Paderborner Professor: „Mit dem Auto zum Biomarkt passt nicht“

Biologisch erzeugte Lebensmittel gelten als gesünder. Kann man das so sagen?Helmut Heseker: Es gibt nur wenige Aspekte, in denen Bio-Lebensmittel einen Vorteil gegenüber konventionellen Lebensmitteln haben. Die Annahme, dass Bio-Lebensmittel einen höheren Nährstoffgehalt haben, hat sich in Analysen nicht bewahrheitet. Das gilt auch für den Gehalt von Schadstoffen und Rückständen von Pflanzenschutzmitteln. Wenn konventionelle Lebensmittel in guter landwirtschaftlicher Praxis produziert werden, sollten sie frei von diesen Mitteln sein. Bleibt als Drittes noch der ökologische Aspekt. Aus Gründen der Nachhaltigkeit macht es Sinn, vermehrt auf Bio-Produkte zu setzen. Beim Thema Nachhaltigkeit hat Bio also die Nase vorn?Heseker: Wir müssen hierbei noch unterscheiden zwischen Lebensmitteln tierischen und pflanzlichen Ursprungs. Bei der Massentierhaltung haben wir das Problem der Antibiotikaeinsätze. Bei diesen müssen nach der Gabe bestimmte Fristen eingehalten werden. Dann sollten sie eigentlich auch nicht in Milch, Fleisch oder Fisch vorkommen. Jedoch gibt es eine bestimmte Gruppe von Antibiotika, die sich im Knochen anlagern kann. Selbst wenn diese Fristen dann eingehalten werden, können sie beispielsweise beim Auskochen eines Suppenknochens freigesetzt werden, obwohl sie nicht im Fleisch nachweisbar sind. Bio-Produkte versuchen ohne Antibiotika auszukommen. Und wie ist das bei Eiern?Heseker: Bei Eiern hingegen wird eine Problematik oft ausgeblendet: Freilandeier können höhere Schadstoffwerte aufweisen, weil die Hühner im Auslauf auch kleine Partikel aus Verbrennungsrückständen fressen. So können zum Beispiel kleinste Dioxinmengen aufgenommen werden. Der Unterschied zur Stallhaltung ist nur gering und unterhalb des kritischen Bereichs, dennoch nachweisbar. Aber bei Obst und Gemüse ist Bio doch bestimmt besser.Heseker: Bei Obst und Gemüse sollten bei guter landwirtschaftlicher Erzeugung keine Rückstände zu finden sein. Durch eine ordentliche Küchenpraxis kann eine Schadstoffaufnahme zusätzlich reduziert werden. Bei Äpfeln sollte beispielsweise der Bereich um den Stiel oben weggeschnitten werden, da sich dort die Schadstoffe ansammeln können. Im Nährstoffgehalt unterscheiden sich konventionelle und biologisch erzeugte Äpfel nicht. Welche Produkte liegen denn bei Ihnen im Kühlschrank?Heseker: Wir verfolgen eine flexitarische Ernährungsweise. Das bedeutet, dass wir insgesamt weniger Fleisch konsumieren und dabei auf gute Qualität achten. Wir kaufen dort, wo wir wissen, dass die Tiere auf dem Hof erzeugtes Futter bekommen und unter Einhaltung des Tierschutzes aufgezogen wurden. Generell ist eine fleischreiche Ernährung ungünstig, auch weil diese einen hohen ökologischen Fußabdruck hat. Nachhaltige Ernährung und gesunde Ernährung gehen glücklicherweise Hand in Hand. Eine pflanzenbasierte Ernährung mit tierischen Beilagen ist vor allem in akademischen Kreisen im Kommen - beim Thema Ernährung sehen wir grundsätzlich große Unterschiede in den Bevölkerungsschichten. Ich brauche also genug Geld, um mich gesund zu ernähren?Heseker: Nein, eine gesunde und nachhaltige Ernährung ist ja nicht teurer. Studien zeigen eindeutig: Das hat mehr mit Bildungsstand als mit Einkommen zu tun. Leute mit mittlerer und höherer Bildung schauen häufiger auf ihre Gesundheit, rauchen weniger, haben seltener Übergewicht und berücksichtigen weitere gesundheitsförderliche Lebensweisen. All diese Faktoren wirken sich auch drastisch auf die langfristige Gesundheit und Lebenserwartung aus. Dafür braucht man aber nicht zwingend Bio-Lebensmittel. Wer an Fleisch einspart, kann das Geld für gutes Gemüse und Obst einsetzen. Es sollte insgesamt einfach ausgewogen sein. Wer Bio kauft und raucht, hat für seine Gesundheit nicht viel getan. Ähnlich verhält es sich mit Nachhaltigkeit: Wenn jemand mit dem Auto zum nahen Biomarkt fährt, obwohl er das Fahrrad nutzen könnte, ist unter Nachhaltigkeitsaspekten wenig gewonnen. Pestizidrückstände sind häufiger auf konventionellen Lebensmitteln zu finden und stehen im Verdacht, das Risiko für einige Krankheiten zu erhöhen. Was ist daran?Heseker: Ich forsche selbst nicht dazu, allerdings ist wissenschaftlich derzeit nicht bewiesen, dass eine geringe Pestizidbelastung Ursache für Krankheiten sind. Selbst bei Glyphosat gibt es erhebliche Zweifel, ob die Substanz krebserregend ist. Natürlich hat Glyphosat in Lebensmitteln nichts zu suchen und auch die Auswirkungen auf die Umwelt sind zu berücksichtigen. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass wir täglich 7,5 Milliarden Menschen satt bekommen müssen. Wenn aber Möglichkeiten da sind, anders Landwirtschaft zu betreiben, sollte diese auch gefördert werden. Die Verbraucher können das über die Nachfrage steuern. Es gibt unterschiedliche Siegel mit jeweiligen Voraussetzungen. Das EU-Biosiegel erfüllt nur ein Mindestmaß. Ist das ausreichend?Heseker: Menschen sind unterschiedlich sensibel, wenn es um ökologische Themen geht. Wem das wichtig ist, wird eher zu einem höherwertigen Siegel greifen. Eher sollte darauf geachtet werden, dass die Produkte aus der Region kommen. Warum sollten wir Milch aus Oberbayern trinken, die sich geschmacklich kaum von der aus Ostwestfalen unterscheidet? Wenn Sie die Auswahl haben zwischen regionalem Anbau oder Bioqualität: Wozu greifen Sie?Heseker: Zu dem einheimischen Produkt, wenn es einen ähnlichen Reifegrad und guten Geschmack hat. Der Zeitpunkt zwischen Ernte und Verzehr sollte bei Salat und Gemüse beispielsweise immer so kurz wie möglich sein. Inzwischen gibt es auch Paderborner Land große Gewächshäuser, die die Abwärme von Biogasanlagen nutzen. Da ist die Qualität mindestens genauso gut wie bei importierter Ware. Ist der höhere Preis für Bio-Lebensmittel dann überhaupt gerechtfertigt?Heseker: Ja, weil für den Anbau von biologischen Erzeugnissen mehr Arbeitskräfte eingesetzt werden müssen. Die Landmaschinenhersteller arbeiten aber daran. Durch technologischen Fortschritt, wie beispielsweise programmierbare, selbstlernende Unkrautstecher, könnte auch der konventionelle Anbau zukünftig ökologischer werden.

Meistgelesen