„Die jungen Leute sind am richtigen Ort“: Interview mit Paderborns künftigen Uni-Präsidenten

Herr Bauer, mit Anfang April übernehmen Sie als Präsident die Spitze der Universität Paderborn. Es scheint, dass die Chemie ein gutes Omen ist für die Präsidentschaft. Schon der erste Präsident, Nikolaus Risch, war Chemiker. Und jetzt Sie. MATTHIAS BAUER: Es geht eher darum, dieses Amt zu wollen und die Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube, dass ich analytisch denke. Genauer? Strukturiertes Vorgehen, lösungsorientiertes Arbeiten, Probleme erkennen, Lösungen entwickeln und diese möglichst auch umzusetzen. Das ist ähnlich wie bei einem Experiment. Sie hatten schon in Ihrem Hearing vor dem Hochschulrat und dem Senat der Uni davon gesprochen, neue Akzente zu setzen. Wo sehen Sie die Hauptfelder? Wir haben eine tolle Universität mit einem riesigen Potenzial, das auch schon gut genutzt wird. Und wir profitieren von der großen Fächervielfalt. Mein Ziel ist, die Universität in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Da schweben mir ein paar Dinge vor. Das betrifft natürlich die Lehre, in der wir einen exzellenten Ruf haben - mit der Lehrkräfteausbildung als eines der großen Aushängeschilder. Aber wir sehen uns wie alle deutschen Universitäten mit sinkenden Studierendenzahlen konfrontiert. Hier müssen wir aktiv gegensteuern. Das ist also ein bundesweiter Trend? Ja, den erkennt man überall. Wir haben in diesem Wintersemester allerdings schon mehr Erstsemester als vor einem Jahr. Es gibt da die Prognosen auf der einen Seite und die Realität auf der anderen, die dann faktisch eintritt. Und deshalb müssen wir nach Kräften dafür sorgen, dass die Realität von der Prognose abweicht. Bis vor ein paar Jahren lag die Studierendenzahl um die 20.000. Was wollen Sie tun, um da wieder annähernd hinzukommen? Unsere Fächervielfalt ist ein großer Pluspunkt. Diese Vielfalt müssen wir noch stärker in die Öffentlichkeit bringen. So möchte ich Schulkontakte intensivieren und den Abiturientinnen und Abiturienten sagen, welch hervorragendes Studienangebot wir haben. Vor allem im Umland ist das wichtig, weil wir wissen, dass die meisten Paderborner Abiturienten auch hier studieren. Da müssen wir verstärkt Werbung machen für die Attraktivität, damit die Leute sehen: Das ist ein attraktiver Studienort, es macht Spaß, dorthin zu kommen. Da kann man nicht nur studieren, sondern auch gut leben. Das Leben in Paderborn mit bezahlbarem Wohnraum ist ebenfalls ein großer Pluspunkt. Dieses Pfund müssen wir auch national noch stärker nutzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Campus. Dieser ist schon sehr schön, grün und ansprechend. Doch die Studierenden sollen sich künftig noch wohler fühlen. Wohlfühlcampus war das Stichwort im Hearing. Das war ein bisschen pointiert, da es immer noch unser Hauptziel ist, dass die jungen Leute durch ihr Studium eine gute Ausbildung bekommen. Aber ein belebter Campus ist ein Attraktivitätsfaktor. Wenn da Leben herrscht - und da haben wir noch immer mit Post-Corona-Effekten zu kämpfen - werden wir noch mehr gesehen. Veranstaltungen wie das tolle Asta-Sommerfestival gibt es schon. Aber es gilt, Begegnungsstätten mit einer lockeren Atmosphäre zu schaffen. Dass die Leute nach ihren Veranstaltungen sagen: Jetzt trinken wir noch einen Kaffee auf dem Campus und setzen uns auf die Wiese – oder