Paderborns Vize-Landrat besitzt ein besonderes Grundgesetz

Kreis Paderborn. Es war erst knapp zehn Monate alt, als es Edith Kowalski überreicht bekam: das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Ihr persönliches Exemplar erhielt sie am 21. März 1950. Heute hält das beinahe historische Stück ihr Sohn in Ehren: der Vize-Landrat des Kreises Paderborn, Jörg Schlüter aus Hövelhof. Auch ihn beschleicht noch die Ehrfurcht vor dem betagten Dokument. Als er den &bdquo;NW“-Reporter empfängt, legt er gleich Schutzhandschuhe auf den Tisch. Blättern mag er lieber damit im beigen Büchlein mit seinem lederähnlichen Einband. &bdquo;Als Jugendlicher habe ich es zu Hause erstmals wahrgenommen“, erinnert sich der 61-Jährige. &bdquo;Wir waren immer ein politischer Haushalt“, sagt Schlüter, der seit 25 Jahren für die Grünen aktiv ist, über die Erziehung seiner Eltern im lippischen Blomberg. Angeregt wurde das Politik-Interesse bei seiner Mutter, die heute 90 Jahre alt ist, möglicherweise auch durch ihre Grundgesetz-Ausgabe. Schließlich hat sie sie nicht in einer Tombola gewonnen, sondern erhielt sie als Schülerin der Kreisberufsfachschule in Wiedenbrück als besondere Auszeichnung. Im Dienst für einen CDU-Abgeordneten Am 23. Mai 1949 – also vor 75 Jahren – wurde die Verfassung der Bundesrepublik verkündet, seitdem wird sie in vielen Schulen an Abschlussjahrgänge ausgegeben. Als die junge Edith Kowalski 1950 ihr Exemplar erhält, ist es aber noch eine Besonderheit. So heißt es auf der ersten Seite in Maschinenschrift, ihr werde das Buch &bdquo;in Anerkennung für dauernden Fleiß während des Schuljahres und gute Leistungen bei der Abschlussprüfung“ vom Schulträger überreicht. Der für die Schülerin besonders erquickliche Nachsatz lautet: &bdquo;Edith wurde von der mündlichen Abschlussprüfung befreit.“ Lesen Sie auch: Ein Paderborner wirkte am Grundgesetz mit - und lehnte es ab Schlüters Mutter ging auch nach dem Schulabschluss ihren Weg. &bdquo;Sie war immer sehr unabhängig für die damalige Zeit, hat früh den Führerschein gemacht und gerne gearbeitet“, erinnert sich der Sohn. Und auch in ihrem Job war sie politisch. Über Jahre wirkte sie im Büro des Gütersloher CDU-Landtagsabgeordneten Christoph Schulze-Stapen. &bdquo;Über Politik rede ich mit meiner Mutter heute immer noch oft. Sie ist auch an den Dingen interessiert, die mich im Kreis Paderborn umtreiben“, sagt Schlüter. Auch sein Vater stand politisch auf dem Boden des Grundgesetzes, er saß in Blomberger Stadtrat für die CDU. &bdquo;Da hatte er immer gegen eine absolute Mehrheit der SPD zu kämpfen. Seine Lage kann ich als Grüner im Paderborner Land heute gut nachfühlen“, lacht der Hövelhofer, der bis zur vergangenen Kommunalwahl im heimischen Gemeinderat Sitz und Stimme hatte. Die Werte des Grundgesetzes Wie er zu den Grünen kam, obwohl beide Eltern der CDU nahestanden, weiß Schlüter so genau nicht mehr. Doch auch da hilft die Erinnerung der Mutter: &bdquo;Sie hat mir oft gesagt, dass ich schon seit frühen Jahren immer zu den Schwachen gehalten habe. Auch heute geht es mir in der politischen Arbeit um Gerechtigkeit. Starke Schultern können immer etwas mehr tragen als schwache.“ Die Werte des Grundgesetzes wie Menschenwürde, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichberechtigung oder Freiheit von Glauben und Meinung haben die Bundesrepublik zu einer Erfolgsgeschichte gemacht. Heute wird vielerorts wieder gegen undemokratische Umtriebe gekämpft – auch im Kreis Paderborn. Schlüter sagt mit Blick auf das betagte Büchlein seiner Mutter: &bdquo;Inhaltlich ist das Grundgesetz bestens gealtert. Es ist die Grundlage dafür, dass wir seit 75 Jahren in Sicherheit und Wohlstand leben können und in der Welt wieder geachtet werden. Das war keine Selbstverständlichkeit nach den beiden Weltkriegen.“ In der Küche ging es nicht demokratisch zu Im Hause Schlüter war der demokratische Umgang jedenfalls von Kindesbeinen an fest verankert. &bdquo;Meine Eltern konnten immer gut damit leben, wenn mein Bruder und ich andere Auffassungen als sie vertreten haben“, lobt der Kaufmann im Außendienst, der zuletzt auch die Gründung eines Bündnisses für Toleranz in Hövelhof anschob. Einzig in der elterlichen Küche ging es bei den Schlüters nicht nur demokratisch zu. Denn Mutter Edith sorgte schon früh dafür, dass auch ihre Jungs beim Abwasch mithalfen und nicht zu Paschas heranwuchsen. Wichtiger als das Geschirr war für Familie Schlüter aber die Errungenschaft der freien Wahlen nach der totalitären NS-Zeit. Für Mutter Edith ist das Recht auf die Stimmabgabe auch eine Verpflichtung. Ihr Sohn sagt: &bdquo;Es gab keine Wahl, zu der sie nicht gegangen ist.“

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