80 Jahre Kriegsende: Wie das Dritte Reich im Lübbecker Land nach 12 Jahren fiel

Lübbecker Land/Stemwede. Die Deutsche Wehrmacht führte ein Kriegstagebuch. Detailliert sind dort für jeden Tag die Lageberichte genannt. Für den 4. April 1945 gibt es Hinweise zu Kämpfen bei Danzig, die Sowjets siegen in Ostpommern. Für Kiel wird der bislang schwerste Luftangriff erwähnt, die Sowjets stehen 15 Kilometer vor Wien. Gekämpft wird unter anderem in Thüringen und Schlesien, in Franken und Südwestfalen. &bdquo;Osnabrück ging verloren“, heißt es im Kriegstagebuch für unsere Region. Und bei Oeynhausen an der Weser solle eine neue Linie aufgebaut werden. Für die Menschen im Lübbecker Land war der Mittwoch, 4. April 1945, ein besonderer Tag. Für manche war es ein dramatischer Tag, für viele ein Aufatmen nach zwölf Jahren Nazi-Terrorherrschaft. An diesem Tag befreiten Briten und Amerikaner den damaligen Landkreis Lübbecke vom Faschismus. Warum Levern verteidigt werden sollte Während die Kreisstadt Lübbecke als offene Stadt kampflos besetzt wurde, hatte es in Levern erbitterte Kämpfe gegeben – die schwersten im Landkreis. Am Abend des 4. April 1945 waren rund 20 Menschen tot – deutsche und britische Soldaten sowie Zivilisten. Einheiten der SS-Leibstandarte &bdquo;Adolf Hitler“ waren zuvor in der Nacht zum 4. April abgerückt. Die Hoffnung auf eine friedliche Übergabe des Ortes, die viele Leverner deshalb hatten, erfüllten sich allerdings nicht. Soldaten eines Ausbildungsregiments der Luftwaffe sollten Levern verteidigen. Per Bahn kamen die blutjungen deutschen Luftwaffen-Soldaten aus Aalborg in Dänemark über Minden nach Lübbecke. Von dort ging es vom Bahnhof Lübbecke zu Fuß in Richtung Levern. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke &bdquo;Selig sind die, die rückwärts Boden gewinnen“ Kaum bewaffnet, kaum ausgebildet. Gegen gut ausgerüstete britische Einheiten. Mit Karabinern und einigen Panzerfäusten gegen britische Panzer. Der fanatische Nazi-Kreisleiter Ernst Meiring wollte die Verteidigung Leverns. Manche Menschen spekulierten nach Kriegsende, dass dem Kreisleiter das angeblich fromme Levern ein Dorn im Auge gewesen sein soll. Ob das stimmt, wurde nie aufgeklärt. Meiring tauchte noch am 4. April 1945 unter. Die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung habe man bemerkt, erinnerten sich Augenzeugen. Bürger hätten den Soldaten Unterschlupf und Zivilkleidung angeboten, sie zur Aufgabe aufgerufen. Die Einheit hatte nach Angaben der Augenzeugen Ausbilder, die teilweise verwundet waren. An eine reguläre Ausbildung war nicht mehr zu denken. Die Verteidiger Leverns waren zum Teil Jugendliche. Ein britisches Foto zeigt einige von ihnen nach der Gefangennahme. Die Gesichter sind müde, einer lächelt ganz leicht in die Kamera. Kinder, die in Uniformen gesteckt wurden. Nicht jeder erlebte den Moment der Gefangennahme, als auch für diese Soldaten der Krieg endlich vorbei war. Die erhoffte Ruhepause im damaligen Maidenheim, dem späteren Hotel &bdquo;Leverner Hof“, fanden die erschöpften jungen Soldaten nicht. Der Offizier, der die Einheit befehligte, habe verrückt gespielt, hatten einst die Zeitzeugen Jochen Hellige und Jannek Streber berichtet. &bdquo;Der wollte hier alles verteidigen – so ein Quatsch“. Die Briten seien aus Richtung des Ortsteils Hollenmühle vorgestoßen. Deutsche nahmen sie unter Beschuss. Die Briten schossen zurück. Dabei gingen unter anderem der alte Meyer-Hof und zahlreiche Häuser an der Hügelstraße in Flammen auf. Zeitzeugen erinnerten sich an die Kämpfe Joachim Hellige stammte aus der Lutherstadt Wittenberg und blieb nach dem Krieg in Levern. Am 4. April 1945 war er als Späher mit dem Fahrrad losgeschickt worden. Die Briten habe er schon sehen können, hatte er sich am 60. Jahrestag des Kriegsendes im Gespräch mit der Neuen Westfälischen erinnert. Damals hatte Hellige gemeinsam mit dem aus Hamburg stammenden Jannek Streber die Gräber seiner Kameraden in Levern besucht. Was er am 4. April 1945 angesichts der heranrückenden Briten dachte? &bdquo;Da sagte ich mir: Selig sind die, die rückwärts Boden gewinnen. Die werden die Heimat wiedersehen.