essen noch zusammen etwas. Ist das nicht selbstverständlich? Ich habe auch in Paderborn studiert und da ganz viel Zeit auch jenseits von Lehrveranstaltungen verbracht. Corona hat hier wirklich eine Lücke gerissen. Das korrigiert sich aber gerade wieder. Ein Coffee-Bike oder ein Food-Truck könnten die Attraktivität erhöhen - und Veranstaltungen wie Open-Air-Kino oder Hochschulsport auf dem Campus. Und weil es die Studierenden betrifft, möchte ich das intensiv mit diesen selbst besprechen. Lesen Sie auch: Chemiker wird neuer Präsident der Universität Paderborn Schon lange wird versucht, die Uni in der Stadt sichtbarer zu machen. Mit dem Asta-Stadtcampus wurde hier in erster Schritt gegangen. Was ist da vorstellbar? Da sind einige Formate denkbar. Ich selbst war im Sommer mit einem Citizen-Science-Vortrag im Wasserstoffbus des Padersprinters vor dem Rathaus. Solche Veranstaltungen für die Öffentlichkeit wirken und da sind noch weitere populärwissenschaftliche Veranstaltungen machbar. Ich möchte auch den Tag der offenen Tür wieder einführen. Ich halte es für wichtig, dass sich die Stadtgesellschaft unsere Uni einmal von innen anschaut und sich über die Aktivitäten und die tolle Wissenschaft informiert. Auch für die Universitätsangehörigen ist es wichtig, ihren Familien einmal zu zeigen, wo sie arbeiten und weshalb deren Arbeit für uns alle wichtig ist. All dies trägt zu noch mehr Sichtbarkeit in der Stadtgesellschaft bei. Zu Ihren Ideen gehört auch, ein Helmholtz-Institut nach Paderborn zu holen. Ein Helmholtz-Institut ist ein wichtiger Punkt, um die bereits hohe wissenschaftliche Sichtbarkeit der Universität weiter zu stärken. Ein weiteres außeruniversitäres Institut ist auch ein Pluspunkt für große künftige Initiativen. Helmholtz bietet eine sehr gute Möglichkeit, diesen Weg zu beschreiten. Diesen Prozess möchte ich mit den Fakultäten gemeinsam abstimmen. Man muss sehr genau überlegen, in welche Richtung es gehen könnte. Aktuell haben wir bestimmte Voraussetzungen, die ein Helmholtz-Institut nahelegen: Es gibt eine erste Zusammenarbeit, einen Kooperationsvertrag und ich persönlich habe sehr gute persönliche Kontakte. Aber solch ein Institut muss einen Mehrwert bieten für alle Beteiligten. Eine Möglichkeit wäre, unsere Alleinstellungsmerkmale in der Forschung – das Hochleistungsrechenzentrum PC2 und das Institut für Photonische Quantensysteme (Phoqs) – thematisch zu überlappen. Das führt mich zum aktuell sehr wichtigen Quantencomputing. Hier können wir in Paderborn eine europäische Spitzenrolle übernehmen. Nachhaltigkeit, Mobilität, Computerwissenschaft und Künstliche Intelligenz sind wichtige Zukunftsthemen. Und wo sehen Sie die Uni besonders gerüstet? Das Thema Nachhaltigkeit ist als Schwerpunkt schon sehr gut platziert. Wir haben in den Wirtschaftswissenschaften fünf Professuren, die sich damit befassen. In der Naturwissenschaft gibt es den neuen Studiengang Nachhaltige Chemie, die Neue Mobilität im Bereich Maschinenbau. In den Kulturwissenschaften spielen Nachhaltigkeitsthemen eine zentrale Rolle, wenn die gesellschaftliche Transformation betrachtet wird. Und ich habe es eben schon erwähnt: Wir haben bei den Computerwissenschaften das PC2, eines von neun Hochleistungsrechenzentren in Deutschland und die photonischen Quantenrechner im Phoqs. Computerwissenschaften sind in sämtlichen Disziplinen notwendig – etwa auch