Bad Lippspringe. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, lautet eine alte Weisheit. Aber sie stimmt nicht immer. Ein jetzt in Bad Lippspringe wieder aufgetauchtes Portrait-Gemälde der letzten deutschen Kaiserin Auguste Viktoria (1858-1921) wirft noch viele Fragen auf.
Nicht nur das ehemalige Auguste-Viktoria-Stift in Bad Lippspringe trägt ihren Namen. Allein zwölf Krankenhäuser deutschlandweit wurden nach ihr benannt. Hinzu kommen zahlreiche Schulen, Stiftungen sowie weitere caritativ tätige Einrichtungen.
Historiker beschreiben die letzte deutsche Kaiserin rückblickend als Frau voller Widersprüche. Auguste Viktoria liebte demzufolge den Prunk, beanspruchte ein Dutzend Schneiderinnen, war erzkonservativ und anders als ihr wankelmütiger Gemahl Wilhelm II. durchaus machtbewusst. Zugleich gab sie sich besonders mildtätig. Beispielsweise suchte die Kaiserin regelmäßig Bedürftige in den Armenvierteln auf.
Die Namensgeberin des 1901 in Bad Lippspringe eröffneten Auguste-Viktoria-Stifts ist heute fast vergessen. Umso mehr sorgt jetzt vor Ort die Nachricht für Furore, ein Portrait-Gemälde der ehemaligen Kaiserin sei in der Klinik am Park wieder entdeckt worden. Dort war es zuletzt im Sekretariat der Geschäftsführung sicher verwahrt worden. Ursprünglich, das ergaben erste Recherchen, war das prachtvolle Ölgemälde im großen Saal des ehemaligen Auguste-Viktoria-Stifts ausgestellt.
Die Haare sind ergraut, der Blick ist erhaben
Bei einem Vororttermin mit MZG-Geschäftsführer Peer Kraatz nahmen Bürgermeister Ulrich Lange und AVK-Investor Ralf Eckel das Gemälde erstmals in Augenschein - und waren überrascht von der Qualität und dem guten Zustand des Bildes.
Das 140 mal 95 Zentimeter große Kunstwerk zeigt die Kaiserin in einem späten Lebensabschnitt. Die Haare sind ergraut, der Blick majestätisch-stoisch und erhaben. Sie trägt ein Festkleid und - wie auf vielen anderen Fotografien und Portraitbildern sichtbar - eine mehrreihige Perlenkette. In den Händen hält sie eine gelbe Rose, die als Symbol für Herzlichkeit, Glück und Heiterkeit zu verstehen ist.

Das Ölgemälde entstand 1908, also Jahre nach der offiziellen Eröffnung des Auguste-Viktoria-Stifts. Andere Angaben auf dem Kunstwerk geben dagegen (noch) Rätsel auf. Während sich im linken oberen Teil des Portraits der Name des Künstlers Konrad von Kiesel findet, wird am unteren rechten Bildrand auf die vergleichsweise nur wenig bekannte Malerin Bertha von Seld als Schöpferin des Bildes verwiesen.
Kiesels bekannte Auftragsarbeit
Die Informationen über sie sind heute sehr überschaubar. Bertha von Seld, geboren 1860, war demnach eine Künstlerin, deren Hauptschaffensperiode in die Zeit des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fällt. Ihre Werke sind laut vorliegender Kurzbiografie „oft von der Natur und der Landschaft inspiriert“. Und: Bertha von Seld hat für ihre Bilder neben der Ölmalerei die Aquarelltechnik bevorzugt.
Über Conrad beziehungsweise Konrad von Kiesel (1846-1921) ist dagegen deutlich mehr bekannt. Er, der seit 1885 in Berlin lebte, wird heute zu den führenden Salonmalern seiner Zeit gezählt.
Zu seinen bekanntesten Auftragsarbeiten gehört ein Portrait der letzten deutschen Kaiserin, das im Arbeitszimmer von Wilhelm II. im Berliner Schloss einen prominenten Platz finden sollte. Von Kiesels Werke werden heute noch von führenden Auktionshäusern deutschlandweit versteigert. Der Erlös liegt nicht selten im oberen vierstelligen Bereich.
Welchen Anteil von Kiesel und von Seld am Bad Lippspringer Prachtgemälde haben, ist aktuell nicht bekannt. Ralf Eckel überlegt, einen Kunsthistoriker mit der Beantwortung dieser und anderer noch offener Fragen zu beauftragen.
Auf jeden Fall soll das Gemälde nach Abschluss der umfangreichen Arbeiten im und am ehemaligen Auguste-Viktoria-Stift im kommenden Jahr an seinen ursprünglichen Ausstellungsort zurückkehren.