Verkaufsoffene Sonntage: Verdi-Verhalten ist "inakzeptabel"

Rahden. Einzelhandel und Gastronomie leiden unter der Corona-Krise. Im Einzelhandel gilt 2G, bei Discountern keine solche Vorgabe. Warum er sich um den Einzelhandel sorgt, welche Chance der aber auch hat und wie es mit den Veranstaltungen in der Rahdener Innenstadt wie der Automesse ausschaut, dazu bezieht Martin Wlecke Stellung. Der Vorsitzende des Gewerbebundes Rahden greift die Gewerkschaft Verdi scharf an.Herr Wlecke, haben Sie Ihre dritte Impfung schon bekommen? MARTIN WLECKE: Ja. Haben Sie die gut vertragen? Ich habe nichts gemerkt, außer an der Einstichstelle.Was halten Sie von einer Impfpflicht? Nicht wirklich. Die, die sich nicht wirklich impfen lassen wollen, sollen die mit der Polizei zum Impfarzt gebracht werden? Wobei ich keinen verstehe, der sich nicht impfen lässt. Keinen. Es geht ja nicht nur um den eigenen Schutz, sondern auch um den Schutz des Umfeldes - der Angehörigen, der Freunde, der Arbeitskollegen.Muss die 2G-Regel im Einzelhandel weg? Ja. Weil? Es kann nicht sein, dass man in jeden Discounter reingehen kann ohne jegliche Kontrolle und da nicht nur die Lebensmittel kauft, sondern auch Dinge, die vielfach im Einzelhandel gekauft worden wären. Die Personendichte im Discounter ist deutlich höher als in jedem Einzelhandelsgeschäft. Die Verhältnismäßigkeit der Restriktionen im Einzelhandel ist unverhältnismäßig gegenüber der Freizügigkeit bei den Discountern. Man hat den Eindruck, der Staat fördere mit solchen Maßnahmen Discounter und den Online-Handel. Hat der Einzelhandel keine Lobby? Der inhabergeführte Einzelhandel hat offenbar keine Lobby in der Politik. Wenn Galeria Kaufhof "Hilfe" ruft, wird Million um Million an Steuergeld zur Verfügung gestellt. In diesen Genuss kommt kein einziger kleiner Einzelhändler. Auf der anderen Seite gibt es staatliche Strukturförderfonds beispielsweise für lebendige Innenstädte, die die derzeitigen Restriktionen eigentlich konterkarieren. Auf der einen Seite lässt man den Einzelhandel nicht vernünftig arbeiten, auf der anderen Seite klagt man über das Sterben der Innenstädte. Sind die in den vergangenen zwei Jahren angekündigten Corona-Hilfen nur Schaumschlägerei gewesen? Nein. Die Corona-Hilfen haben sicher dem einen oder anderen schon geholfen. Aber vielfach sind die Zugangsvoraussetzungen nicht nach Branchen getrennt worden, sondern einfach an Prozentzahlen der Umsatzrückgänge festgemacht worden. Das ist gerade für Unternehmen mit einer kleinen Gewinnmarge ein Riesenproblem.Wie groß ist Ihre Sorge um den Einzelhandel in Rahden? Groß. Die Leerstände haben in den vergangenen zwei Jahren auch stark zugenommen? Die jetzigen Leerstände zeugen von der aktuellen Entwicklung.Hilft da ein Landesprogramm, mit dem Kommunen Leerstände anmieten und für einen geringeren Mietzins an Existenzgründer weitervermieten können? Das hilft schon. Aber das ist ja keine zeitlich unbegrenzte Lösung. Das hilft nur Existenzgründern, den ersten Schritt in die Selbstständigkeit ein klein wenig einfacher zu machen. Es ändert aber nichts an dem Konkurrenzdruck durch die großen Online-Händler.Hat der stationäre Einzelhandel wie in Rahden da überhaupt noch Chancen? Ja. Entscheidend für den Erfolg des Einzelhandels ist meiner Meinung nach eine relativ hohe Spezialisierung mit einer großen Sortimentstiefe, qualifizierter Beratung und einer Prise Einkaufserlebnis. Das Ganze dann noch kombiniert mit einem hybriden Vertrieb.Heißt: stationärer Vertrieb und online? Das heißt stationärer Handel gekoppelt mit einem Online-Angebot, wo der Verbraucher etwa am Wochenende schauen kann, ob der Händler das gesuchte Produkt anbietet oder am Lager hat.Fachgeschäfte mit guter Beratung und Service sind also das A und O? Die vielen kleinen Dinge sind es, die zu einem Einkaufserlebnis beitragen. Dazu gehört auch Freundlichkeit und dafür gibt es in Rahden ein paar sehr gute Beispiele.Was erwartet der Gewerbebund von der Stadt Rahden? Wir erwarten eine aktive Förderung der heimischen Wirtschaft, ein unternehmerfreundliches Verhalten der Verwaltung gegenüber allen wirtschaftlich Tätigen und eine aktive Beteiligung am Stadtmarketing. Über Stadtmarketing wird