Tagung

Häusliche Gewalt gegen Kinder: Experten diskutieren im Paderborner Rathaus

Ein Kooperationsprojekt soll Frauen und Kindern einen möglichst optimalen Schutz ermöglichen.

Machten die Fachtagung zu einer gelungenen Veranstaltung: Kerstin Feldhoff (v. l.), Susanne Heynen, Christine Böttger, Bürgermeister Michael Dreier, Christa Mertens, Eva Galle, Kinga Dürksen, Linda Hesse, Simone Böhmer und Julia Ures. | © Stadt Paderborn

23.11.2022 | 23.11.2022, 14:24

Paderborn. Bereits zum dritten Mal stellte Bürgermeister Michael Dreier dem Paderborner Kooperationsprojekt „Häusliche Gewalt“ das Rathaus für einen Fachtag zur Verfügung. Dabei referierten ausgewiesene Expertinnen zum Thema Umgangsrecht und häusliche Gewalt.

„Es hat eine besondere Bedeutung, Veranstaltungen zum Thema 'Gewalt gegen Frauen und Kinder' in das Rathaus der Stadt zu holen. Damit signalisieren wir, wie wichtig es uns ist, diese Problematik zu enttabuisieren und darüber aufzuklären“, sagte Dreier.

Die große Resonanz von 100 Teilnehmenden bestätigte einer Mitteilung zufolge die Auffassung des Kooperationsprojektes, dass noch zu wenig Wissen über dieses wichtige Thema vorhanden sei. Die Auswirkungen von häuslicher Gewalt würden häufig nicht als potenzielle Gefährdung des Kindeswohls erkannt und blieben bei der Entscheidung über das Umgangsrecht außen vor. Ein Zusammenwirken von Fachkräften der Jugendämter, Beratungsstellen, Rechtsexpertinnen und -experten, Verfahrensbeiständen und Familiengerichten sei zum Wohl der Kinder und Jugendlichen unerlässlich.

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Trennung und Scheidung als Gefahr

Wie Susanne Heynen, Leiterin des Jugendamtes Stuttgart, berichtete, sei es in den meisten Fällen immer noch die Frau, die zum Opfer häuslicher Gewalt werde - und dies oft in besonders vulnerablen Lebensphasen wie der Schwangerschaft oder der Geburt eines Kindes. Auch die Zeit der Trennung und Scheidung sei eine Gefahr, die nicht nur zum Femizid führen könne, sondern auch zur Tötung von Kindern. 25 Prozent der Kinder, die in Deutschland getötet würden, verlören ihr Leben im Kontext von Trennung und Scheidung ihrer Eltern, so Heynen. Sie sieht in der „Istanbul-Konvention“, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, eine große Chance, den Blick auch auf betroffene Kinder und Jugendliche zu richten.

Dem pflichtete die zweite Rednerin, Christine Böttger vom Institut für Familienrecht und Kindeswohl Bremen, bei und unterstrich: „Die Istanbul Konvention ist nicht nur eine nette Empfehlung, sondern bindend!“ Auch Böttger gelangte zu dem Fazit, dass Eltern selbst häufig unterschätzten, wie stark ihre Kinder von der häuslichen Gewalt betroffen seien. „Miterlebte Gewalt ist Kindeswohlgefährdung“, so ihre Einschätzung.

Für die Frau sei die Zeit nach der Trennung die gefährlichste. Wie ihre Vorrednerin kam auch die Expertin aus Bremen zu dem Schluss, dass es eigentlich ausreichend Gesetze gebe, um Frauen und Kinder zu schützen. Oft werde die Gewalt jedoch nicht erkannt oder könne nicht bewiesen werden. Die „Istanbul-Konvention“ sei leider noch wenig bekannt.

Keine Pflicht des Kindes zum Umgang

Auf den rechtlichen Aspekt hob auch die dritte Referentin ab, Juristin Kerstin Feldhoff von der FH Münster. Auch sie warnt davor, die Gefahr von Kindern in Trennungssituationen zu unterschätzen. Bindungstoleranz sei ein Kriterium für den Erhalt des Sorgerechts. Sie gab zu bedenken: Das Kind habe zwar ein Recht auf den Umgang mit beiden Elternteilen. Umgekehrt gebe es aber keine Pflicht des Kindes zu dem Umgang.

Die Frauen befänden sich in einem Dilemma: Aus Angst, dass die Kinder ihnen weggenommen werden, verschweigen viele Mütter die Gewalt. Die „Istanbul-Konvention“ nehme beide in den Blick: Frauen und Kinder. Dort gebe es keine künstliche Trennung der Rechte von Frauen und Kindern. Allerdings habe sie den Eindruck, dass die UN-Kinderrechtskonvention und die Istanbul-Konvention noch nicht angekommen seien.

Kooperationsprojekt "Häusliche Gewalt"

Im Juni 2003 ist das Kooperationsprojekt „Häusliche Gewalt“ gegründet worden. Die Vernetzung wurde geschaffen, um das Handeln der unterschiedlichen Institutionen, die mit häuslicher Gewalt befasst sind, abzustimmen und zu verbessern, mit dem Ziel, Frauen und Kindern einen möglichst optimalen Schutz vor weiterer Gewalt zu ermöglichen.