Tornadoverdacht in Minden-Lübbecke bestätigt: Auf Spurensuche mit Friedrich Föst

Preußisch Oldendorf/Lübbecke. Am späten Nachmittag des 1. Februar fegte ein Sturm über die nahe des Mittellandkanalufers gelegenen Grundstücke und Felder und hinterließ dabei immense Schäden an Baumbestand und Dächern. "Dass dabei keine Personenschäden zu vermelden gewesen sind, war großes Glück", sagt der Lübbecker Meteorologe Friedrich Föst. Nachdem der schadenverursachende Sturm in der "Tornadoliste Deutschland" zunächst als Tornado-Verdachtsfall gelistet war, begab sich der Wetterexperte auf Spurensuche. Und damit war er nicht der Einzige. Auch Mitglieder der "Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland e.V." haben sich auf den Weg nach Pr. Oldendorf gemacht. Friedrich Föst tauschte mit ihnen Bildmaterial und Einschätzungen aus. Im Ergebnis waren sie sich einig: "Das war zweifelsfrei ein Tornado!". Und zwar ein ganz ordentlicher. "Anhand des Schadensbildes lässt sich sagen, dass dieser Tornado in die Stufe F2 der Fujita-Skala eingeordnet werden kann", sagt der Experte. Die Fujita-Skala ermöglicht es, Tornados entsprechend ihrer Stärke und der Schäden, die sie verursachen können, in international vergleichbare Einheiten zu klassifizieren. Dabei unterscheidet man Tornados der Stärken F0 bis F5. Ein Tornado der Stärke F2 verfügt über mindestens 180 km/h Windgeschwindigkeit. Im Falle des Tornados, der kürzlich in Getmold, Lashorst und Hedem wütete, waren es nach Einschätzung des Meteorologen über 200 km/h. Deutschland bis in die 1930er Jahre führend in der Tornadoforschung Tornados gehören ihm zufolge in Deutschland aktuell zu einem vielfach unterschätzten Wetterphänomen. Das sei aber nicht immer so gewesen: "Dass Tornados hierzulande ein lange bekanntes Phänomen sind, zeigt sich auch daran, dass Deutschland bis in die 1930er Jahre führend in der Tornadoforschung war." Mit Beginn des zweiten Weltkriegs endete die deutsche Tornadoforschung zunächst. Erst in jüngerer Vergangenheit haben verschiedene Vereine und viele Ehrenamtliche wieder damit begonnen, den Tornados auf die Spur zu kommen, um perspektivisch irgendwann auch feststellen zu können, ob sich das Tornadovorkommen durch den Klimawandel verändert. "Die Annahme, dass Tornados bei uns nicht so stark sind, wie in den USA beispielsweise, ist ein Ammenmärchen", erklärt Föst. Auch dort seien Tornados der Stärke F5 eine Seltenheit, während die Stärken F0 und F1 einen Großteil der gemeldeten Tornados ausmachten. Zwei Tornados mit höchster Klassifizierung Selbst in Deutschland habe es aber bereits zwei Tornados der höchsten Klassifizierung mit über 322 km/h Windgeschwindigkeit gegeben. Dass es sich bei den verheerenden Katastrophen in den Jahren 1764 in Woldegk sowie 1800 in Hainichen um F5-Tornados gehandelt haben muss, habe man im Nachhinein anhand archivierter Kupferstiche und Zeugenaussagen feststellen können. Auch das jüngste Wetterereignis in Preußisch Oldendorf habe aber das Potenzial gehabt, eine ernstzunehmende Gefahr für Menschen darzustellen. Wäre der Tornado über dichter bebautes Gebiet gezogen, hätte das seiner Vermutung nach ganz anders ausgesehen. "Ein Tornado dieser Stärke ist ohne Zweifel dazu im Stande, Dachstühle einzureißen und Mauern zum Einsturz zu bringen", sagt er. Außerdem würden auch kleinere Gegenstände zu lebensgefährlichen Geschossen, wenn sie mit 200 Stundenkilometern durch die Luft wirbeln. Welche Kräfte selbst dort wirkten, wo der Tornado nicht unmittelbar entlang zog, lässt sich an umgeknickten Bäumen in rund 100 Metern Entfernung ablesen, deren Stämme durch den reinen Luftsog brachen. Auch die Beobachtungen einer Anwohnerin gehen auf diese Zentrifugalkraft zurück. Sie hatte kurz nach dem Unwetter berichtet, dass die Hagelkörner zunächst aus der einen und unmittelbar darauf aus einer anderen Richtung geflogen seien. "So etwas ist ganz typisch", erklärt der Meteorologe. Ein Tornado ist nicht immer sichtbar Dass ein Tornado auch sichtbar ist, sei nicht immer der Fall: "Sehen kann man ihn nur dann, wenn er auskondensiert, also Wasserdampf innerhalb des Luftwirbels entsteht." Laut Definition handele es sich um einen Tornado, sobald der Luftwirbel Bodenkontakt hat. Damit das passiert, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Sobald eine der notwendigen Bedingungen wegfällt, verliert der Tornado an Kraft und löst sich bald darauf auf. Damit er entstehen kann, sind vor allem feuchtwarme Luft in Bodennähe und trockene, kühlere Luft in höheren Schichten nötig. Außerdem muss der Wind seine Richtung ändern und mit zunehmender Höhe auch an Geschwindigkeit zunehmen. "Wir nennen das Windscherung. Das Prinzip kennen wir fast alle aus dem Fernsehen vom Eiskunstlauf. Die Eiskunstläufer beginnen sich in der Hocke zu drehen und strecken sich dann, wodurch sie schnell an Geschwindigkeit zunehmen", erklärt der Fachmann. In Lübbecke hatte der Tornado vermutlich ein weiteres Mal Bodenkontakt Die Lebensdauer des Wirbels schätzt er auf etwa zehn Minuten. "In der Nähe von Levern hat er das erste Mal Bodenkontakt gehabt, ist dann über Getmold und Lashorst gezogen und kurz vor Hedem wieder abgehoben. Dabei dürfte er eine Zuggeschwindigkeit von ungefähr 50 Stundenkilometer gehabt haben", lautet seine Einschätzung. Zunächst habe man angenommen, dass er sich daraufhin aufgelöst habe. Inzwischen aber gebe es Anhaltspunkte dafür, dass er im Lübbecker Wiehengebirge einen weiteren Touchdown hatte. Dort fand der Meteorologe am vergangenen Dienstag eine weitere Schneise mit ähnlichem, tornadotypischem Schadensbild, die Zeugenaussagen zufolge ebenfalls am 1. Februar entstanden sein soll. Ausgerechnet über dem dazwischenliegenden, dicht besiedelten Gebiet, hatte er keinen Bodenkontakt. Im Kreis Minden-Lübbecke ist er damit neben sieben Verdachtsfällen der dritte bestätigte Tornado seit dem Jahr 2000.

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