Nachfahrin berichtet in Paderborn: „Heinrich Himmler ist mein Großonkel“

Paderborn. Für Katrin Himmler ist ihr Nachname zu Schulzeiten ein Stigma gewesen. Ein Lehrer fragte sie einst, ob sie denn mit dem Heinrich Himmler verwandt sei. Dem Mann, der im Dritten Reich Chef der deutschen Polizei sowie Schutzstaffel (SS) und Reichsinnenminister war? &bdquo;Ja, das bin ich“, sagte sie. Früher schämte sie sich dafür. Heute versucht die 58-Jährige, die Demokratie zu stärken, und klärt mittels ihrer eigenen Familie über den Nationalsozialismus auf. Dies tat sich auch bei einem Vortrag in der Aula am Gymnasium Schloß Neuhaus. 600 Schüler waren anwesend, darunter 70 vom Goerdeler-Gymnasium und dem Theodarium. Heinrich Himmler ist auch im Kreis Paderborn niemand Unbekanntes gewesen. Ab 1933 plante er, hier einen zentralen Versammlungsort in der Wewelsburg für die SS einzurichten, wie es auf der Homepage des Kreismuseum Wewelsburg heißt. Um die Burg umzubauen, wurde das Konzentrationslager Niederhagen eingerichtet. Fast 4.000 Zwangsarbeiter wurden hier hin deportiert. Mindestens 1.229 Menschen starben. Im Bundesarchiv fand Himmler Erstaunliches Ihren Großonkel, den hatte Katrin Himmler nie kennengelernt. Dieser habe sich mit einer Zyankalikapsel 1945 das Leben genommen. Das Kriegsende habe voraussichtlich auch Ernst Himmler, Katrin Himmlers Großvater, nicht mehr miterlebt. Er blieb verschollen und sei höchstwahrscheinlich beim Kriegsgeschehen in Berlin umgekommen. Ernst Himmler hinterließ jedoch, mit seiner Frau Paula, vier Kinder. Ein Sohn davon ist der Vater Katrins. Er habe sie auch dazu gebracht, der Familiengeschichte nachzugehen. Als sie dies im Bundesarchiv tat, fand sie Erstaunliches. Die Erzählungen ihrer Familie wichen von den offiziellen Dokumenten ab. Denn offensichtlich waren die Vorfahren gar nicht so unpolitisch und distanziert gegenüber dem für den Holocaust mitverantwortlichen Heinrich Himmler, wie es häufig hieß. Ganz im Gegenteil. Heinrich Himmler Brüder, Ernst und Gebhard, waren Mitglieder der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und der SS. Gebhard war sogar gemeinsam mit Heinrich Himmler am Hitlerputsch 1923 beteiligt. Realität und Erinnerungen der deutschen Familien gehen auseinander Wie in vielen deutschen Familien unterschieden sich Erinnerung und Realität in Bezug auf die Beteiligung im Dritten Reich. Auch Katrin Himmler habe sich damit eigentlich nicht viel beschäftigt, obwohl sie sich als Politikwissenschaftlerin schwerpunktmäßig auch mit der deutschen Vergangenheit befasste. Erst die Archivunterlagen brachten die Wahrheit ans Licht – und für sie den Stein ins Rollen. Sie verfasste daraufhin Bücher, wie &bdquo;Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte“ und &bdquo;Auf Spurensuche in der eigenen Familie. Heinrich Himmler und seine Brüder“, um ihre prominente Familienhistorie aufzuarbeiten. Die Fragen, die sie sich dabei stellte: &bdquo;Wie konnte so ein gebildeter Mann, wie Heinrich Himmler, zum Massenmörder werden?“ Und warum traten so viele Menschen der NSDAP bei? &bdquo;Viele hatten den Glauben, an etwas Großem teilzuhaben“, sagt Himmler. Aber auch opportunistische Karrieremöglichkeiten und eine Färbung durch Propaganda spielten eine Rolle. Katrin Himmler erinnert sich, dass die Schuldfrage in den Jahrzehnten nach dem Nationalsozialismus nie mit einem selbst beantwortet wurde. Dabei zählt das Bundesarchiv rund 12,7 Millionen NSDAP-Karteikarten. Wohlgemerkt bei einer Bevölkerungszahl von knapp unter 70 Millionen, wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamts für 1939 hervorgeht. &bdquo;Die Täter waren immer die anderen“, sagt Himmler. Häufige Legenden: &bdquo;Mein Opa war kein Nazi“ Statt Schuldbekenntnissen gebe es häufiger Legenden darüber, dass die Großmütter und Großväter Opfer oder gar Widerstandskämpfer seien. Das sei jedoch eher selten die Wirklichkeit gewesen. &bdquo;Meine Oma hat Juden im Keller versteckt, wird dabei oft erzählt“, sagt Himmler. Aktiven Widerstand geleistet, habe aber nur eine kleine Minderheit, sagt sie und verweist dabei auf das Buch &bdquo;Mein Opa war kein Nazi“, das diesen Mythos ausräumte. Ihre eigene Familie trennten die Fragen nach der Vergangenheit. Einige Vorfahren blieben überzeugte Nationalsozialisten in der neu gegründeten Bundesrepublik, andere distanzierten sich. Heute sei Aufklärung umso wichtiger, weil rechtspopulistische Parteien ihre Inhalte stärker in die Öffentlichkeit tragen – und den viel zitierten &bdquo;Schlussstrich“ unter das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte fordern. Insbesondere in den sozialen Medien gebe es Nachholbedarf. &bdquo;Hier produzieren die demokratischen Parteien immer noch zu wenig Inhalte“, sagt Himmler.

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