“ Jannek Streber berichtete damals, den 4. April 1945 &bdquo;mit Schiss in der Hose“ erlebt zu haben. Deutscher Soldat in Lübbecke von Nazis ermordet Die Bauern hätten sich zum Teil vehement gegen den Bau von Verteidigungsanlagen in der Umgebung ihrer Höfe gewehrt, schrieb der langjährige Stemweder Gemeindedirektor Heinz Redecker in seinem 1995 erschienenen Buch &bdquo;Weiße Fahnen – und doch kein Ende“. Wer flüchten wollte, gegen den gingen die Nazis bis zuletzt mit aller Härte vor. Wer Fahnenflucht beging und erwischt wurde, der musste sterben. In seinen Erinnerungen beschreibt Jannek Streber, wie er unweit des Lübbecker Bahnhofs einen aufgehängten deutschen Soldaten sah – auf der Brust ein Schild mit den Bezeichnungen &bdquo;Feigling“ und &bdquo;Deserteur“. Willi Lampe aus Levern erlebte den 4. April 1945 mit den stundenlangen Gefechten im Keller eines Hauses an der Hügelstraße. Zwei deutsche Soldaten mit Fronterfahrung waren auch in dem Keller. &bdquo;Köpfe runter, keiner ans Kellerfenster“ – diese Hinweise der beiden Soldaten retteten den Zivilisten wohl das Leben. So hatte sich einst auch Willi Lampe erinnert. &bdquo;Qualvolle Schreie der Tiere“ &bdquo;Obwohl uns bekannt war, dass unser Haus brannte, konnten wir den schützenden Keller nicht verlassen, um aus unseren Gebäuden noch Vieh oder Inventar zu retten“, schrieb damals Irma Schramm aus Levern in ihren Erinnerungen. Der junge Landdiensthelfer habe im Stall unter großen Schwierigkeiten die Ketten der Kühe gelöst und sie ins Freie getrieben. &bdquo;Während das übrige Vieh in den Ställen verbrannte, mussten wir uns außer den Feuerstößen und dem Lärm explodierender Geschosse auch das qualvolle Schreien der Tiere anhören.“ Als die deutschen Soldaten sich am Nachmittag ergeben hatten und die beiden deutschen Landser aus dem Keller kamen, nahmen die Briten dankend die von den Deutschen angebotenen Zigaretten und rauchten gemeinsam, hat Willi Lampe beobachtet. Mit der Kapitulation beendete der deutsche Hauptmann Hermann Hölderle am Nachmittag des 4. April das sinnlose Gemetzel. Für den 4. April 1945 verzeichnet das Kriegstagebuch des britischen 3. Royal Tank Regiments, dass die Kämpfe in Levern um 16.50 Uhr endeten und 200 Kriegsgefangene gemacht wurden. Sechs britische Soldaten waren tot, sechs Zivilisten und zehn deutsche Soldaten ebenfalls. Unter den Toten war Gerhard Zaja. Der Schlesier fiel fünf Tage vor seinem 18. Geburtstag. Pr. Oldendorf und Lübbecke friedlich besetzt Die Besetzung Pr. Oldendorfs durch britische Truppen verlief ohne größeres Blutvergießen. Sofort rückten diese weiter auf Lübbecke vor. Dort hatte noch am Morgen des 4. April Landrat Kurt von Borries eigentlich entschieden, dass der Landkreis Lübbecke nicht verteidigt, sondern kampflos übergeben werden sollte. Gegen 12 Uhr rollten die ersten britischen Fahrzeuge aus Richtung Blasheim und Alswede kommend in Lübbecke ein. Auch Gehlenbeck wurde ohne einen Schuss besetzt, lediglich unweit des Nettelstedter Friedhofs kam es zu einem Feuergefecht, bei dem eine Frau starb und ein Bauernhof abbrannte. Bei Kämpfen in Rahden brannten einige Häuser nieder. Wie viele Menschen starben oder verwundet wurden, das ist nicht bekannt. Ein deutscher Soldat fand seine letzt Ruhe auf dem Friedhof Rahden. In Espelkamp lagerte unglaubliche Menge Kampfstoffmunition Ein wichtiges Kriegsziel der britischen Streitkräfte war die Heeres-Munitionsanstalt (Muna) Lübbecke im Mittwald. Die Muna im heutigen Espelkamp wurde am 4. April gegen 17.30 Uhr vom 3rd Royal Tank Regiment erreicht. In den mehr als 100 Gebäuden und Bunkern im Mittwald lagerte eine unglaubliche Menge an Kampfstoffmunition: 481.390 Granaten und Minen mit Tränengas, Lost, Phosgen, Clark und dem damals weltweit gefährlichsten Nervengift &bdquo;Grünring III“ Tabun. Espelkamp war die erste Muna, in der die Briten bei ihrem Vormarsch chemische Kampfstoffe fanden. Verteidigt wurde die Muna nicht, zu groß war die Gefahr, die von der enormen Menge an Kampfstoffmunition ausging. Tausende Menschen im Lübbecker Land hätten sonst wohl ihr Leben verloren.

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