In dieser Paderborner Familie feiern Menschen aus drei Religionen Weihnachten

Paderborn. Nein. Leise kann und will diese Familie nicht Weihnachten feiern. Lebhaft geht es bei Xenia Nickel und ihren Verwandten zu. Das Besondere: Hier kommen Juden, Muslime und Christen zusammen – russisch-orthodoxe und katholische. &bdquo;Bei uns ist Weihnachten multikulti“, sagt Xenia Nickel (43). Und es gilt eine Regel: keine Diskussion. Auch nicht über Politik. Das lässt sich natürlich – wie in den meisten Familien – nicht ganz vermeiden. Aber für die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in Paderborn und ihre Familie ist eines wichtig: Zeit miteinander zu verbringen. Dazu gehören gutes Essen sowie Weihnachtsdeko: der Tannenbaum der Christen und der achtarmige Leuchter Chanukkia der Juden. Die Familie und Freunde kommen mit 25 Personen am 1. Weihnachtsfeiertag zusammen. Und am 25. Dezember beginnt in diesem Jahr das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka. So gibt es ein bisschen vom nachgezogenen Heiligabend, von Weihnachten und von Chanukka. Alles in einem Rutsch. Zudem feiert die Kultusgemeinde in Paderborn Chanukka an allen acht Tagen in der Synagoge. Freude verschenken: 200 &bdquo;Paket mit Herz“-Wunschzettel übrig: Verschenken Sie Freude an Weihnachten Verschiedene Glaubensrichtungen innerhalb der Paderborner Familie &bdquo;Eigentlich ist das ein Zufall, dass wir das so machen“, erzählt Xenia Nickel und lächelt. &bdquo;Wir leben aber auch in einem christlichen Land. Deswegen halten wir das für selbstverständlich, Weihnachten zu feiern.“ Sie und ihre Eltern, Mutter Lena (63) mit jüdischem Glauben und Vater Andriy Gorohov (64) mit russisch-orthodoxem Glauben, sind 1998 aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Auch Nadeshda Me&scaron;anovic (49), die Tante von Xenia Nickel, feiert mit. Sie ist 1993 aus der Ukraine zunächst nach Bosnien gekommen. Dort hat sie einen Bosnier mit muslimischem Glauben geheiratet, bevor beide 1994 nach Deutschland eingereist sind. Xenia Nickel hat einen Katholiken geheiratet. Beide Beziehungen sind inzwischen geschieden, aber das Verhältnis ist weiterhin gut. Vor allem haben beide Frauen und die früheren Ehemänner ihren Kindern – den beiden Söhnen (12 und 22) von Xenia Nickel sowie den beiden Söhnen von Nadeshda Me&scaron;anovic (30 und 27) und der Tochter (22) jeweils beide Glaubensrichtungen nahegebracht. Zudem haben beispielsweise die Söhne von Xenia Nickel den katholischen Religionsunterricht besucht. Lesen Sie auch: Wieso feiern wir Weihnachten? Und wer hat den Weihnachtsmann erfunden? Familie blickt auf Ukraine- und Balkankrieg Diese Familie vereint aber noch mehr als Religionen und Konfessionen. Es sind verschiedene Kulturen. Und letztlich spiegelt die Familie auch wider, was Menschen in den vergangenen Jahrzehnten in der Welt erlebt haben und noch erleben. Dazu gehören auch Kriege. So stammt Andriy Gorohov aus der früheren Sowjetrepublik Russland. Er verfolgt den Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Zum Konflikt beider Länder und mit Blick &bdquo;auf viele Freunde in der Ukraine“ sagt der Ingenieur: &bdquo;In mir fließt nur ein Blut. Ukrainisches und Russisches.