Paderborns Bürgermeister Michael Dreier: „Ich stehe zu jeder Entscheidung“

In gut zwei Wochen sind Sie nicht mehr Bürgermeister. Wie geht es Ihnen damit? Michael Dreier: Es war mit Abstand die schwerste Entscheidung in meinem Leben. Im Vorfeld wurde ich von vielen angesprochen – nach dem Motto: &bdquo;Du machst doch bestimmt weiter.“ Glücklicherweise hatte ich immer den Rückhalt meiner Familie. Egal wie ich mich entschieden hätte, meine Frau Beate und meine Kinder hätten hinter mir gestanden. Das erste Mal ins Grübeln kam ich aber, als mein Sohn Lukas mich fragte: &bdquo;Papa bist du dir wirklich sicher, dass du das, was du jetzt machst, auch noch mit 70 machen kannst?“ Ich fühle mich heute gut und bin aufgeräumt. Ich bin mir sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. So eine Unterstützung ist viel wert. Meine Frau Beate hat immer tausendprozentig hinter mir gestanden. Sie wollte nie die First Lady sein, sondern war im Hintergrund aktiv und hat mir immer den Rücken gestärkt. Wissen Sie, ich bin immer morgens um 8 Uhr ins Büro gegangen, meist habe ich dann schon zwei Stunden zu Hause gearbeitet, und bin keinen Abend vor 22, 23 Uhr nach Hause gekommen. Versucht habe ich immer, Sonntagabend zu Hause zu sein – dann hat meine Frau Beate oft gesagt: &bdquo;Ja, das versuchst du.“ Und auch wenn es meinen Kindern an nichts gefehlt hat, habe ich da auch einige Dinge verpasst. Und dennoch haben sie immer absolut hinter mir gestanden, dafür bin ich sehr dankbar. Zum Start in Paderborn sagten Sie im Jahr 2014, Sie möchten das Sprachrohr aller Bevölkerungsgruppen und Bürger sein. Ich habe sehr gerne Gespräche geführt und Menschen getroffen, um sprichwörtlich ein Bürgermeister zum Anfassen zu sein. Ich wollte immer für die Menschen da sein – ihre Meinungen und Ideen hören und diese in die städtische Entwicklung einbringen. Zu wissen, wie sie über bestimmte Themen denken, welche Ideen sie für ihre Umgebung und ihre Stadt haben, das war mir immer wichtig. Zeit meines Lebens habe ich mich immer sehr gerne für die Menschen engagiert. Lesen Sie hier: Der alte und der neue Paderborner Bürgermeister - Dreier übergibt jetzt an Strate Woran werden Sie sich besonders gerne erinnern? Natürlich an den Vertrauensbeweis bei meiner ersten Wahl 2014 und auch bei meiner Wiederwahl 2020. Das war so etwas wie mein Antrieb – ich wollte immer Gutes für die Menschen tun. Wenn ich aber ein paar konkrete Highlights nennen müsste, dann auf jeden Fall mein erstes Liborifest als Bürgermeister, die große Britenparade &bdquo;Freedom oft the City 2018“ und natürlich die beiden Aufstiege des SCP 2014 und 2019. Welche Zeiten oder Themen waren in den Jahren herausfordernd? Mit Sicherheit eines der schwierigsten Themen war für mich schon kurz nach meiner Wahl die große Flüchtlingswelle. Ich werde nie die Bilder vergessen, wie jeden Tag die Busse vor dem Abdinghof vorfuhren und die Geflüchteten ausstiegen und wir nicht wussten, wie wir sie zeitnah unterbringen sollen. Was ich da an Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung wahrgenommen habe, bewegt mich bis heute. Und da bist du natürlich als Bürgermeister in einem hohen Maße gefordert, und musst Entscheidungen treffen. Die kann man dann nur treffen, wenn man weiß, dass alle mitziehen. Auch der Tornado und der Ausbruch des Krieges in der Ukraine – das waren schon besondere Situationen und Herausforderungen. Aber auch der riesige Prozess der Umwandlung der britischen Kasernen für die zivile Nutzung fällt mir ein. Und nach wie vor ist unsere Finanzsituation, wie in fast allen Kommunen in NRW, extrem angespannt. Auch zukünftig wird die Haushaltsaufstellung eine schwierige Aufgabe bleiben, der sich Rat und Verwaltung gemeinsam stellen müssen. Auch der Ton im Rat hat sich verändert. Was ich in den letzten fünf Jahren im Stadtrat erlebt habe, hat mich wirklich schockiert. So eine Verrohung im Rathaus. Dass ein Fraktionsvorsitzender sagen darf, &bdquo;Herr Bürgermeister, schicken Sie erst mal die ganzen Schwatten nach Hause, dann können Sie die Menschen aus der Ukraine aufnehmen“. Das finde ich niederträchtig, so etwas in so einem hohen Haus sagen zu dürfen. Ich habe dann immer das Wort entzogen, und ich würde es wieder tun. Da kann ich einfach nur sagen, ich schäme mich dafür, dass wir solche Menschen bei uns in verantwortungsvollen Positionen im Rat haben. Dann sind Sie sicherlich auch froh, dass Sie sich darum nicht mehr kümmern müssen. Klares Nein. Mir wurde diese Frage sehr häufig gestellt. Ich würde mir das absolut zutrauen und ich weiß, dass ich das kann. Viele haben mich immer gefragt: &bdquo;Michael, was hast du genommen, dass du so ruhig bleiben kannst?