in der Musik, überall. Da haben wir gute Voraussetzungen, Paderborn noch sichtbarer zu machen. Nachhaltige Chemie ist ein neuer Studiengang. Welche anderen gesellschaftsrelevanten Studiengänge sind denkbar? Nachhaltige Energietechnik zum Beispiel. Genauso wie nachhaltige Mobilitätskonzepte mit der Neuen Mobilität. Wir müssen hier immer von der Entwicklung und der technologische Anwendung hin zu den Folgen für unsere Gesellschaft alles mitbedenken. Lesen Sie auch: Wissenschaftler der Uni Paderborn fällt im Ukraine-Krieg Die Uni Paderborn hat rund 2.700 Mitarbeitende. Zugleich ging die Studierendenzahl in den vergangenen Jahren um rund 3.000 auf 17.000 zurück - was weniger Geld bedeutet. Wie steht es um die finanzielle Lage? Da habe ich keine Sorge. Wir haben mehrere Finanzierungsblöcke. Und temporär sinkende Studierendenzahlen betreffen einen Block - und selbst hier sind sie nur ein Faktor. Das gesamte Budget der Uni liegt bei rund 280 Millionen Euro. Bedeutend ist das Einwerben von Drittmitteln für die Forschung und Entwicklung sowie für den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Lehre. Zuletzt waren dies 66 Millionen. Wie wichtig sind dieser Bereich und eine mögliche weitere Ausweitung? Es ist ein wichtiger Parameter, wenn es um die Bewertung von Erfolg geht. Drittmittel für die Grundlagenforschung werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft nur bewilligt, wenn die Projekte eine hohe Qualität haben. Dies zeigt deutlich, dass wir in Paderborn hochwertige Forschung betreiben. Allein die Drittmittel zu steigern, um des Steigerungswillens, kann allerdings kein Ziel sein. Wichtig ist, dass wir Verbundprojekte haben, weil diese die Sichtbarkeit der Universität erhöhen. Da haben wir unsere fünf Sonderforschungsbereiche und zwei Schwerpunktprogramme. So etwas sorgt für Personalstellen, sodass wir viele gute Leute in verschiedenen Fächern ausbilden können. Ich hätte aber gerne auch wieder ein Graduiertenkolleg, das wir derzeit nicht haben. Wissenschaftliche Talente sind wichtig, doch wie kann man Nachwuchswissenschaftler halten? Sie müssen eine private und eine wissenschaftliche Perspektive haben. Die wissenschaftliche Perspektive ist, dank unserer Qualität, sehr gut. Man muss künftig verstärkt daran arbeiten, den guten Talenten auch eine private Perspektive zu bieten. Da sind wir beim Thema Dauerstellen. Ich möchte herausragenden Talenten die Möglichkeit eröffnen, über eine Dauerstelle an der Universität Paderborn zu bleiben. Deshalb plane ich, einen Talentpool einzurichten, auf den sich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewerben können. Viele wissenschaftliche Mitarbeitende hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Zum Zeitpunkt des bundesweiten Streiks an Hochschulen vor einem Jahr wurde deutlich, wie massiv dieses Problem ist. Was kann, ja was muss man da machen? Wir haben gut 53 Prozent befristetes Personal. Wir haben einen Qualifizierungsauftrag. Wer eine Doktorarbeit schreibt, bekommt eine Qualifizierungsstelle und diese ist per se befristet. Kettenverträge sind natürlich problematisch. Aber wir haben in Paderborn im Vergleich zu anderen Universitäten bereits eine hohe Dauerstellenquote. Wir versuchen, das Bestmögliche herauszuholen. Das ist keine leichte Aufgabe. Aktuell warten wir darauf, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz entsprechend