Gedenkfeier in Rahden: Nachfahre vonNS-Opfern äußert aufrüttelnde Bitte

Rahden. Mehr als 100 Menschen trafen sich, unter ihnen auch viele Jugendliche. Für einen Moment läuteten die Glocken von St. Johannis. Was folgte, das war eine bewegende Zeremonie. Mit der erinnerten Rahdener an eine Familie, die einst im Ort lebte und hohes Ansehen genoss. Bis die Nazis das Ruder übernahmen. Stolpersteine an der Langen Straße erinnern seit Mittwoch an die Familie Oppenheim. An der anrührenden Gedenkfeier zur Verlegung der Stolpersteine nahm auch ein Nachfahre der Familie teil. Und Daniel Oppenheim und seine Frau Patti, die aus den USA angereist waren, waren sichtlich berührt. Oppenheim sprach das Kaddish, eines der wichtigsten Gebete im Judentum. Pfarrerin Gisela Kortenbruck zitierte aus der Bibel. In Rahden blühte einst eine jüdische Gemeinde. Die Rahdener jüdischen Glaubens waren fester Bestandteil der Ortschaft und engagierten sich in Gewerbe, Institutionen und Vereinen. Das Miteinander endete mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft. Das Terror-Regime um Adolf Hitler grenzte Menschen jüdischen Glaubens immer weiter aus und mit der Pogromnacht am 9. November 1938 gab es das Fanal zum millionenfachen Mord. In Rahden wurde die Synagoge am 10. November 1938 von Nazis niedergebrannt. An die Umrisse des Gebäudes wird heute erinnert. In der Kernstadt gibt es weitere Punkte der Erinnerung: die Stolpersteine. Die von Künstler Gunter Demnig entworfenen Steine nennen Namen und Lebensdaten eines Menschen. Die Steine liegen vor dem Haus, was letzte frei gewählte Adresse eines Menschen jüdischen Glaubens war. Deportation ins KZ und Flucht nach Kuba und in die USA In Rahdens Mitte sind am Mittwoch weitere Steine verlegt worden – in unmittelbarer Nähe zu einem Haus, das viele Menschen aus dem Nordkreis als Eisdiele kennen. Weniger bekannt ist heute, dass dieses Gebäude einst von der Familie Oppenheim als Wohn- und Geschäftshaus errichtet wurde. Familie Oppenheim wohnte an der heutigen Langen Straße 4, einst hatte dieses Grundstück die Adresse Rahden 87. Auf Initiative des Arbeitskreises &bdquo;Jüdisches Leben in Rahden“ erinnern nun Stolpersteine an Familie Oppenheim. Alle seien sehr dankbar, dass Daniel Oppenheim gemeinsam mit seiner Frau Patti an der Verlegung der Stolpersteine teilnahm, sagte Monika Büntemeyer vom Arbeitskreis &bdquo;Jüdisches Leben in Rahden“. Büntemeyer und die stellvertretende Bürgermeisterin Dorothee Brandt würdigten die Teilnahme Oppenheims an der Zeremonie als große Ehre und Zeichen der Großzügigkeit. Am Vorabend hatte sich Oppenheim auch mit Rahdens Bürgermeister Bert Honsel getroffen. Daniel Oppenheim ist der Sohn von Gerd Oppenheim. Dessen Eltern Hugo und Hertha Oppenheim. Hugo Oppenheim, der im Gebäude der heutigen Eisdiele sein Manufakturwarengeschäft betrieben hatte, wurde 1938 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach der Entlassung flohen er und seine Frau Hertha Anfang 1939 nach Kuba und weiter in die USA. Der damals sechsjährige Gerd Oppenheim durfte wegen Scharlach nicht an Bord und konnte erst neun Monate später mit seinem Cousin Friedrich Jelin den Eltern folgen. Andere Mitglieder der Familie Oppenheim wurden von den Nazis im KZ Theresienstadt ermordet. Familie Oppenheim engagierte sich in Rahden Das Erinnern sei Pflicht, merkte Monika Büntemeyer an. Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus bleibe durch die Stolpersteine wach, sagte Dorothee Brandt. Es sei Aufgabe der jungen Generation, die Geschichte der Mitbürger jüdischen Glaubens weiterzuerzählen, merkte sie mit Blick auf die vielen Jugendlichen an. Lilly Schneider, Lukas Gorka und Oliver Witzke vom Gymnasium Rahden erinnerten an das Schicksal der Familie Oppenheim, die im Haus Lange Straße 4 lebten. Das Haus wurde vor knapp einem Jahr abgerissen. Im benachbarten Geschäftshaus, der heutigen Eisdiele, betrieben sie das Manufakturwarengeschäft. Die Oppenheims waren in Rahden in vielerlei Hinsicht engagiert. Ein Familienmitglied gehörte zu den Mitbegründern der Volksbank, Oppenheims engagierten sich in der Schützengilde oder dem Frauenverein. Die Jugendlichen erinnerten an die Besuche von Gerd Oppenheim in Rahden, bei denen er das Geläut von St. Johannis aufnahm oder auch noch einmal das Schützenfest besuchen wollte. Sie erinnerten an die Freundschaft, die Gerd Oppenheim und dessen Bruder Henry mit dem damaligen ehrenamtlichen Stadtarchivar Werner Kirchhoff verband. Erinnerungen an die Pogromnacht Die Familie Oppenheim sei sehr in die Gesellschaft Rahdens integriert gewesen. Wie diese Gemeinschaft heute wohl aussehen würde, wenn Familien wie die Oppenheims noch da wären, fragt Lilly Schneider. Rahden habe durch den Nationalsozialismus Familien mit großem Engagement verloren, der Nationalsozialismus habe so vieles zerstört. Dennoch habe die Familie Oppenheim immer Zuversicht gehabt – auch die Welt um sie herum brannte. Von dieser Zuversicht könne man heute so viel lernen, merkte Schneider an. Daniel Oppenheim dankte &bdquo;für die Ehre, hier sprechen zu dürfen“. Angesichts der aktuellen Lage in der Welt habe die Zeremonie der Stolperstein-Verlegung eine ganz, ganz besondere Bedeutung. Sein Vater habe erst kurz vor seinem Tod über jene Zeit in Rahden gesprochen. Er habe berichtet, dass die Freunde auf einmal nicht mehr mit ihm spielen durften. Er habe von der brennenden Synagoge berichtet, vom Geruch verbrannten Holzes. Er habe erzählt, dass in der Pogromnacht eine Käseglocke durch das Fenster des Oppenheimschen Hauses geworfen wurde. Bei seinem ersten Besuch in Rahden sei sein Vater 1995 von freundlichen Menschen begrüßt worden. Er habe nicht verstehen können, was seiner Familie von den Menschen in Rahden vor 60 Jahren angetan worden sei. Später habe sein Vater ihm erzählt, wie wichtig ihm diese erste Reise gewesen sei. Die Verlegung der Stolpersteine sei wichtig, sagte Daniel Oppenheim. Der Antisemitismus zeige wieder sein hässliches Gesicht, auch in den USA. &bdquo;Es lohnt sich immer, für die Freiheit zu kämpfen“ &bdquo;Es lohnt sich immer, für die Freiheit zu kämpfen“, machte Daniel Oppenheim deutlich. Heute würden die Menschen Freiheit genießen, weil es auf allen Seiten Menschen gegeben habe, die sich für die Freiheit opferten. &bdquo;Nie wieder“, das müsse die gemeinsame Botschaft der Menschen nach dem Holocaust sein. Für Daniel Oppenheim ist es der insgesamt fünfte Besuch in Rahden. Er besuchte auch den jüdischen Friedhof in der Altgemeinde, wo seine Urgroßeltern Daniel und Ida ihre letzte Ruhe fanden. Mit welchen Gefühlen er dieses Mal anreiste und wie er die Zeremonie erlebte? &bdquo;Es war sehr emotional“, sagte Oppenheim. In manchen Momenten seien Tränen geflossen. Die Menschen hätten über seine Familie gesprochen. &bdquo;Und es ist wichtig, über das zu sprechen, was passierte, damit das nie wieder passiert“, machte er deutlich. &bdquo;Wenn wir aus der Vergangenheit lernen, dann kann es nicht wieder passieren.“ Darin liege auch die Bedeutung der Verlegung der Stolpersteine.

Meistgelesen