Frauenberatungsstelle in Paderborn: „Häusliche Gewalt kann jeden treffen“

Paderborn. Bernadette Fischer ist Diplom-Psychologin und Fachberaterin für Psychotraumatologie. Seit 2015 arbeitet sie bei der Frauenberatungsstelle Lilith und berät dabei speziell zu häuslicher Gewalt. Mechthild Beckmann ist Diplom-Sozialpädagogin. Auch sie hat eine Traumaausbildung abgeschlossen und berät zu häuslicher Gewalt. Als Gründungsmitglied ist sie seit 1985 bei Lilith. Mit der &bdquo;NW“ sprechen sie im Interview zum Internationalen Frauentag über häusliche Gewalt, Hilfen und Prävention. Allein letztes Jahr hat die Polizei im Kreis Paderborn 408 Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt gefertigt. Wie viele Frauen haben sich bei Ihnen in der Beratung gemeldet? MECHTHILD BECKMANN: Die meisten Frauen, die zu uns kommen, haben keine Anzeige gemacht und kommen ohne vorherigen Kontakt mit der Polizei. Wir erfassen die Zahl der Beratungsgespräche und die Anzahl der Frauen, die zu uns kommen. 2022 hatten wir 3.127 Beratungsgespräche und 343 Frauen ab 18 Jahren. Der Arbeitsbereich mit Kindern und Jugendlichen bei sexueller Gewalt ist darin nicht erfasst. Die Anfragen kommen immer wieder in Wellen. Wir sind gut ausgelastet. Was einerseits verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor alltäglich ist und andererseits, dass sich mehr Mädchen und Frauen Hilfe zu suchen. BERNADETTE FISCHER: Es kommen aber auch Frauen nach einem Polizeieinsatz zu häuslicher Gewalt zu uns. Da greift das Gewaltschutzgesetz. Die betroffenen Frauen werden beim Einsatz gefragt, ob sie Unterstützung von einer Fachberatungsstelle möchten und bei Zustimmung übermittelt die Polizei uns die Kontaktdaten der Frau und wir nehmen proaktiv Kontakt auf. Die Frauen kommen also überwiegend ohne Vermittlung von der Polizei zu Ihnen. Das ist ein mutiger Schritt. Welche Rolle spielen dann Angst und Scham in der Beratung und wie sieht diese konkret aus? FISCHER: Beides spielt auf jeden Fall eine große Rolle. Es ist ein großer Schritt, in die Beratung zu kommen und nicht zu wissen, wer einem gegenüber sitzt. Für die Frauen kann es hilfreich sein, wenn eine Bekannte oder Freundin auch schon hier war oder sie beim Erstgespräch begleitet. Wir wollen zuerst ein zwischenmenschliches Vertrauensverhältnis aufbauen. Die Frauen können sicher sein, dass das Gesagte im Raum bleibt: Wir haben eine Schweigepflicht. Wir arbeiten stabilisierend und ressourcenorientiert. BECKMANN: Wenn sich die Betroffene trennen möchte, dann begleiten wir sie dabei. Viele Frauen haben vor diesem Schritt große Angst und das ist auch berechtigt, da sie in der Trennungssituation besonders gefährdet sind. Aus Ehrlichkeit wollen sie oft mit dem Täter sprechen. Da schauen wir dann gemeinsam, wie gefährlich der Täter ist, und machen eine Gefährdungseinschätzung. Häufig raten wir dann aus Sicherheitsgründen von einem solchen Gespräch ab und suchen nach Alternativen. FISCHER: Wir erklären auch, wie man bei geringem Einkommen einen Beratungsschein für einen Anwalt bekommt. Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie auch ohne Geld zum Anwalt können. Wir haben dafür ein Infoblatt. Dort ist aufgelistet, welche Dokumente die Frau für den Termin braucht. Wie anstrengend ist dieser Prozess für die Frauen? FISCHER: Am Anfang erscheint das Ganze oft wie ein großer Berg an Arbeit. Aber wir können bei all diesen Schritten unterstützen. BECKMANN: Außerdem wird mit der Zeit auch immer mehr Energie bei der Frau freigesetzt, da sie erst nach etwas Zeit bemerkt, wie anstrengend das Leben in einer gewalttätigen Beziehung war: Wie ist er heute gestimmt? Wann explodiert er? Oft suchen die Betroffenen die Verantwortung für den Gewaltausbruch bei sich und versuchen dann alles Mögliche zu vermeiden: zu sprechen, nicht zu sprechen, zu lächeln, nicht zu lächeln. Irgendwann merken sie jedoch: &bdquo;Es ist egal, was ich mache. Wenn er so weit ist, schlägt er zu.“ Es ist uns aber auch wichtig, die Frau nicht auf die Gewalterfahrung zu reduzieren. Sie ist viel mehr, als das, was sie erleiden musste. Die Frauen und Mädchen, die zu Ihnen kommen, haben bestimmt unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Gibt es dennoch so etwas wie ein Muster oder Konstellationen, die Ihnen immer wieder begegnen? FISCHER: Es gibt klare Warnsignale, die man benennen kann. Wir gehen damit auch präventiv an Schulen. Häufig fangen solche Gewaltbeziehungen mit einem hohen Tempo und einer Überhöhung der Frau an. Nach dem Motto &bdquo;Du bist die Einzige“ oder &bdquo;Keine andere war so wie du“. Im Rückblick stellen Betroffene oft fest, dass das viel zu schnell ging. Danach werden die Frauen zunehmend von ihrem sozialen Umfeld isoliert. Je weniger sich ein Mensch Orientierung und Rückmeldung holen kann, desto mehr Macht hat man schließlich über ihn. Dazu kommt das erniedrigende Verhalten – also ein Machtungleichgewicht. Das ist ein Prozess, der fortsetzend das Selbstbewusstsein der Frau schwächt, sodass es ihr auch immer schwerer fällt, sich zu trennen. Der Täter suggeriert ihr: &bdquo;Ohne mich bist du nichts.