angepasst wird. Und darauf, dass dieser Prozess zu einem Ende kommt, der auch für alle Seiten akzeptabel ist. Selbstverständlich werden wir dies dann umsetzen. Die Debatte hat aber schon jetzt zu einem Umdenken geführt und dazu, dass viele Hochschulen eine Art Dauerstellenkonzept haben. Hintergrund: Neuer Präsident der Universität in Paderborn macht Rückzieher kurz vor Amtsantritt Die Uni Paderborn hat zuletzt an mehreren Stellen neu gebaut. Derzeit entsteht das Phoqs. Können Sie sagen, was am Mersinweg auf dem bisherigen Parkplatz genau gebaut wird - es sind ja wohl Ersatzbauten für Gebäude am Pohlweg - und wann es hier losgeht? Dort wird eine moderne Infrastruktur für die Ingenieurwissenschaften entstehen. Mit Gebäuden, die die Ingenieurwissenschaften auf den neuesten Stand heben. Die Vorbereitungen haben schon begonnen. Ist die bauliche Expansion dann abgeschlossen? Die Flächen sind ja begrenzt. Neue bauliche Infrastruktur ist ja vor allem Forschungsinfrastruktur. Wenn wir wissenschaftlich so erfolgreich sind, dass Forschungsbauten bewilligt werden, muss man Plätze finden. Aber das wird von der Entwicklung der Universität abhängen. Ursprünglich wäre Jörg Wallaschek zum 1. April 2024 neuer Uni-Präsident geworden - mit Ihnen als Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Dann hat er zurückgezogen. Wann haben Sie sich dazu entschieden, sich um die Spitze zu bewerben, und war es ein großer Schritt? Ja, es war ein großer und wohlüberlegter Schritt. Als Herr Wallaschek zurückzog, hatte ich als lebenserfahrener Mensch ein Bauchgefühl. Der Prozess mit vielen Überlegungen und Gesprächen hat dann gedauert - auch im privaten Bereich: Möchte man sich das zumuten, verstärkt in der Öffentlichkeit zu stehen? Nach einer gewissen Zeit kam dann die Erkenntnis, dass ich mir das zutraue und es auch will. Haben Sie schon Pläne, wen Sie ins Präsidium holen? Selbstverständlich. Aber das ist ein vom Hochschulgesetz vorgegebenes gesondertes Verfahren. Sie wohnen mit ihrer Familie in Paderborn. Was schätzen Sie an der Stadt jenseits der Universität? Es ist eine äußerst lebenswerte Stadt mit einem sehr hohen Freizeitwert. Wir wohnen ein bisschen am Rand und fühlen uns ausgesprochen wohl. Allerdings: Als ich mich beworben hatte, habe ich zunächst nur den Bahnhof und die Universität gesehen. Da habe ich zu Hause angerufen und gesagt: Das Gespräch lief super, aber ich möchte hier auf gar keinen Fall hin. Als es konkreter wurde, sind wir aber doch einmal durch die Stadt gegangen - und es war wunderbar mit dem Dom und dem Paderquellgebiet. Was machen Sie denn jenseits der Wissenschaft in Ihrer Freizeit? Da ist meine Familie. Und ein bisschen Sport mit Fitness in verschiedenster Form. Sie werden im April erstmals die neuen Studierenden begrüßen. Wissen Sie schon, wie Sie denen Paderborn und den Campus schmackhaft machen? Bei der Begrüßung der neuen Studierenden habe wir ja schon eines geschafft: Sie sind in Paderborn. Und Paderborn ist definitiv ein toller Ort, um zu studieren: eine mittelgroße Universität mit motivierten Mitarbeitenden, einer großen Fächervielfalt, stark aufgestellt bei Zukunftsthemen. Ich werde den jungen Leuten sagen, dass sie am richtigen Ort sind, um sich auf ihre Zukunft gut vorzubereiten und ausbilden zu lassen. Und dass sie in einer lebenswerten Stadt willkommen sind, in der man sich sehr wohlfühlt.

Meistgelesen