Vater-Tochter-Konflikt auf der Bühne des Paderborner Theaters

Paderborn. Zwei Menschen sind zwar rein familiär miteinander verbunden, doch alles andere als nah, und wirklich was zu sagen haben sie sich auch nicht. Es muss erst eine Notsituation her, dass sie sich miteinander auseinandersetzen. Wie in Lot Vekemans’ Stück &bdquo;Blind“, das im Theater Paderborn jetzt Premiere hatte. Darin wirft die niederländische Autorin einen sensiblen, vielschichtigen Blick auf eine Vater-Tochter-Beziehung - und zugleich auf gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen unserer Zeit. Der ehemalige Ingenieur Richard (Heiner Stadelmann) lebt in einer abgeschotteten Wohnanlage für sicherheitsliebende Reiche. Dort bekommt er Besuch von seiner Tochter Helen (Claudia Sutter), die diese Art zu wohnen - die Augen verschließend vor allem - verabscheut. Er sagt ihr, dass er bald erblinden wird und jemand braucht, der für ihn sorgt: sie. Die Haushälterin hat er nach mehr als 20 Jahren entlassen. Helen ist geschockt und will die Pflege nicht übernehmen. Helen und ihr Vater führen Leben, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Dabei ist sie vor allem sein umgekehrtes Spiegelbild. Sie ist mit einem Schwarzen zusammen, ist als Anwältin sozial engagiert und kämpft für Klimaschutz. Idealismus pur - im Kontrast zum sturen, rassistischen, zynischen und veränderungsresistenten Vater, der so sein Ding lebt, als gebe es kein Morgen: Etwa sprengt er trotz Wassernot den Rasen. Das sorgt bei Helen für Unverständnis. Und der Vater moniert, dass sie sich um die Menschheit kümmere, aber nicht um ihn. Paderborner Bühne bietet Raum, damit Vater und Tochter auf Distanz bleiben Die Konflikte entladen sich an grundsätzlichen Wertvorstellungen wie auch kleinen Dingen. Als Helen 1,5-Liter-Pakete Milch mitbringt, weil es die gewünschte Liter-Größe nicht gab, ist das natürlich falsch. Zugleich sagt Richard &bdquo;Ich bin froh, das du da bist“. Um Helen gleich danach vorzuwerfen, ihn selten zu besuchen. Gedehnt wirkt die Bühne mit einer Sofalandschaft, die sich über mehrere Meter erstreckt, sodass Vater und Tochter ordentlich Distanz wahren können. Darüber hängt ein Kinderbild eines Hauses am Wasser mit Verweisen - &bdquo;Weniger Wasser“, &bdquo;Ima heisser“ und &bdquo;imer mer Müll“ - ein Verweis auf Umweltprobleme und Klimawandel. Lesen Sie auch: &bdquo;Farm der Tiere“: Theater Paderborn wird zur Arena für eine Revolution Das Stück spielt in der nahen Zukunft in Südafrika, könnte aber auch woanders verortet sein. Dabei geht es konkret wie auch metaphorisch um Blindheit, Wegsehen und Abschotten: mit dem Vater-Tochter-Konflikt - zugleich ein Generationenkonflikt -, persönlichen und gesellschaftlich-historischen blinden Flecken. Plötzlich geht der Eiserne Vorhang im Paderborner Theater runter Durch einen Alarm in der Wohnanlage gehen plötzlich die Rollläden herunter. Im Paderborner Theater ist es der Eiserne Vorhang, der Vater und Tochter auf dem schmalen Vorbühnenstreifen einsperrt. Ausweichen unmöglich. Auf sich selbst zurückgeworfen begeben sich beide auf eine Reise zu den Ursprüngen ihrer Beziehung. Aktuelle Spielzeit: Theater Paderborn verzichtet auf Freilichtstück Ausflüchte gibt es nicht mehr. Alles muss und kommt raus. Doch es gibt auch Momente der Annäherung. Als sie eine Kontaktlinse verliert und gestresst ist, legt er ihr eine Decke über die Schultern. Oder als sie ihn wäscht. Dann geht es zu nostalgischer Musik zurück in frühere Zeiten: Wie sie das Schuhe-Zubinden lernt, einen Tanzkurs macht, ihr das Autofahren beigebracht wird und zu ihrer Hochzeit. Sutter und Gast-Darsteller Stadelmann liefern ein beklemmendes Kammerspiel über Entfremdung und schwierige Annäherung. Mal mit kleinen Gesten, mal mit derben Emotionen. In einem Moment fast Krieg, dann komplettes Zurückziehen. Versuchtes Einfühlungsvermögen und Unverständnis liegen ganz dicht beieinander in Alexander Vaassens Inszenierung. Schauspielerisch ist das hervorragend und ungeschönt nachspürbar. Manchmal ist es aber nur mit einem Schlucken auszuhalten. Idealismus und Realismus stehen sich in Paderborn gegenüber In Helen keimt Hoffnung auf, als Richard ihr erklärt, dass er eine Technik entwickelt hat, mit der sich günstig Wasser aus der Luft gewinnen lässt. Sie denkt an eine Idee für Gemeinschaft. Doch er rastet in einem Anfall aus &bdquo;Nein“-Rufen aus und zerreißt die Pläne: Ihr Idealismus sei realitätsfremd in einer Welt voller Arschlöcher. Er ist unfähig, Fehler einzugestehen und sich selbst zu reflektieren, kommt aber immer mehr Grübeln. Vaassen beleuchtet ihn in einer Szene so, dass sein Schatten nach links und rechts fällt, sein Inneres zerrissen scheint. Mehr Schauspiel: Theater Paderborn zeigt ein Stück über Depression, Suizid und &bdquo;All das Schöne“ im Leben Doch beide eint etwas: Nicht nur, dass sie nicht aus ihrer Haut können, sie sind auch beide selbstgefällig. Sie müssen erkennen: Aus Träumen wurden Erwartungen und schließlich Enttäuschungen. Und sie können sich einfach nicht oder nur kaum verstehen. Plötzlich Entwarnung: Der eiserne Rollladen geht hoch, der Raum weitet sich wieder, die Zwangsnähe ist vorbei. Es bleibt der Wunsch, eine Lösung zu finden - mit einem Schritt aufeinander zu. Wird alles gut? Dann geht das Licht aus. Ende offen. Für das bewegende Stück mit einem nahegehenden Schauspiel gab es vom Publikum den verdienten starken Applaus. Weitere Aufführungen sind am 18., 19., 27. und 28. September, 2., 3., 11., 12., 16. und 17. Oktober. Karten sind an der Theaterkasse am Neuen Platz unter Tel. 05251 2881100 und per E-Mail an kartenservice@theater-paderborn.de erhältlich.

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