“ Da kann ich nur sagen: Da ist der liebe Gott für mich eine Leitplanke – nimm dich nicht so wichtig, versuch immer, das Ziel vor Augen zu haben, die Menschen ernst zu nehmen und mitzunehmen. Auch im Rathaus. Ich habe immer versucht, einen Konsens zu finden. Und das werde ich auch weiterhin in meinem Leben tun. Ich werde immer alles daran setzen, dass wir eine Gesellschaft in Freiheit und in Frieden sind, in der die Menschen wählen gehen dürfen – das wird immer meine Motivation bleiben. Was hätten Sie gerne noch in Ihrer Amtszeit umgesetzt? Ganz klar das Stadthaus. Ich bin davon überzeugt, dass das ein absolut zukunftsweisendes Projekt für die Stadt ist – mit allem, was dazugehört. Aber ich bin mir sicher, dass alles gut laufen wird. Auch die Wiederaufstellung des Rikuskreuzes hätte ich gerne noch als Bürgermeister erlebt. Aber auch da bin überzeugt, dass das zeitnah geschehen wird. Beim Stadthaus haben Sie mehrfach versprochen, die Kosten einzuhalten. Da bleibe ich auch dabei. Die Zahlen haben sich aber verändert. Wir konnten das Haus Heinrichsdorff dazu kaufen, was ich als echten Gewinn empfinde. Kürzlich ging es um die neuen Platten auf dem Franz-Stock-Platz, da habe ich mich persönlich für die dickere, aber auch teurere Variante ausgesprochen. Hinzu kommt die Sanierung nach allermodernsten Gesichtspunkten – das alles hat zu mehr Kosten geführt. Gleichzeitig haben wir aber auch höhere Fördermittel erhalten. &bdquo;Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut“, sagten Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit ebenfalls. In Salzkotten ist das durch Ansiedlung von Gewerbe gelungen. Und in Paderborn? Der Satz ist nach wie vor richtig. Wir benötigen in Paderborn weitere Flächen für produzierendes Gewerbe. Wir müssen schauen, dass wir beispielsweise wie in der Kooperation mit Borchen Flächen entwickeln. Ich denke, dass wir hier auf einem guten Weg sind. Glücklicherweise konnten wir durch Neuansiedlungen und Erweiterungen gemeinsam die Arbeitsplätze um rund 1.000 jedes Jahr steigern. Lesen Sie auch: Rat bringt Entwicklungsgesellschaft für Paderborner Zukunftsquartier auf den Weg Wie schauen Sie persönlich auf Ihre Zeit als Bürgermeister zurück? Ich kann ganz klar sagen, ich würde jeden Schritt genauso wieder gehen. Ich habe keinen davon bereut. Natürlich hat man oft schwierige Entscheidungen treffen müssen. Aber ich stehe zu jeder einzelnen. Aber ich war nie der, der gesagt hat, wir machen das jetzt genau so. Sondern ich habe immer versucht, einen Konsens zu finden. Das gelingt aber natürlich nicht immer. Denken wir mal in Schulnoten, welche würden Sie sich geben? Ich würde mir niemals anmaßen, mir selbst eine Note zu geben. Das würde ich immer den Paderbornerinnen und Paderbornern überlassen. Aber ich sage mal so, ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden. Es war auch Ihr letztes Libori-Fest als Bürgermeister. Und wir wissen alle, dass Sie gerne feiern. Nicht umsonst werden Sie auch &bdquo;Feier-Dreier“ genannt. Libori war in diesem Jahr wirklich sehr besonders. Ich war jeden Abend in der Almhütte auf der Bühne und habe das Paderborn-Lied gesungen. Da habe ich immer gedacht: Wow, was passiert hier? Mit &bdquo;Feier-Dreier“ habe ich übrigens kein Problem. Ich denke auch nicht, dass das negativ gemeint ist. Die Zeit als Bürgermeister endet, und nun soll mehr Zeit für die Familie sein. Wir haben das große Glück, vier kleine Enkelkinder zu haben, und die freuen sich wie Bolle. Die haben schon Pläne für die nächsten Wochen. Dann machen wir zusammen ein Zeltlager mit Lagerfeuer und Stockbrot – ist alles schon geplant. Die Enkelkinder haben den Opa also fest im Griff. Da fallen Sie sicherlich in kein Loch. Richtig, und das ist auch gut so. Ich freue mich auf Zeit mit der ganzen Familie. Und ich habe auch meine Bienen. Und weil ich das auch oft gefragt werde: Beate und ich fühlen uns hier in Paderborn sehr wohl und wir werden hier wohnen bleiben. Ich sichere zu, mich weiterhin für die Menschen in unserer liebens- und lebenswerten Stadt zu engagieren. Beispielsweise werde ich mich auch weiter bei den Maltesern einbringen und ab Herbst die Schirmherrschaft für den Kinderschutzbund Paderborn übernehmen. Was werden die großen Themen sein, denen sich Ihr Nachfolger Stefan-Oliver Strate stellen muss? Was geben Sie ihm mit auf den Weg? Also, wenn ich eine Empfehlung aussprechen darf, dann diese: Beziehe die Menschen ein. Paderborn hat es verdient, mitwirken zu können. So starke Bürgerbeteiligung als eben möglich, das finde ich persönlich total wichtig. Eine der allergrößten Herausforderungen wird sein, die Stadt Paderborn finanziell handlungsfähig zu erhalten. Es sind bei uns viele Projekte auf der Agenda, und das geht einfach nur, wenn die finanzielle Handlungsfähigkeit da ist. Darüber hinaus muss die Entwicklung der Konversionsflächen weitergehen. Eine gigantische Chance ist natürlich das Zukunftsquartier – mit Wohnangeboten, zukunftsweisenden Formen des Arbeitens, Forschens und Produzierens. Meinem Nachfolger kann ich sonst nur mitgeben: Gehe stets mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt und habe immer ein Ohr für die Menschen.

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