“ Übrigens feiern jene orthodoxen Kirchen, die dem julianischen Kalender folgen, Weihnachten am 6. beziehungsweise 7. Januar. So wie Russland. In der Ukraine soll dagegen Medienberichten zufolge nach einer Umstellung Weihnachten nun ebenfalls am 25. Dezember gefeiert werden. Wegen des Konflikts. Auch Nadeshda Me&scaron;anovic geht kurz auf die ethnischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan ab 1991 ein, mit Blick auf die Lebensgeschichte ihres früheren, bosnischen Mannes. Dort haben sich christlich-orthodoxe Serben, katholische Kroaten und muslimische Bosniaken gegenübergestanden. Konflikte gibt es in ihrer Familie aber deswegen nicht, auch nicht mit dem jüdischen Part. Zuletzt hat es allerdings eine Diskussion um den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in einem Teil der Familie gegeben, mit Argumenten für beide Positionen. Paderborner fühlt sich weder als Moslem noch als Jude Auch der Sohn Sulejman Me&scaron;anovic (30) sagt: &bdquo;Religion war nie ein Thema bei uns.“ Und er fügt hinzu: &bdquo;Wir haben uns mehr an christlich-deutsche Gebräuche gehalten als an jüdischen oder muslimischen.“ Er isst beispielsweise Schweinefleisch, obwohl er das als Muslim nicht dürfte. Er achtet auch nicht auf koscheres Essen, also auf die jüdischen Speiseregeln. Dennoch hat beispielsweise das Zuckerfest am Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan früher eine Rolle gespielt. &bdquo;Wir haben dann unsere Oma aus Respekt angerufen.“ Die Religion ist für Sulejman Me&scaron;anovic nicht Teil des Alltags oder hoher Feste. &bdquo;Früher hätte ich gesagt: Ich bin Moslem. Heute sehe ich mich als Atheist.“ Seine Lebensgefährtin Saskia Hüwel (30) ist Katholikin. Gemeinsam haben sie einen zweijährigen Sohn – mit dem bosnischen Namen Zihno. Jüdisch oder katholisch, jüdisch oder muslimisch? Jüdisch oder katholisch, jüdisch oder muslimisch: Zu diesen Konstellationen in der Familie von Xenia Nickel gibt es zwei Sichtweisen, wie sie verdeutlicht. Zunächst: &bdquo;Meine Kinder sind als Juden geboren worden, wie die Kinder meiner Tante. Sie können nicht sagen: Ich bin ab heute kein Jude mehr.“ Hintergrund ist, dass Jüdinnen und Juden nach offiziellem Verständnis und unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft zum jüdischen Volk gehören. Xenia Nickel versteht das aber eben nicht als Diktum, als unumstößliches Gesetz. &bdquo;Wir sind erst einmal Menschen. Und egal ob Moschee, Synagoge oder Kirche: Wir beten einen Gott an.“ Und überhaupt feiern die Familie um Xenia Nickel und Freunde ein ganz normales Weihnachtsfest, wie Millionen auf der Welt. Nur dass es beispielsweise zu Chanukka Latkes gibt, in Öl frittierte Kartoffelpuffer. Oder Suppe mit Matzeknödeln aus ungesäuertem Brot. Ansonsten bringt jeder mit, auf was er Lust hat: zum Beispiel Rinderbraten, Brathähnchen, Kartoffeln oder Antipasti. Und weil die Kinder während Chanukka eigentlich an jedem Abend Geschenke bekommen, also insgesamt acht, bekommen sie diese eben alle auf einmal. Grüße per Handy: 62 Prozent versenden Weihnachtsgrüße digital Familienfest, mit Liebe, Geborgenheit und Zusammenhalt &bdquo;Eigentlich feiern wir ein Familienfest, mit Liebe, Geborgenheit und Zusammenhalt. Es geht darum, dass uns Gott zusammenbringt“, sagt Xenia Nickel. Sie wollen aber kein Vorbild sein, denn jede Familie müsse für sich entscheiden, was sie will. Aber: &bdquo;Weihnachten ist eine Zeit der Wunder. Und ich wünsche mir, dass alle Menschen auf der Welt, egal welcher Religion, Konfession oder mit welchem Glauben, friedlich miteinander leben.“ Dass das Familienweihnachten der &bdquo;Multikulti-Familie“ durchaus auch bei Neuzugängen ankommt, versichern Sulejman Me&scaron;anovic und seine Mutter. Denn eigentlich sei die Großmutter seiner Lebensgefährtin vor dem ersten Besuch etwas skeptisch gewesen. &bdquo;Hinterher hat sie gesagt, das war das schönste Weihnachten überhaupt“, sagt Nadeshda Me&scaron;anovic.

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