Häusliche Gewalt im Lübbecker Land: „Der gemeinsame Nenner ist das Geschlecht“

Frau Stork, medial wird viel darüber berichtet, dass Frauenhäuser überlastet sind. Spiegelt das auch Ihre Erfahrung hier in Espelkamp wider? Sabrina Stork: Ja, absolut. Wir haben immer wieder Frauen mit und ohne Kinder, die wir ablehnen müssen, weil wir keinen Platz haben. Das betrifft vor allem Frauen mit vielen Kindern oder auch Frauen mit Mobilitätseinschränkungen, da wir nur eine barrierefreie Wohneinheit haben. Noch schwieriger wird es, wenn wir personell unterbesetzt sind – insbesondere da wir mit den vom Land vorgesehenen Stellenanteilen nicht ausreichend versorgt sind. Im Mühlenkreis gibt es zwei Frauenhäuser – in Minden und in Espelkamp. Reicht das aus? Damit sind wir vergleichsweise gut aufgestellt. Viele Kreise würden sich sicherlich wünschen, zwei Frauenhäuser zu haben. Trotzdem reicht das nicht. Jeder kann online schauen: Wenn ich heute einen Platz in einem Frauenhaus bräuchte, wie weit müsste ich fahren und wie käme ich da hin? Habe ich ein Auto zur Verfügung? Habe ich Zugriff auf mein eigenes Geld oder wird mir das von meinem Partner eingeteilt, sodass ich den Zug nicht bezahlen kann? Oder noch schlimmer: Bin ich auf einen barrierefreien Platz angewiesen? Weil dann sieht es in Deutschland wirklich leider sehr mau aus. Sie haben das Thema Mobilität bereits angesprochen. Ist es für Frauen in ländlichen Gebieten schwerer, Hilfe zu bekommen, als in der Stadt? Ja, insbesondere wegen des ÖPNV. In Berlin fährt alle vier Minuten eine Straßenbahn. Das haben wir hier halt nicht. Deswegen wollen wir mit der Frauenberatung in Espelkamp und Minden sowie den offenen Sprechstunden in Bad Oeynhausen, Stemwede und Petershagen einen größeren Flächenkreis abdecken. Aber die personelle Situation steht in keinem Verhältnis zum steigenden Bedarf. Lesen Sie auch: Kreis Minden-Lübbecke: Rote Schuhe gegen Femizide und Gewalt an Frauen Wer sind die Frauen, die hierherkommen? Was haben sie im Vorfeld erlebt? Alle Frauen, die hier ankommen, haben irgendeine Form von häuslicher Gewalt erlebt. Oft geht diese Gewalt vom Partner aus, manchmal aber auch von den Familien. Das sind dann häufig sehr junge Frauen, die hierherkommen, weil sie beispielsweise von Zwangsverheiratungen bedroht sind oder sie einen Lebensstil leben, mit dem die Familie nicht einverstanden ist. Abgesehen davon kommen die unterschiedlichsten Frauen zu uns. Da ist die gerade 18 gewordene Schülerin, da ist die Rentnerin, die Gewalt von ihrem pflegenden Sohn erlebt, da ist die berufstätige Alleinerziehende, die von ihrem Ex-Partner bedroht wird oder die Frau mit Migrationshintergrund, die hier kein soziales Netz hat. Viele Frauen, die hier ankommen, sind meist über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte in gewaltgeprägten Beziehungen. .responsive23-WCtZder6dYQRIoc7-pie-haeusliche-gewalt { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-WCtZder6dYQRIoc7-pie-haeusliche-gewalt { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-WCtZder6dYQRIoc7-pie-haeusliche-gewalt { padding-top: 142.86%; } } Wer übt häusliche Gewalt aus? Männer. Ich bin es so leid, dass wir dabei immer wieder eine gesellschaftliche Debatte über Ethnie, Kultur oder Hautfarbe aufmachen. Der gemeinsame Nenner ist das Geschlecht und nicht die Kultur. Indem wir häusliche Gewalt bestimmten Ethnien zusprechen, können wir diesen Heile-Welt-Gedanken aufrechterhalten. Ich kann mir einreden, wenn ich mich richtig verhalte und wenn ich den richtigen Mann heirate, dann passiert mir das nicht. Aber das läuft so leider nicht. Denn die Opfer haben nie Schuld an der Gewalt, die ihnen passiert ist. Welche Männer werden zu Tätern? Genauso wie es nicht das klassische Opfer gibt, gibt es auch nicht den klassischen Täter. Aber es gibt Faktoren, die das Risiko für häusliche Gewalt erhöhen. Dazu zählen psychische Erkrankungen, Substanzmissbrauch, insbesondere Alkohol, oder wenn der Mann Zugriff auf Waffen hat, weil er beispielsweise im Schützenverein, bei der Polizei oder Jäger ist. Eine misogyne Grundeinstellung ist ebenfalls ein Risikofaktor: Wenn ich davon überzeugt bin, dass ich einen Herrschaftsanspruch über meine Frau habe, dann ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass