Missbrauchs-Aufarbeitung: Kritik an "nebulösen" Äußerungen des Erzbischofs

Paderborn. Es geschah am 18. November vergangenen Jahres, dem vom Europarat ausgerufenen Tag gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. In einem Bußgottesdienst im Kölner Dom bekannte der vom Papst eingesetzte Diözesanadministrator, Weihbischof Rolf Steinhäuser (69), er sei &bdquo;Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln“. Diese Bezeichnung kann nach Meinung des Paderborner Journalisten Wolfgang Stüken ebenso für zwei frühere Paderborner Erzbischöfe verwendet werden: &bdquo;Auch Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt waren solche Chefs – und zwar der Täterorganisation Erzbistum Paderborn.“ Dafür spreche die im Dezember von der Uni Paderborn vorgelegte Zwischenbilanz der bis 2024 laufenden unabhängigen Studie zu Missbrauchsfällen im Erzbistum Paderborn, sagt der Autor der kürzlich vorgelegten Neuedition des Buches &bdquo;Hirten unter Hitler“. Die Missbrauchsstudie wird von der Kirchenhistorikerin Nicole Priesching und ihrer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Christine Hartig erarbeitet. Auftraggeber: das Erzbistum Paderborn. &bdquo;Keinerlei Sensibilität“ für die Opfer von MissbrauchHatte das 2018 vorgestellte Missbrauchsgutachten der Deutschen Bischofskonferenz für die Amtszeiten von Jaeger (1941-1973) und Degenhardt (1974-2002) insgesamt 111 beschuldigte Kleriker des Erzbistums ermittelt, weist der Zwischenbericht der Bistumsstudie bereits nach einem Jahr 160 Missbrauchstäter aus den Reihen des Klerus aus, darunter eine hohe Zahl von 43 Prozent, die Mehrfachtäter waren.Ein Unterschied: Den Forschern der 2018er Studie war der Zugang zu Originalakten der Bistümer noch verwehrt, Priesching und Hartig unterliegen dagegen keinen Beschränkungen. Eine wichtige Feststellung der Zwischenbilanz: Während Jaeger und Degenhardt gegenüber beschuldigten Priestern Fürsorge und Mitgefühl gezeigt hätten, hätten beide &bdquo;keinerlei Sensibilität“ (Hartig) für die Opfer von Missbrauch erkennen lassen. &bdquo;Damit tut sich ein großer Widerspruch auf“, so Stüken. &bdquo;Wie gern ließen sich beide Erzbischöfe nach der jährlichen Libori-Eröffnung vor dem Dom fotografieren oder filmen, wenn sie, Volksnähe demonstrierend, wartende Eltern mit ihren Kindern begrüßten, Hände von Mädchen und Jungen schüttelten oder jungen Liboribesuchern ein symbolisches Kreuzzeichen auf die Stirn malten. Wenn es aber im bischöflichen Alltag um junge Menschen als Opfer sexualisierter Gewalt ging, war es mit der zu Libori gezeigten Kinderfreundlichkeit offenbar vorbei.“ Bereitschaft zur Verantwortung »unterschiedlich ausgeprägt« Degenhardt-Nachfolger Erzbischof Hans-Josef Becker (73) habe in einer Reaktion auf Prieschings und Hartigs Zwischenbilanz &bdquo;die Notwendigkeit einer unabhängigen Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs“ unterstrichen und betont: &bdquo;Geht es um Verantwortung, nehme ich mich selbst nicht aus.“ Was die Aufarbeitung &bdquo;im Anschlusszeitraum seit dem Jahr 2002“, also für seine eigene Amtszeit als Erzbischof, angeht, soll laut Becker eine unabhängige Aufarbeitungskommission &bdquo;für die weiteren Schritte“ zuständig sein. Deren Einrichtung sei seitens des Erzbistums vorbereitet. Diese Äußerungen nennt Stüken &bdquo;nebulös“. Er sagt, Beckers Wirken könne und müsse doch auch schon in der jetzt laufenden Studie unter die Lupe genommen werden, denn der heutige Erzbischof sei seit 1995 – und damit in den letzten Jahren der Amtszeit Degenhardts – im Generalvikariat als Geistlicher Rat und ab dem Jahr 2000 als Weihbischof Leiter des Bereiches Pastorales Personal gewesen.Stüken: &bdquo;Damit dürfte seitdem jeder Missbrauchsfall, in den ein Priester des Erzbistums verwickelt war, über seinen Schreibtisch und/oder den des 2020 verstorbenen ehemaligen Degenhardt-Generalvikars Bruno Kresing gegangen sein.“Kein Hinweis auf null-Toleranz-Politik? Aus der Zwischenbilanz der Studie ergebe sich allerdings kein Hinweis, dass ab 1995 im Umgang des Erzbistums mit klerikalen Missbrauchstätern ein Kurs Richtung null Toleranz bei Missbrauch Einzug gehalten hätte. Die Bereitschaft, sich auch der eigenen Verantwortung zu stellen, sei in den deutschen Diözesen &bdquo;unterschiedlich ausgeprägt“, hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 23. April 2021 konstatiert und berichtet: &bdquo;Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker, der 2002 ins Amt kam, lässt nur die Zeit bis 2002 begutachten. . .“ In Paderborn hat 1996 und damit vier Jahre vor Becker auch die Bischofskarriere des aus Geseke stammenden Erzbischofs von München und Freising, Reinhard Marx (68), begonnen. In München soll noch in diesem Monat ein Missbrauchsgutachten vorgestellt werden, das die Amtszeit der dortigen Bischöfe seit 1945 umfasst – einschließlich der ersten elf Marx-Jahre an der Isar bis Ende 2019. Der Kölner Diözesanadministrator Rolf Steinhäuser vertritt noch bis Aschermittwoch 2022 den Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki, der sich derzeit in einer selbst verordneten &bdquo;Auszeit“ befindet.

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