„Farm der Tiere“: Theater Paderborn wird zur Arena für eine Revolution

Paderborn. Nach und nach nehmen alle Platz im Halbkreis, der an ein Parlament erinnert. Einige sind durch Plateau-Hufschuhe gleich als Tiere erkennbar, andere erst später durch das Anlegen von Schweinepfotenhandschuhen. Sonst sind sie schon zu Beginn eher Mensch. Noch dauert es etwas, doch dann wird die Bühne zur Arena einer Revolution: das Theater Paderborn als Schauplatz für George Orwells &bdquo;Farm der Tiere“. Jetzt war die Premiere. Der Klassiker zeigt auch 80 Jahre nach der Veröffentlichung eindrücklich, wie aus einer guten Idee und der Demokratie durch finstere Machenschaften autoritäre und totalitäre Strukturen entstehen können. Orwells Kritik an den Veränderungen nach der Revolution 1917 in Russland hin zum Stalinismus bildet die Basis. Darüber kommt eine zeitgemäße Deutung. Am Anfang ist eine Utopie: das Ende der Unterjochung durch Bauer Schmidt. Schwein Bernie erzählt den anderen Tieren auf dem Hof von seinem Traum. Als er stirbt, entwickeln Napoleon, Schneeball und Quieker, auch sie clevere Schweine, den Animalismus. Zur Revolte kommt es, als Schmidt betrunken mal wieder das Füttern vergisst, die Tiere ihn verjagen und die Macht übernehmen. Eine Krawatte ist der erste AfD-Verweis in der Paderborner Inszenierung Gemeinsam entwickeln sie neue Gebote, ackern stärker und leisten sich mehr als zuvor: Frühlingsfarben und Vogelgezwitscher verkünden eine tierisch gute Zukunft. Doch alle müssen lernen, mit der Freiheit umzugehen. Dazu gehören auch ein Airfryer, digitale Bilderrahmen und eine Krawatte mit Hunden drauf, so wie sie AfD-Mann Alexander Gauland trägt. Es ist der erste Hinweis auf die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei in diesem Stück. Passend zur Orientierungslosigkeit dreht sich die Bühne: Bildnis eines Karussells der Möglichkeiten, aber auch in Gang gesetzter Mechanismen. Nachdem vorher sattes Farmgrün den Hintergrund bildete, senken sich von oben erstmals Stallgitter herab. Noch bleiben sie in der Schwebe und sind im Griff der Tiere, genauer: riesiger Hühnerfüße. Gastdarstellerin Nina Melcher bringt die erstaunliche Verbiegsamkeit und Anpassungsfähigkeit der Tiere/Menschen auf die Bühne. Ohne ihre animalischere Oberhülle und mit beeindruckender Akrobatik sorgt sie für ungewohnte Akzente. Die Kostüme sind grundsätzlich als Zwei-Lagen-Look angelegt: obendrüber Malocherkleidung, eine glatte, hautenge Synthetikschicht darunter. Das erinnert an Arbeiteraufstand, Revoluzzer oder auch Anarchopunk. Ein Hinweis auf die im Stück an keiner Stelle erwähnte, aber deutlich gemeinte AfD, können auch die blau geschminkten Partien an den Gesichtern oder auf dem Kopf einiger Darsteller sein. Zu sehen ist eine Paderborner Fassung von Orwell Regisseur Henri Hüster hat Orwell aktualisiert und eine Paderborner Fassung geschrieben. Die Bauern heißen Schmidt, Fritzenkötter und Thiesbrummel. Und Befürworter sowie Gegner der Windkraft beherrschen hier seit Langem die Diskussion. Die Menschen auf den Höfen ringsherum blicken skeptisch auf die neue Farm: Sie unterstellen den Tieren das Gendern und die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Ein Hinweis auf gleich mehrere Parteien. Kraft holen sich die Tiere zwischendurch beim Gruppenkuscheln, für das sich alle Fellmützen oder auch -handschuhe anlegen. Das ändert nichts am Konkurrenzkampf zwischen Schneeball, dem es um