Der scheidende Landrat Manfred Müller: "Es ist ein komisches Gefühl"

Paderborn. Nach sechzehn Jahren verlässt Landrat Manfred Müller am kommenden Samstag sozusagen die Brücke im Kreishaus. Er übergibt das Amt Nachfolger Christoph Rüther. Zum Abschied sprach er mit der NW über seine Zeit als Verantwortlicher. Herr Müller, Corona hat den Kreis täglich fester im Griff. Sie sind bis zum letzten Arbeitstag am 31. Oktober als Krisenmanager gefragt. Ist Ihr Nachfolger Christoph Rüther schon so eingebunden, dass der Übergang direkt funktionieren kann? Manfred Müller: Ja, wir telefonieren fast täglich und er ist immer wieder auch im Kreishaus dabei. Wir sitzen zusammen, er stellt viele Fragen und wir tauschen uns regelmäßig aus. Er lernt die Abläufe jetzt schon kennen. Hat der Kreis die Pandemie-Lage noch unter Kontrolle? Müller: Wir haben im Kreis lange gut dagestanden, weil die Menschen diszipliniert waren und wir über eine gute Nachverfolgung verfügen. Vorausschauend haben wir für genug Personal gesorgt und haben eine sehr engagierte Leitung des Gesundheitsamts. Wir stellen noch mehr Personal für die Nachverfolgung ein und verlagern Mitarbeiter aus anderen Bereichen. Wir sind also gut aufgestellt, aber die Lage ist sehr dynamisch. Der Winter wird für uns alle hart und wir müssen wohl gemeinsam unsere Kontakte reduzieren. Es kommt auf jeden Einzelnen an. Ihre Amtszeit trudelt nicht einfach so aus. Die Pandemie fordert Sie bis zum Schluss. Profisportlern wird am Karriereende geraten, behutsam abzutrainieren. Haben Sie sich auf den Ausstieg vorbereitet? Müller: Nein, noch nicht. Aber ich will ja auch nicht komplett aussteigen. Ich musste zu Anfang des Jahres auf meine gesundheitliche Situation reagieren und registrieren, dass 28 Jahre Vollgas mit 70 Stunden pro Woche Spuren im Körper hinterlassen haben. Meine Familie hat mich gemahnt, dass ich einen Gang zurückschalten sollte. Hätte ich den Job mit 40 oder 50 Stunden weitermachen können, wäre der Gedanke ans Aufhören nicht gekommen. Aber ich kann Landrat nur ganz oder gar nicht sein. Es ist jetzt eine Kopfentscheidung und der Abschied tut – ganz ehrlich – auch ein bisschen weh. Dennoch war mir schnell klar, dass ich mein Glück nicht überstrapazieren darf. Aber ich werde auch noch weiter etwas arbeiten. Was schwebt Ihnen vor? Müller: Ich kann mir vieles vorstellen, ob in der Privatwirtschaft, in einem Verband oder Ähnliches. Das können operative Dinge oder auch beratende Aufgaben oder auch Öffentlichkeitsarbeit sein. Man sagt mir nach, dass ich ganz gut in Projekten moderieren könnte. Anfragen gab es, aber jetzt werde ich erstmal eine Atempause bis zum Jahresbeginn machen. Das habe ich meiner Familie versprochen. Haben Sie Angst vor dem Moment, wenn Sie am Freitag zum letzten Mal das Kreishaus als Landrat verlassen? Müller: Ja, ein bisschen. Meine Schränke sind im Büro schon ausgeräumt. Ich habe zwei Kisten mit privaten Dingen gepackt. Es ist wirklich ein komisches Gefühl. Und Wehmut ist dabei. Haben Sie sich schon etwas für den kommenden Montag vorgenommen, wenn Sie endgültig im Ruhestand sind? Müller: Noch ist nichts geplant. Meine Frau hat jedenfalls die Hoffnung, dass ich ihr zu Hause und im Garten mehr zur Hand gehe. Ich verspreche, ich werde mir auch Mühe geben. Dann habe ich noch ein paar Abschiedsbesuche in den November geschoben und bin auch noch einige Wochen auslaufend in ein paar Funktionen wie als Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens und im Verwaltungsrat der Sparkasse tätig. Die Aufgaben werde ich erfüllen und auch die ehrenamtlichen Funktionen. Sie werden dennoch mehr Zeit haben. Wenn Sie demnächst über Ihre Karriere reflektieren, sind Sie dann zufrieden mit sich? Müller: Ich hätte ja gerne noch fünf Jahre weitergemacht, aber wir haben in der Zeit einiges bewegt – erst in Lichtenau und dann im Kreis. Immer im Team. Welche Erfolge fallen Ihnen spontan ein? Müller: Wir sind im Kreis praktisch schuldenfrei. Das ist gut und richtig. Wir haben viel für den Naturschutz gemacht, unheimlich viele Radwege gebaut und viel für die Verkehrsinfrastruktur getan. Der Klimaschutz und der Bildungsbereich haben sich ebenfalls gut entwickelt. Wir werden vor 2030 als Kreisverwaltung CO2- neutral sein. Auch im Tourismus haben wir stetig zugelegt. Und ich habe mich immer gefreut, wenn der frühere SPD-Fraktionschef im Kreistag, Bernd Schäfer, sich in seiner Haushaltsrede bedankt hat für ein weiteres Jahr skandalfreien Arbeitens. Was hätten Sie gerne noch verwirklicht? Müller: Die erneute Weiterentwicklung der Wewelsburg hätte ich gerne noch begleitet. Wir brauchen solche Highlights als Tourismusmagneten. Und die Region wird dadurch auch attraktiver, um Fachkräfte anzulocken. Was hätte besser laufen können in Ihrer Amtszeit? Müller: Mit der Entwicklung am Flughafen bin ich nicht zufrieden. Gegen Rahmenbedingungen