Mit dem Urteil gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer Reinhold Hanning ist die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Detmold erwartungsgemäß der neueren Rechtssprechung gefolgt. Alles andere wäre ein Rückschritt gewesen angesichts der jahrzehntelangen Versäumnisse der Justiz, die NS-Verbrechen aufzuklären und die SS-Männer zu verurteilen. Lange genug hat sich die Justiz um die Bestrafung von Tausenden ehemaligen SS-Wachmännern herumgedrückt. Sie kamen ungeschoren davon, weil ihnen keine konkrete Tatbeteiligung nachzuweisen war. Wie zynisch! Diese Rechtsauffassung ist, zum Glück, seit dem Demjanjuk-Prozess überholt. Das Detmolder Urteil bestätigt das.
Mit viel Empathie hat Richterin Anke Grudda eine Stunde lang die Begründung geliefert. Anwälte von Nebenklägern bezeichneten die Detmolder Entscheidung später als "historisch", als "mehr als nur eine Fußnote in den Geschichtsbüchern". Denn erstmals hat ein deutsches Gericht den vollen Umfang der Verbrechen im Vernichtungslager abgeurteilt und damit deutlich gemacht: Auschwitz war eines Todesfabrik, aus der niemand lebend herauskommen sollte. Auschwitz steht für Massenvergasungen und Massenerschießungen, ja, aber Auschwitz steht auch für die Vernichtung der Menschen durch katastrophale Lebensumstände, Hunger und Schwerstarbeit. Und Reinhold Hanning spielte als SS-Unterscharführer eine wichtige Rolle im SS-Hierarchie-System und damit bei der Ermordung der Menschen.
Mit dem Urteil erfahren die Holocaust-Opfer endlich Gerechtigkeit. Vermutlich wird der alte Mann aus Lage niemals ins Gefängnis kommen. Doch darum ging es in diesem Prozess nie. Es ging um die historische Wahrheit und darum, dass Mörder und deren Helfer bis zu ihrem Tod von der Justiz zur Verantwortung zu ziehen sind. Denn auch eine viel zu späte Kehrtwende der Justiz ist ein gutes Zeichen für Deutschland und aus Deutschland in die ganze Welt.
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