Nachhaltigkeit und Arbeitserleichterung geht, und dem intriganten Napoleon, der mit dem Gespenst von der Rückkehr der Menschen auf Angst setzt. Die geplante Windmühle wird zum Sinnbild ihrer Ziele. Schneeball möchte Naturstrom erzeugen und das Leben verbessern. Er plädiert für Solidarität und den Kampf gegen eine Welt, die in Trümmern liegt. Napoleon ist gegen die Windräder und bedient sich der Argumente, die auch von Kritikern hier und anderswo vorgebracht werden: etwa Vogelschlag oder Verschandelung des Ausblicks. Schließlich muss Schneeball flüchten. Zum Thema: Theater Paderborn will wichtige Marke bei der Zuschauerzahl erreichen Die Brandmauer habe es nie gegeben, heißt es auf der Paderborner Bühne Nach und nach werden die Gebote geändert und Napoleon zu Techno-Beats zum Führer ausgerufen. Längst verbreiten er und die anderen Schweine mit ihrer Hunde-Leibgarde Angst und Schrecken bei den anderen Tieren. Die schweinischen Machthaber verhalten sich immer menschlicher und betreiben sogar Handel miteinander. Ist das ein Fallen der Brandmauer, fragt man mit einem weiteren Verweis auf die aktuelle Politikdebatte und ein mögliches Näherrücken der CDU an die AfD. Laut den Schweinen habe es eine Brandmauer nie gegeben. Am Ende ist eine Unterscheidung von Mensch und Schwein unmöglich. Es ist ein abstrakter Blick auf ein System, das sich auf Gewalt und Unterdrückung, Denunziation und Lügen, Geschichtsumdeutung und Abschottung stützt. Grenzen werden geschlossen, heißt es. Schluss mit der illegalen Migration, ein Ende jeglichen Asylanspruchs und Familiennachzugs. Klare Aussagen und Kritik an rechter Politik, wie sie im Theater Paderborn immer wieder thematisiert wird. Hat man sich erst einmal eingehört und eingeschaut, dass die Darsteller mehrere Rollen spielen, funktioniert das Stück als Mahnung vor der Macht der Schweine. Empathie entsteht zwar nicht, und die Art der Inszenierung hält das Publikum auf Distanz. Dies schafft jedoch Platz für die Kopfarbeit und sachliche Auseinandersetzung. Mehr zu Orwell: &bdquo;1984“: Rebellion, Liebe und Hoffnung im Theater Paderborn Kollektive Leistung des Paderborner Ensembles Im Stück entzweit es sich, doch als Ensemble überzeugt es im Kollektiv: Alexander Wilß ist Boxer, der bis zum Umfallen schuftet, mit seinen Füßen aber sinnbildlich auf der Stelle steppt. Kirsten Potthoff hat als kühn-berechnender Tyrannenklotz Napoleon das eigene Ziel stets vor Augen. Kai Benno Vos redet als Opportunist und Meinungsmacher Quieker geschickt nach dem Mund der Mächtigen. Rebecca Madita Hundt gibt einen energischen Schneeball. Jan Gerrit Brüggemann verleiht dem mürrisch-skeptisch-weisen Esel Benjamin Mehrdimensionalität. Genauso wie Björn Jacobsen der cleveren Ziege Muriel. Und Nina Melcher darf als Huhn flatterig-nervös, aber auch grazil sein. Muss es im Faschismus enden? Am Schluss wird erneut geträumt. Mensch kann aus der Geschichte lernen. Er muss nicht zum Schwein werden. In Kürze steht in Paderborn und ganz NRW die Kommunalwahl an. Es ist die Chance, zu zeigen, dass die Menschheit klar überwiegt. Vom Publikum gab es für dieses harte Stück Demokratiearbeit zwar keinen überschwänglichen, aber langen Applaus. Weitere Aufführungen sind am 6., 14., 25. und 26. September, 4., 5., 9., 10., 18. und 26. Oktober. Karten sind an der Theaterkasse am Neuen Platz unter Tel. 05251 2881100 und per E-Mail erhältlich.

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