Ukrainische Schüler im Kreis Paderborn: "Kapazitäten an den Schulen nahezu erschöpft"

Paderborn/Hövelhof. Später Nachmittag, das Gebäude der Südstadt-Realschule ist verlassen. Bis auf einen Klassenraum. Die Schülerinnen und Schüler dort, ein gutes Dutzend sind es, pauken, obwohl der Schultag schon lang genug für sie war. Sie lernen Deutsch, damit sie verstehen können, was die Menschen um sie herum sagen. Der Krieg in der Ukraine hat sie nach Paderborn getrieben. Oft gehen ihre Gedanken in die Heimat. Zu ihren Angehörigen und den Freunden im Kriegsgebiet. Täglich, sagt etwa Fedia Babak, telefoniere er mit ihnen. Seit vier Monaten lebt der Jugendliche in Paderborn. Er ist mit seiner Familie aus dem von Russland intensiv beschossenen Charkiw geflohen, erzählt der 16-Jährige – auf Deutsch. Xenia Nickel, die den nachmittäglichen Sprachkurs drei Mal die Woche leitet und eigentlich zum Übersetzen neben ihm sitzt, wird kaum benötigt. "Ich habe in Paderborn viele Freunde gefunden. Beim SCP spiele ich jetzt in der U17-Mannschaft", sagt Fedia Babak. Auch in Charkiw sei er Teil einer Fußballmannschaft gewesen. Er, der Geflüchtete, übt sich in Zweckoptimismus. "Nicht schlecht" sei es in Deutschland. Darina Zelena stimmt ihm zu, bald lebt sie schon ein Jahr in Paderborn. Viel länger, als sie zunächst dachte. Auch sie erzählt ohne große Übersetzungsunterstützung, dass sie mit ihrem Bruder und ihrer Schwester Zuflucht in Deutschland gesucht hat. "Ich kann noch nicht alles auf Deutsch sagen", so Zelena. "Aber verstehen ist nicht so schwer." Dem Mathematik- und Englisch-Unterricht könne sie einigermaßen gut verfolgen. Lehrermangel "größtes Problem" Fedia Babak und Darina Zelena sind sogenannte Sprachlernschüler, erklärt Anja Blomenkemper, Leiterin der Südstadt-Realschule. Das heißt: Sie haben während der normalen Schulzeit am Vormittag verstärkt Deutschunterricht, den bislang eine ehemalige Kollegin gab. Demnächst soll für sie eine neue Lehrkraft kommen. "Den Rest der Unterrichtszeit laufen die Schüler normal mit", so Blomenkemper. Dass die 17 Ukrainer an der Südstadt-Realschule auch nachmittags über deutsche Grammatik und Aussprache brüten, ist Blomenkempers persönlichen Kontakt zu Xenia Nickel zu verdanken. Ein Glücksfall, wie die Schulleiterin findet. Denn andernorts fehle es an ausreichend Deutschstunden für die Geflüchteten, meint Nickel. "Das größte Problem ist der Lehrermangel." Sie selbst, erzählt die gebürtige Ukrainerin, sei damals auf ein Sprachinternat gegangen. Auf Deutsch sprechen, sprechen, sprechen: "Das ist wichtig, gerade in der Anfangsphase. Aber viele Schüler schämen sich, Fehler zu machen, und sind daher zurückhaltend." Unterschiedlicher Unterrichtsstil 1.277 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine besuchen derzeit die Schulen im Kreis Paderborn. "Die Kapazitäten an den Schulen sind derzeit nahezu erschöpft", sagt Guido Kemmer, Fachberater für Integration im Schulamt für den Kreis Paderborn. Die Belastungen der Lehrkräfte, insbesondere an den weiterführenden Schulen, seien hoch. Die Schulen hätten aber auch "von Anfang an große Bereitschaft signalisiert, die immensen Herausforderungen zu meistern", meint Kemmer. &bdquo;Im kooperativen Miteinander mit den ukrainischen Familien war es meist möglich, einen Schulplatz zu finden, mit dem die Familien einverstanden waren.“ Die Kooperation zwischen Familien und dem Lehrpersonal sei relevant, sagt Christine Kirchner, Leiterin der Kirchschule in Hövelhof. Die Unterstützung seitens der Eltern sei verschieden. "Familien, die gekommen sind, um zu bleiben, sind offener für die deutsche Sprache." Es gebe in ihrer Grundschule aber auch Schüler, die "verständlicherweise so schnell wie möglich zurück in die Heimat wollen", sagt sie. "Die Motivation ist dann begrenzt. Sie sehen nicht unbedingt den Sinn, Deutsch zu lernen." Manche der geflüchteten Kinder kämen zudem mit der offenen Ansprache in deutschen Schulen nicht gut zurecht. In der Ukraine gebe es mehr Frontalunterricht und weniger Selbstständigkeit. "Dadurch entsteht oft der Eindruck, dass hier bei uns alles erlaubt ist", sagt Kirchner. "Schwere Zeit der Zerrissenheit" für ukrainische Kinder Sie betont aber auch positive Aspekte. So klappe trotz mancher Sprachbarrieren innerhalb der Schülerschaft die Verständigung zwischen den Ukrainern und den Deutschen immer irgendwie "mit Händen und Füßen". "Unsere Schüler sind sehr offen", meint Kirchner. "Sie haben neue Kinder schon immer gut aufgenommen." Wichtig sei dem Lehrpersonal, die ukrainischen Kinder "überall zu integrieren". Dies sei gerade in der "schweren Zeit der Zerrissenheit" wichtig. Traumatische Erfahrungen und Nachrichten aus der Ukraine müssen die geflüchteten Schüler bewältigen, meint auch Guido Kemmer. Hinzu käme eine Doppelbelastung von deutschem Präsenzunterricht am Vormittag sowie nachmittäglichem Online-Unterricht in der Heimat. Dorthin, zu ihren ukrainischen Freunden, sehnt sie sich, sagt Darina Zelena. Aber wann eine Rückkehr wieder möglich ist, das bleibt für sie und alle anderen Geflüchteten ungewiss.

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