seit Jahren gesprochen, aber es geht nicht voran? Seit Langem wird über die Gründung eines Stadtmarketingvereins auch in der Politik diskutiert. Hierbei macht man sich sehr viele Gedanken über die Finanzierung, die Organisationsstruktur und die Aufgaben. Das Wesentliche ist dabei aber allerdings, engagierte ehrenamtliche oder bezahlte Köpfe zu finden, die das aktiv umsetzen. Leider ist die Bereitschaft vieler Menschen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer weiter gesunken, in ihrer Freizeit ehrenamtlich tätig zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Das wird wohl zur Konsequenz haben, dass man nur durch bezahlte Verantwortungsträger einen Stadtmarketingverein oder eine Stadtmarketing GmbH auf die Beine stellen kann. Und da stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit. Hat Rahden im Vergleich zu Lübbecke oder anderen Städten den Anschluss verpasst? Nein. Wenn man sich aktuell die umliegenden Städte anschaut, muss man feststellen, dass die Probleme durch Leerstände oder die Probleme im Einzelhandel mehr oder weniger bei allen gleich gelagert sind. Wenn man sich zum Beispiel überlegt, dass das Café Janke in Lübbecke in Toplage keinen Nachfolger findet, ist das schon sehr erschreckend. Die Stadt Rahden sagt, dass ein WEZ-Markt an der Osnabrücker Straße keine negativen Folgen für die Innenstadt habe. Teilt der Gewerbebund diese Ansicht? Ja. Warum? Ein breit aufgestellter Lebensmittelmarkt trägt dazu bei, Kunden in Rahden zu binden, die ansonsten aufgrund der größeren Auswahl an Produkten in den größeren Märkten der Nachbarkommunen einkaufen. Jede gute Einkaufsmöglichkeit zählt. Wie schätzen Sie die Zukunft der Gastronomie in Rahden ein? Aufgrund der aktuell überschaubaren gastronomischen Angebote in Rahden bin ich davon überzeugt, dass hier einiges an Potenzial da ist.Gilt das auch für weitere Gastronomie am Kirchplatz? Der Platz bietet sich förmlich dafür an. Gerade im Sommer mit Außengastronomie am zentralen Punkt Rahdens. Nicht umsonst gab es weit über 100 Jahre Gastronomie am Kirchplatz. Sollte Gastronomie also bei der Kirchring-Sanierung eine wichtige Rolle spielen? Es wäre sehr wünschenswert, dort ein gutes gastronomisches Angebot zu bekommen. Das ist Teil des Einkaufserlebnisses und Teil der Innenstadtatmosphäre.Wie sieht es dieses Jahr mit den Innenstadtveranstaltungen aus? Damit hängen doch die für den Einzelhandel so wichtigen verkaufsoffenen Sonntage zusammen? Die von Verdi eingeklagten Verbote von verkaufsoffenen Sonntagen ohne eine entsprechende Veranstaltung in Verbindung mit der räumlichen Einschränkung, dass nur Geschäfte öffnen dürfen, die im näheren Umfeld zum Veranstaltungsgelände liegen müssen, sind vollkommen inakzeptabel. Eine Gewerkschaft, die seit Jahren an kräftigem Mitgliederschwund leidet, beschränkt die Einkaufsmöglichkeiten aller Bürger im Einzelhandel. Auf der einen Seite beklagt sich Verdi über die miserable Bezahlung von Paketzustellern. Auf der anderen Seite drängt Verdi immer mehr Menschen außerhalb der regulären Öffnungszeiten in den Internethandel. Das ist meiner Meinung nach aus ökologischer Sicht eine Katastrophe, wenn man mal bedenkt, wie viel Verpackungsmaterial, Treibstoffverbrauch und Verkehrsbelastung damit verbunden sind. Und wenn man dann noch über die Rücksendungen nachdenkt, wird das Ganze irrwitzig. Also muss es dieses Jahr wieder die innerstädtischen Veranstaltungen geben? Leider wird es in diesem Jahr keine Automesse und damit auch keinen mit der Automesse verbundenen verkaufsoffenen Sonntag geben. Die Autohändler klagen zum einen über fehlende Neuwagen und müssten zum anderen jedes Auto nach jedem Probesitzen desinfizieren. Da kann ich jeden Autohändler verstehen, dass dieser Aufwand nicht zu bewerkstelligen ist. Die Rahdener Sommertage befinden sich derzeit in Planung, werden aber mit einem ganz anderen Konzept hoffentlich stattfinden. Der Trödelmarkt kann hoffentlich stattfinden. Und der Weihnachtsmarkt, das "Dezemberträumchen", hat trotz aller widrigen Umstände eine sehr gute Resonanz gehabt - sowohl der Veranstaltungsort als auch das Konzept haben eine deutliche Zukunft.

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