"Ich wollte ihn nicht umbringen": 52-Jähriger bleibt nach Messerangriff hinter Gitter

Porta Westfalica/Minden. Er kam aus dem Gefängnis und fuhr wieder in die JVA Bielefeld-Brackwede zurück: Das Schöffengericht verurteilte den gerade in U-Haft Sitzenden zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und acht Monaten. Die Staatsanwaltschaft klagte den 52-Jährigen wegen versuchten Totschlags an, weil der Mann in Barkhausen einen 73-Jährigen mit einem Küchenmesser attackiert und verletzt haben soll. Am Ende ging es am Freitag im Mindener Amtsgericht um eine Körperverletzung. Die Tat an sich gestand der Angeklagte gleich zu Beginn, ergänzte jedoch: "Ich war zwar in Rage, aber umbringen wollte ich ihn nicht." Aller Voraussicht nach muss der Drogenkranke noch mindestens ein Jahr länger hinter Gitter bleiben. Denn: Er war vor der Tat auf Bewährung in Freiheit. Stefan K. (Name geändert) lebte rund zwei Jahre in der christlichen Sozialeinrichtung "Gemeinsames Leben" in Barkhausen, die Suchtkranken half und inzwischen nicht mehr existiert. Der Angeklagte arbeitete auf dem Grundstück, sollte einem geregelten Tagesablauf nachgehen und bekam Drogenersatzstoffe. Den Verein an der Straße "Unter den Tannen" betrieben der 73-Jährige und seine Frau. Die Ärztin ist Teil der Gemeinschaftspraxis Porta in Neesen, unterstützt Abhängige und verschreibt ihnen Ersatzstoffe wie beispielsweise Methadon. "Er war schwer einzuschätzen" Das alles ging lange gut, Stefan K. blieb unauffällig, fühlte sich dann jedoch ausgenutzt. "Ich rackerte auf dem Grundstück, habe Tonnen bewegt und bekam wie ein Sklave nichts dafür." Der 73-Jährige nahm die Rolle des Betreuers ein und verwaltete sein Geld, das sich aus der Grundsicherung zusammensetzte. Mehrmals habe der 52-Jährige ihn darauf angesprochen, dass er Geld möchte, wurde jedoch abgewiesen, berichtete er vor Gericht. Nachdem seine Mutter gestorben war, sei er in eine emotionale Ausnahmesituation geraten, nahm sein Medikament nicht mehr, trank und randalierte. Der 73-Jährige und die Ärztin stellten ihn zur Rede, eher die Situation Ende November 2022 eskalierte. Die Medizinerin wollte gerade die Polizei rufen, als Stefan K. ihr das Handy aus der Hand schlug und auf ihren Mann losging. Bewaffnet mit einem Messer schrie er, wie er zugab: "Ich steche dich ab." Im Gerangel bekam er einen Faustschlag vom 73-Jährigen und verletzte ihn am Gesicht und den Händen. Dem Senior gelang es dennoch, ihn zu fixieren und nach draußen zu befördern. Dann kam die Polizei und nahm den 52-Jährigen in Gewahrsam. "Er war schwer einzuschätzen", sagte eine Beamtin als Zeugin. 29 Vorstrafen und seit 35 Jahren auffällig Das Opfer erlitt keine schwerwiegenden Verletzungen, die Wunden sind inzwischen verheilt: "Damals blutete ich stark, auch weil ich Blutverdünner nehme." Der 73-Jährige sagte, dass der Angeklagte Geld für den Cannabiskonsum benötigte und es deswegen forderte. Er selbst habe 20 Jahre mit Suchtkranken gearbeitet, "aber so etwas habe ich noch nie erlebt." Seine Frau sagte, dass sie während der Tat wie in Trance gewesen sei: "Dennoch bin ich nicht sauer auf ihn." Sie glaube, dass er chronisch krank sei und deswegen so gehandelt habe. Das Ehepaar nahm im Gerichtssaal die Entschuldigung des Angeklagten an. Das Leben des gelernten Garten- und Landschaftsbauers hatte bislang eindeutig mehr Tiefen als Höhen - die Justiz zählt inzwischen 29 Vorstrafen. Schon als Jugendlicher geriet der Sohn einer Alkoholikerin in Konflikt mit dem Gesetz. Seine Mutter habe getrunken, als er noch in ihrem Bauch war, sagte er. Der Weg war vorgezeichnet: Immer wieder fiel er auf wegen Diebstahl, Raub, Körperverletzung und Drogenhandel. Insgesamt verbrachte er mehrere Jahre im Gefängnis, 2017 wurde er mit 3,8 Promille in ein Krankenhaus eingeliefert. "Er hat ein Suchtproblem, machte bereits mehr als 100 Entzüge und wurde immer wieder rückfällig", berichtete der beauftragte Psychiater aus seinem Gutachten. In der Tat im November 2022 sahen Staatsanwältin, Richter, Schöffinnen und Anwalt keinen Tötungsvorsatz. "Die Gewalt gehört zu seinem Alltag, dennoch war das kein gezielter Messerstich", sagte der Verteidiger und forderte eine einjährige Freiheitsstrafe. Auch die Staatsanwältin ging nicht davon aus, dass er in den Kopf oder andere lebensnotwendige Organe stechen wollte. "In ihm hatte sich Unmut aufgestaut, er ist allerdings über das Ziel hinausgeschossen." Sie glaubte an keine positive Sozialprognose und plädierte für eine zweijährige Haftstrafe. "So etwas kommt nicht wieder vor", sagte der mehrmals vorbestrafte Stefan K. Ob sein Leben nun einen Wendepunkt nimmt?

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