Lübbecker Land: Einige Schicksale auch 80 Jahre nach Kriegsende ungewiss

Lübbecker Land/Stemwede. Der Zweite Weltkrieg, der durch das Nazi-Regime entfesselt worden war, brachte für viele Millionen Menschen Elend und Tod. Die Dimensionen sind so unvorstellbar, dass sie schwer über Bücher oder Dokumentationen zu erfassen sind. Eine andere Intensität hat es, persönlich mit Menschen über die Zeit zu sprechen, ihre Einzelschicksale zu hören und ihre Eindrücke wahrzunehmen. Ernst Kasten aus Niedermehnen hat die Neue Westfälische in der Vergangenheit an seiner Familiengeschichte, seinen Erlebnissen in den Kriegsjahren und an dem nie geklärten Schicksal seines Bruders teilhaben lassen. Nun kann Ernst Kasten nachfolgenden Generationen nicht mehr berichten. Am 16. März 2025 ist der Zeitzeuge gestorben. Als wäre es gestern gewesen, so präsent war dem Niedermehner der Zweite Weltkrieg in seinen Erinnerungen. 1929 in Oberlübbe geboren, wuchs Ernst Kasten ab 1935 in Schlesien auf. Dortige Verwandte hatten Familie Kasten ermuntert umzusiedeln, als der Vater, Bau- und Möbeltischler, nach einem Unfall ein neues Einkommen suchte. So zog die Familie mit den fünf Jungen und zwei Mädchen nach Pontwitz im Kreis Oels und übernahm dort ein landwirtschaftliches Anwesen. Flucht im Treck mit Pferd und Wagen Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg und damit verbunden eine große Ungewissheit, was der nächste Tag brachte. Familien wurden auseinandergerissen und zunehmend kleiner. Ernst Kastens Brüder wurden einberufen. Im Januar 1945 erreichte den in Schlesien verbliebenen Rest der Familie der Aufruf &bdquo;Fertigmachen zu Flucht“. Im Treck und mit Pferd und Wagen zogen sie in die Nähe von Theresienstadt. Sie hätten viel Leid und Katastrophen gesehen, auch Todesmärsche der Juden, erzählte Ernst Kasten. Vor der näher rückenden sowjetischen Armee ließen die SS-Befehlshaber die Konzentrationslager im Osten räumen. Tausende unterernährte, völlig geschwächte und kranke Menschen wurden dabei in eisiger Kälte in Richtung Deutschland geschickt. Nach Kriegsende im Mai 1945 kehren die Eltern mit Ernst Kasten und der jüngsten Tochter zunächst nach Schlesien zurück. Den Hof hatte inzwischen eine polnische Familie übernommen. Sein Vater habe sich als Handwerker nützlich gemacht. So habe die Familie eine Lebensgrundlage gehabt. Dann hätten sie gehört, dass es Papiere gebe, mit denen man das nun polnische Gebiet verlassen könne. Im Oktober 1945 machten sie sich auf den Weg – zu Fuß und mit Handwagen und in der Hoffnung, eine Mitfahrgelegenheit auf einem Lkw oder einen Zug zu erwischen. Unsicherheit auf dem Weg nach Nettelstedt Nach rund drei Wochen kamen sie schließlich bei den Verwandten in Nettelstedt an. Die rund 800 Kilometer von Pontwitz bis ins Lübbecker Land legten sie unter schwierigen und unsicheren Bedingungen zurück. Sie seien weitgehend auf sich allein gestellt gewesen, erinnerte sich Ernst Kasten. Viele Menschen waren auf der Flucht, um besetzte Gebiete oder zerbombte Städte zu verlassen. Ernst Kastens Brüder Heinrich und Wilhelm starben im Krieg, Hermann kehrte nach amerikanischer und französischer Gefangenschaft 1946 zurück. Nie geklärt wurde das Schicksal des vierten Bruders. Friedrich Kasten war ein junger Mann voller Pläne. Er absolvierte eine landwirtschaftliche Lehre und wollte Landwirtschaft studieren. Dann wurde der 20-Jährige als Soldat zum Zweiten Weltkrieg eingezogen. Seine Spur verliert sich 1943 in der Sowjetunion. Mehr als eine Million Menschen weiterhin vermisst Einige Fotos, die irgendwo in den wenigen privaten Momenten an der Front aufgenommen wurden, sind die letzten Bilder, die Friedrich Kasten zeigen. Zuletzt sei er an der Ostfront am Fluss Dnjepr gewesen, von der sowjetischen Armee eingekesselt. Von dort sei er in Richtung Süden aufgebrochen. Die letzte Post hat die Familie im Juli 1943 erhalten. Darin habe es geheißen, neue Adresse abwarten. Die Familie hat nie wieder etwas von ihm gehört. Friedrich Kasten gilt bis heute als vermisst. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke Selbst 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind noch viele Schicksale ungeklärt. Noch immer werden etwa 1,2 Millionen Menschen vermisst. Der DRK-Suchdienst unterstützt bis heute bei der Schicksalsklärung. Zunächst sollte die vom Bund finanzierte Suche nach Vermissten des Zweiten Weltkriegs Ende 2025 auslaufen. Jetzt wurde das humanitäre Mandat des DRK-Suchdienstes bis 2028 verlängert. Noch heute beschäftige viele die drängende Frage nach ihren kriegsvermissten Familienmitgliedern, informiert die DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Auch Familie Kasten hat seinerzeit Anfragen an den Suchdienst gestellt. Ergebnislos. Weitere Teile der Serie: 80 Jahre Kriegsende: Wie das Dritte Reich im Lübbecker Land nach 12 Jahren fiel 80 Jahre Kriegsende: Als Nachbarn im Lübbecker Land zu rechtlosem Freiwild wurden 80-Jahre Kriegsende: Als der Terror die Herrschaft im Lübbecker Land übernahm 80-Jahre Kriegsende: Was die Oberbauerschafterin Anna Alhorn erlebte 80-Jahre Kriegsende: Als der Krieg im Lübbecker Land zum Alltag wurde Video zum Thema:

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