr so harmonisch, wie sie es gern hätten. Und über die zerstrittene Ampel-Regierung in Berlin wurde schon genug geschrieben. Da wirkt NRW fast wie die Insel der Glückseligkeit.

Während Kanzler Scholz (SPD) und seine Regierung in Umfragen längst im Sumpf stecken, passiert in NRW genau das Gegenteil. Allen voran Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) glänzt seit zwei Jahren in Erhebungen – und hat es geschafft, seine CDU in NRW als mit Abstand stärkste Kraft zu stabilisieren. Das ist sensationell und überraschend zugleich, da die Probleme in NRW nicht kleiner sind als anderswo. Der Lauf Wüsts und der Landes-CDU muss sich nicht zwingend ändern. Vielleicht geht es für die Regierung in den nächsten zwei Jahren ähnlich gut weiter. Doch es gibt zunehmend Anzeichen, die diese These infrage stellen.

Lesen Sie auch: Hohe Umfrage-Werte für Wüst passen nicht zur Lage im Land

Newsletter
Wirtschaft
Wöchentlich die neuesten Wirtschaftsthemen und Entwicklungen aus OWL.

Bei den großen politischen Linien steht die Landesregierung aufgrund bundesweiter Einflüsse vor noch größeren Herausforderungen, als bei Amtsantritt erwartet. Das riesige Kernprojekt – der Umbau der Industrie hin zur Klimaneutralität – wird massiv erschwert, weil die Wirtschaft lahmt und verunsichert ist. Zwar hält NRW beim Ausbau der Windkraft Wort – und treibt diesen nun stark voran. Doch zugleich deutet sich an, dass der vor allem für die Grünen prestigeträchtige Kohle-Ausstieg bis 2030 kaum zu schaffen sein wird, weil es nicht genug verlässliche Energien gibt, die als Notreserve herhalten können. Und dann?

Auch die frühkindliche Bildung ist längst ein Sorgenkind in NRW

Ein durchwachsenes Bild zeigt sich auch beim zweiten Kernthema – der Bildung. Auf die legt NRW zurecht einen Schwerpunkt und betont immer wieder, dieses Ressort vom Rotstift auszunehmen. Mit Ministerin Feller führt eine unaufgeregte Verwaltungsjuristin das schwierige Ministerium. Doch die Stimmung in der Landschaft bleibt schlecht. Es hat den Anschein, als nähmen die Probleme in den Klassenzimmern eher zu als ab – Personalmangel, Unterrichtsausfall, schlechte Infrastruktur – und Kinder, die sich immer weniger Kompetenzen aneignen. Ein Umsteuern wird Jahre dauern. Auch die frühkindliche Bildung ist längst ein Sorgenkind.

Lesen Sie auch: Wie OWL die schwarz-grüne Koalition auf eine Probe stellt

Es hat den Anschein, als nähmen die Probleme in den Klassenzimmern eher zu als ab. - © IMAGO/Funke Foto Services
Es hat den Anschein, als nähmen die Probleme in den Klassenzimmern eher zu als ab. | © IMAGO/Funke Foto Services

Hier wird die Achillesferse der Landesregierung sichtbar: Familien, die massivem Alltagsstress ausgesetzt sind, weil Kitas Öffnungszeiten reduzieren, Unterricht in Schulen ausfällt und weil sie vergeblich bezahlbare Pflegeplätze für ihre Eltern suchen, wird es wenig interessieren, ob CDU und Grüne im Land harmonisch regieren oder nicht. Und ob Wüst der bessere Kanzlerkandidat wäre als Merz.

Sie merken im Alltag an verschiedenen Stellen, dass der Staat nicht gut funktioniert – eben auch in NRW. Das Gefühl wird sich verstärken, sollte sich die angespannte Finanzlage des Landes konkret in den Kommunen bemerkbar machen, weil Leistungen gekürzt und Steuern erhöht werden müssen. Danach sieht es aktuell aus. Verstärkt wird dieses Gefühl der Rastlosigkeit und Unsicherheit durch Eindrücke zunehmender Kriminalität und der Zuwanderung, die viele Menschen inzwischen mehr als Problem denn als Chance wahrnehmen.

Noch verbindet ein Großteil der Bürger diese vielen Herausforderungen weniger mit der NRW-Regierung als mit der Ampel-Koalition, wie Umfragen zeigen. Das ist aber nur in Teilen richtig. Das gern vorgetragene Argument aus Düsseldorf, Berlin sei an vielem schuld, verkommt langsam zur Plattitüde. Die Hausaufgaben, die sich die NRW-Regierung vor zwei Jahren aufgegeben hat, muss sie schon selber erledigen. Daran dürfte sie in der zweiten Hälfte ihrer Amtszeit häufiger erinnert werden. Dann hilft auch nur bedingt, dass die Lage bei ihren Nachbarn mitunter noch angespannter ist.

Lesen Sie auch: Praxis-Tipp zur Grundsteuer: So berechnen Sie die mögliche Belastung ab 2025