ich mich auch in der Position sehe, die Frau gegebenenfalls zu bestrafen. Die Ursache für häusliche Gewalt ist immer die Vorstellung, dass Frauen und Männer nicht gleichberechtigt sind. Und deswegen ist das ein gesellschaftliches Problem. .responsive23-zHVamqvdWvjTOeZk-pie-haeusliche-gewalt-geschlecht-der { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-zHVamqvdWvjTOeZk-pie-haeusliche-gewalt-geschlecht-der { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-zHVamqvdWvjTOeZk-pie-haeusliche-gewalt-geschlecht-der { padding-top: 142.86%; } } Häusliche Gewalt wird immer häufiger in der Öffentlichkeit thematisiert und mittlerweile werden Femizide zumindest teilweise als solche anerkannt. Es wirkt so, als würde da etwas in Bewegung kommen. Teilen Sie diese Auffassung? Wir sind zwar noch lange davon entfernt, dass das Thema enttabuisiert ist. Aber wir nehmen es auch wahr, dass immer häufiger über häusliche Gewalt aufgeklärt und berichtet wird. Insbesondere in der Corona-Zeit ist ganz viel passiert. Da gab es viele Kampagnen, die auf das Thema aufmerksam gemacht haben. Ich habe den Eindruck, dass das nachhaltig etwas verändert hat. Dabei sehe ich auch Social Media als eine ganz wichtige Ressource. Warum? Da berichten immer mehr selbst Betroffene. Zu hören, dass es Menschen gibt, die das Gleiche erlebt haben und es geschafft haben, da herauszukommen, motiviert andere Betroffene. Natürlich bringen die sozialen Medien auch Gefahren mit sich, zum Beispiel Männercoaches oder die sogenannten &bdquo;Tradwives“, die zurück zum traditionellen Frauenbild der 50er-Jahre wollen. Wo gibt es noch Probleme im Umgang mit dem Thema häusliche Gewalt? Wir müssen zum einen die Betroffenen noch besser erreichen und zum anderen muss sich die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung ändern. Den betroffenen Frauen wird immer noch eine Mitschuld gegeben, wenn sie den Partner nicht verlassen. Denn die Mechanismen, die hinter einer Gewaltbeziehung stehen, sind nicht bekannt. Aber die Schuld muss beim Täter bleiben. Wie es in Frankreich (Anm. d. Red.: im Zuge des Pelicot-Prozesses) so schön heißt: &bdquo;Die Scham muss die Seite wechseln“. Denn aktuell schämen sich noch viele Opfer und das ist insbesondere im ländlichen Raum wirklich ein Phänomen. Wenn hier ein Streifenwagen vor der Tür steht, dann weiß das am nächsten Tag das ganze Dorf. Da ist die Hemmschwelle, die Polizei zu rufen, sehr hoch. Was muss passieren, damit die derzeit steigenden Zahlen von häuslicher Gewalt wieder zurückgehen? Prävention ist hier ein ganz, ganz großes Stichwort. Wir können doch nicht seit Generationen unseren Töchtern beibringen: &bdquo;Bitte geh nicht alleine nach Hause, bitte komm nicht im Dunkeln, bitte wähle den Rock nicht so kurz“. Und mit den Jungs gehen wir dazu nicht ins Gespräch. Es braucht Präventionsarbeit mit jungen Männern genauso wie Täterarbeit. Nach Polizeieinsätzen bei häuslicher Gewalt nehmen wir proaktiv Kontakt zu dem Opfer auf und beraten es. Aber wer spricht denn mit ihm? Das ist ein Systemproblem und deswegen können wir nicht nur an der einen Seite arbeiten. Im Bereich Prävention ist die Sekundarschule in Preußisch Oldendorf ein gutes Beispiel. Dort sprechen die Schulsozialarbeiter mit den Schülern über Gleichberechtigung und Alltagssexismus. Das braucht es viel, viel mehr. Wenn Sie eine Bilanz ziehen müssten, würden Sie sagen, dass wir auf einem guten Weg sind? Ja, wir sind auf einem guten Weg. Auch politisch entwickelt sich mit dem Gewalthilfegesetz etwas in eine gute Richtung. Aber der Weg ist noch lang. Das Gewalthilfegesetz wurde im Februar beschlossen und tritt 2032 in Kraft. Was soll sich durch das neue Gesetz ändern? Es soll eine Einzelfall-unabhängige Finanzierung und einen Rechtsanspruch auf Frauenhausplätze geben. Das würde bedeuten, dass die Frauen für ihren Frauenhausplatz nicht mehr zahlen müssen. Ein weiteres wichtiges Signal ist, dass erstmalig Bundesmittel in den Ausbau von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen fließen. Vorher war das Ländersache, weshalb wir auch so einen Versorgungsflickenteppich haben. Lesen Sie auch: Ehefrau in Espelkamp getötet - Fachberaterin weiß: &bdquo;Das kann überall passieren“

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