Tod und Trauer Beerdigungen für Obdachlose: "Nicht ohne Spuren aus dem Leben gehen"

Paderborn. Der Regen hört ein paar Minuten vorher auf, dann bricht sogar die Sonne durch die graue Wolkendecke: Es wirkt, als nähme selbst der Himmel Anteil an dem, was sich auf dem Paderborner Friedhof abspielt. Dort versammeln sich an diesem frühen Freitagmorgen still und andächtig rund 20 Männer und Frauen vor der Trauerhalle, um einen jungen Mann im Tode zu begleiten, den kaum einer von ihnen im Leben gekannt hatte. Denn David T. (Name geändert) war einer der Paderborner Obdachlosen, ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Perspektive und ohne Familie. Dass Menschen wie er nicht einfach verschwinden, sondern eine würdige Bestattung erhalten, das hat sich die Elenden-Bruderschaft zur Aufgabe gemacht. Würde es die Bruderschaft nicht geben, so wäre der junge Mann von der Stadtverwaltung anonym auf einem ihrer Friedhöfe beigesetzt worden. Ordnungsbehördliche Bestattung nennt sich dies und wird immer dann vollzogen, wenn die Toten keine Angehörigen hinterlassen. Eine schreckliche Vorstellung für Jürgen Seelhorst und Dechant Benedikt Fischer, die gemeinsam mit Carsten Schulze die Geschäftsführung der Bruderschaft bilden. "Wir hören auch von den Obdachlosen immer wieder, wie wichtig es ihnen ist, eine würdevolle Beisetzung zu bekommen", sagen sie. "Dadurch fühlen sie sich auch als Person anerkannt." Stirbt in Paderborn ein Wohnungsloser, der keine Familie mehr hat, so informiert das Ordnungsamt die Elenden-Bruderschaft, die daraufhin die Beisetzung organisiert, die Trauerfeier gestaltet und einen Teil der Kosten trägt. So können die Anwesenden an diesem Freitagmorgen ein Bild des Verstorbenen betrachten, Blumenschmuck umkränzt die schlichte schwarze Urne und auch Musik wird abgespielt. Am sichtbarsten jedoch ist die große Zahl der Trauernden. Etwa 15 Bruderschaftsmitglieder sind erschienen; viele von ihnen nehmen im Anzug an der Trauerfeier teil, während andere extra ihre Arbeit unterbrochen haben und zum Friedhof gekommen sind. Von der Hoffnung auf eine Wohnung Bewegt von dieser großen Anteilnahme völlig fremder Menschen zeigen sich die fünf Obdachlosen. Sie waren Davids Freunde auf der Straße, hätten solch eine Beerdigungsfeier aber niemals bezahlen können. Schluchzend lauschen sie den einfühlsamen Worten des Geistlichen, der für seine Trauerrede zuvor mit Bekannten des Toten gesprochen hat. Und so weiß Diakon Gerhard Kilz, dass David T. schon früh traumatische Erfahrungen erlitten hat, die es ihm später schwer machten, sich im Leben zurechtzufinden. Er pendelte zwischen Gefängnis und der Straße, nahm Drogen und starb schließlich mit nicht einmal 40 Jahren. "Wir wissen, wie sehr er sich eine Wohnung ersehnt hat", so der Diakon. Und er sagt, auf den christlichen Glauben verweisend: "Solch ein Platz erwartet uns alle nach unserem Tod." Zum Abschluss der kleinen Feier spielt Jürgen Seelhorst noch ein Lied ab, das David T. viel bedeutet haben soll. Seelhorst, der sich auch um die Einladungen der Bruderschaftsmitglieder kümmert, hat lange nach dem Lied gesucht, bis er es schließlich fand. "Es wird ein Leben ohne Kälte geben" klingt es aus dem tragbaren Lautsprecher über den Kapellen-Vorplatz und der traurig-hoffnungsvolle Text treibt nicht wenigen der Umstehenden die Tränen in die Augen. Danach zieht der rund 20 Personen zählende Trauerzug zur letzten Ruhestätte von David T. - und setzt damit eine fast 700 Jahre alte Paderborner Tradition fort. Totengedächtnis für die Fremden Die Elenden-Bruderschaft wurde 1349 zur Zeit der Pest in Paderborn gegründet, um Fremde ("ellende" genannt) zu bestatten und für ihr Totengedächtnis zu sorgen. Sie überstand den Wechsel der Zeiten, so heißt es in der Chronik, begrub viele Nichtsesshafte und kümmert sich seit 1979 auch schon zu Lebzeiten um diese Menschen. Aktuell zählt die katholische Bruderschaft mehr als 400 Mitglieder. Vom Jahresbeitrag (15 Euro) werden das jährliche Bruderschaftsmahl, bei dem in lateinischen Gebeten der Verstorbenen gedacht wird, sowie die Beerdigungen finanziert. Außerdem spendet die Bruderschaft an Organisationen, die sich um Obdachlose kümmern, und unterstützt das Frühstücksangebot im Forum St. Liborius. "Durch unsere Arbeit nehmen wir die Wohnungslosen im Stadtbild ganz anders wahr", sagt Dechant Fischer. So haben den Verstorbenen, den sie nun gemeinsam zu Grabe tragen, vielleicht auch einige der Bruderschaftsmitglieder schon einmal in der Stadt gesehen. Schweigend folgen sie dem Urnenträger über den Friedhof bis zum Gemeinschaftsgräberfeld. Die Trauergemeinde betet für David T., dann wird seine Asche in das Grab hinabgelassen. Fremde wie Freunde bedecken die Urne mit Erde und Blumen. Viele weinen, kaum einer verlässt eilig den Ort, wie es so häufig auf Beerdigungen der Fall ist. Geschäftsleute und Wohnungslose, Bankangestellte und Freigänger aus dem Gefängnis sind in Trauer um den Toten vereint. Eine junge Frau, die David T. gut gekannt hat, schaut sich die großen Stelen auf dem Gemeinschaftsgräberfeld an, auf denen die Namen der dort bestatteten Personen stehen. Hier wird auch bald David T. verewigt werden, wie die Frau weiß, und sie blickt lange auf die freie Stelle, auf der sein Name künftig stehen wird. Ein Ort der Erinnerung Die Kosten für den Steinmetz übernimmt die Elenden-Bruderschaft. "Es ist den Obdachlosen unglaublich wichtig, dass ihr Name erhalten bleibt", weiß Dechant Fischer. Damit sie nicht einfach "im Nirwana aufgehen" und still und leise aus dem Leben und der Stadt verschwinden. "Deshalb ist ein Ort der Erinnerung unersetzlich", weiß Fischer. An David T. - und die anderen verstorbenen Obdachlosen - wird erinnert, sie verschwinden nicht wie so viele andere Menschen, sie bleiben dank der Elenden-Bruderschaft im Gedächtnis der Stadt. Diakon Gerhard Kilz findet dafür folgende Worte: "Es ist wichtig, dass man nicht ohne Spuren aus dem Leben geht."

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