“ BECKMANN: Auch Eifersucht kann ein Warnzeichen sein. Das ist immer sehr spannend, wenn wir das mit den Frauen – egal in welchem Alter – besprechen. Denn die meisten erkennen das bei ihrer Geschichte wieder. Dazu kommt das Diffamieren. Irgendwann traut die Frau ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr, weil der Täter hochgradig manipulativ ist und ihr immer wieder sagt, dass das, was sie denkt und fühlt, nicht stimmt. Das verunsichert enorm. Die Frauen, die zu uns kommen, sind oft geschwächt und haben kaum Kraft für eine Trennung. Die Kinder vor weiterer Gewalt zu schützen, kann jedoch bei den Frauen Energie freisetzen. Es ist sehr aufschlussreich für die Frauen, wenn wir mit den Warnsignalen arbeiten. Denn die meisten erkennen viele Anzeichen in ihrer eigenen Geschichte wieder. FISCHER: In unserer Beratung arbeiten wir dann weiter an der Wahrnehmungsverzerrung. Die Frauen erhalten von uns eine Einordnung von außen und die Rückmeldung: &bdquo;Es ist nicht in Ordnung, dass das passiert. Das ist keine normale Beziehung. Das macht krank.“ BECKMANN: Wir informieren außerdem über die Dynamik bei häuslicher Gewalt. Oft handelt es sich um ein über Jahre geprägtes, komplexes System. Die Frauen werden auf vielen Ebenen misshandelt: physisch, psychisch, sexuell, finanziell. Und das kann jede treffen, egal welche Schicht, welches Alter oder welcher Kulturkreis. Kann häusliche Gewalt dann auch Männer treffen? BECKMANN: Es gibt auch Männer, die häusliche Gewalt erleben. Aber das ist oftmals nicht dieses komplexe Misshandlungssystem. Häufig handelt es sich um Partnerschaften, wo beide Beteiligte handgreiflich werden, weil nie gelernt wurde, wie mit Konflikten umzugehen ist. Das ist allerdings nicht die gleiche Dynamik und da braucht es dann auch andere Hilfe. Zum Beispiel eine Paarberatung. Der Anteil der Männer, die häusliche Gewalt in solch einem komplexen System erleben, wie eben beschrieben, ist minimal. Da muss unterschieden werden. Sie sprachen auch von der sozialen Isolierung. Wann sollte ich denn in meinem Umfeld hellhörig werden und wie kann ich helfen? FISCHER: Das ist nicht einfach und da gibt es keine allgemeine Lösung. Wichtig ist aber, den Kontakt zu halten und widerzuspiegeln, wenn sich der Partner problematisch verhält. Die Betroffene muss zwar selbst entscheiden, wann sie geht, aber es ist wichtig, die Hilfe immer wieder anzubieten. BECKMANN: Vor allem sollte man an der Seite der Betroffenen bleiben, auch wenn sie es nicht schafft, sich zu trennen. Wir erleben auch, dass Frauen nach einer Trennung wieder zurück zum Täter gehen und sich dann so sehr schämen, dass sie bei weiterer Gewalt niemanden mehr davon erzählen. Auf Ihrer Homepage gibt es dafür auch eine Sicherheitsplanung – also wenn man noch mit dem gewalttätigen Partner zusammenlebt. Welche Punkte sind dabei besonders wichtig? BECKMANN: Man sollte sich nicht scheuen, bei akuter Gewalt die Polizei zu rufen – auch wenn man sich nicht trennen möchte. FISCHER: Manchmal kann es da auch helfen, sich einem Nachbarn anzuvertrauen, der dann anstelle der Frau die Polizei ruft. Das passiert nicht selten. BECKMANN: Zudem empfehlen wir, das Handy immer am Körper zu tragen und sich vorab Fluchtwege zu überlegen. Oder in Räume in der Wohnung zu flüchten, die abschließbar sind, in denen man warten kann, bis die Polizei eingetroffen ist. FISCHER: Wenn es Kinder gibt und diese alt genug sind, dann kann man ihnen Verhaltensweisen beibringen, falls es eskaliert. Zum Beispiel, dass sie sich nicht in den Konflikt einmischen, sondern eher Hilfe suchen. Wenn sich die Frau irgendwann wirklich trennen möchte, können vorbeugend Maßnahmen getroffen werden. Das heißt, in Ruhe wichtige Dokumente, wie Zeugnisse, Versicherungspapiere und Kontodaten – aber auch Dinge mit emotionalen Wert, wie Fotoalben – zusammensuchen. Auch ein Grundbedarf für sich selbst und die Kinder ist wichtig. All das kann vorab zum Beispiel zu einer Freundin gebracht werden. Das machen einige Frauen, damit sie im Notfall schnell die Wohnung verlassen können. Wie können betroffene Frauen zu Lilith Kontakt aufnehmen? BECKMANN: Das geht per E-Mail an frauenberatung@lilith-paderborn.de oder unter Tel. 05251 21311. Da können die Frauen entweder auf den Anrufbeantworter sprechen oder sie rufen während unserer Sprechzeiten an. Diese sind montags von 16 bis 18 Uhr, mittwochs und freitags jeweils von 9 bis 11 Uhr. FISCHER: Wir haben vereinzelt auch Frauen, die noch mehr Sicherheit brauchen. Dann können wir die Beratung anonym durchführen.

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