kann man nur bedingt etwas machen. Aber dass uns jetzt auch Nachbarkreise im Stich gelassen, für die wir in anderen Bereichen mitgekämpft haben, hat mich schwer getroffen. Es ist bitter, mit anzusehen, dass die Kreise Lippe und Gütersloh nicht solidarisch sind. Und unsozial gegenüber der Mitarbeiterschaft. Lippe profitiert enorm von überregionalen Förderprojekten, die wir gemeinsam angebahnt haben. Gütersloh nutzt den Airport sehr intensiv – touristisch und geschäftlich. Aber die Entscheidungsträger dort hatten sich am Thema emotional festgebissen. Das ist nicht nachvollziehbar und dieses Verhalten wird sicher hängenbleiben in der Region. Das alles ist in der Gesamtbetrachtung traurig und hat mich persönlich getroffen. Zufrieden bin ich damit, dass wir die Rettung auf den Weg gebracht haben. Trotzdem ist der Weg mit den Entlassungen durch die Insolvenz in Eigenregie bitter für alle, die ihre Jobs verlieren. Würden Sie Christoph Rüther unterstützen, indem Sie weiter den Aufsichtsrat des Flughafens führen? Müller: Ich helfe, solange ich den Übergang herstellen muss. Ich unterstütze gerne, wenn ich gefragt werde und gebe Rat. Ansonsten ist es gut, sich auf der Kreisebene zurückzuhalten. Ich drängel mich nicht auf. Weggefährten und politische Gegner heben ihren verbindlichen und freundlichen Umgang hervor, Ihre Empathie. Wie haben Sie sich das im Haifischbecken der Politik bewahrt? Müller: Das Kreismotto lautet: &bdquo;Nah bei den Menschen". Ich bin immer gut damit gefahren, Menschen ernst zu nehmen. Erst recht, wenn sie sich engagieren, auch in anderen Parteien. In Ämtern wie meinem sind wir auch dazu da, eine soziale Funktion zu erfüllen. Wir können Verbindungen herstellen und wir können diejenigen unterstützen, denen es nicht gut geht. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit den Kommunen während ihrer Amtszeit? Müller: Im Leitbild der Kreisverwaltung ist festgeschrieben, dass wir Dienstleister für die Kommen sind. Das habe ich so gelebt. Auch wenn es ein natürliches Spannungsfeld ist, da sich Kreise zu über 50 Prozent über die Kreisumlage finanzieren. Das ist den Kommunen natürlich immer wieder zu teuer. Doch diese Auseinandersetzungen halte ich für normal. Wie wichtig ist das persönliche Verhältnis zu den Bürgermeistern? Müller: Das spielt natürlich eine Rolle. Es kommt immer darauf an, auf der Sachebene &bdquo;miteinander zu können". Das habe ich eigentlich immer gekonnt. Wichtig ist, dass wir uns alle gemeinsam einig darin sind, was das Beste für den Kreis ist. Der Windkraftausbau bewegt viele Menschen im Kreis. Welche Entwicklung wünschen Sie sich für die Region? Müller: Man kann mit Fug und Recht sagen, dass der Kreis Paderborn wohl genug Windkraft hat. Nur dürfen wir nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir alles beeinflussen. Die Rechtslage ist eine andere. Ich hätte gerne eine Deckelung durch den Gesetzgeber gesehen. Jetzt soll aber eine Abstandsregelung kommen, die vor Gerichten halten kann, weil sie sich vom Bundesrecht ableitet. Den Frust der Kommunalpolitiker kann ich verstehen, weil Flächennutzungspläne zuletzt kleinlich von Gerichten zerpflückt wurden. Sie sind Chef der Kreispolizeibehörde. Wie ist sie aufgestellt? Müller: Sie ist gut organisiert und personell und fachlich sehr gut aufgestellt. Große Erfolge gibt es bei der Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen, Drogendelikten und Verkehrsunfällen. Prävention war mir immer wichtig. Und der Kontakt zu allen gesellschaftlichen Gruppen und Religionsgemeinschaften. Die Einrichtung der Südkreiswache war ein guter Schritt, um den ländlichen Raum zu stärken. Die Polizei ist gut ausgebildet, aber auch Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn jetzt einzelne Verfehlungen von Beamten ans Licht kommen, sind das zum Glück einige wenige Fälle, die wir von innen aufgeklärt haben. Ich finde es aber richtig, dass es eine Studie dazu geben soll. Sie haben jeden Tag viele Menschen getroffen. Welche Begegnungen haben Sie berührt? Müller: Mich hat jedes Jahr die Tafel-Aktion zu Weihnachten angefasst und auch die Typisierungsaktionen für die Deutsche Knochenmark Spender Datei waren bewegend. Die Ehrungen von Lebensrettern gehen mir sehr nah. Dort sieht man, welche phantastischen Leistungen Menschen bringen, um anderen zu helfen. Sie haben auch viele Promis empfangen. An welches Highlight erinnern Sie sich? Müller: Zwei Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck waren beeindruckend. Ich habe ihn als großartigen Menschen kennengelernt. Bald sitzt Christoph Rüther im Landratsbüro. Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger? Müller: Ich wünsche ihm Erfolg dabei, den Kreis Paderborn weiterzuentwickeln. Ich glaube, er ist ein guter Nachfolger und ich bin mir sicher, dass er die Menschen erreicht.

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