Wie aus einer alten Ziegelei in Minden-Lübbecke ein Lost Place wurde

Petershagen-Quetzen. Die Natur hat sich die Reste der Ziegelei Töpker längst wiedergeholt. Ein Turm steht noch, am Fuß mit Graffiti bekritzelt, dann ein paar zerfallene Betriebsgebäude, alte Trockenkammern, verwittert wie alles hier. Am Boden liegen hunderte Ziegel, auch sie werden nach und nach vom Moos bedeckt. All das zeugt von der regen Produktion, die der Landbevölkerung einst Lohn und Brot gab. &bdquo;Töpker war über 75 Jahre ein wichtiger Arbeitgeber“, sagt Manfred Wessling, Ortsheimatpfleger in Quetzen und einer, der die Ziegelei noch aktiv in Erinnerung hat, als Kind an und in der Tongrube spielte. Und die Erinnerung lebt: An vielen Häusern im Ort gebe es noch Töpker-Ziegel, die Dächer seien mit Pfannen aus Quetzer Produktion bedacht. Auch die Tongrube sei noch da, mittlerweile vom Angelverein aus Schaumburg genutzt. Es soll sogar noch einige Schienenteile für die Lorenbahn geben, die momentan aber nicht sichtbar sind, wie Wessling sagt. In der Kulturgemeinschaft sei schon überlegt worden, ob man die Schienen aus dem Boden holt und öffentlich ausstellt - als Symbol für die Quetzer Ziegelproduktion. Dorfchronik gewährt Blicke in Mindens Vergangenheit Als Glücksfall sieht Wessling die Arbeit des ehemaligen Dorflehrers Heinrich David, der 1989 eine heute nur noch antiquarisch erhältliche Dorfchronik vorgelegt hat: &bdquo;Quetzen - ein Dorf im Mindener Land in Vergangenheit und Gegenwart.“ Den Quetzer Ziegeleien ist ein ausführliches Kapitel gewidmet. Dass das Gelände für die Ziegelproduktion optimal war, liege am &bdquo;schweren Boden“, wie Manfred Wessling sagt. Bereits in grauer Vorzeit habe es Feldbrandstellen gegeben, in denen ebenfalls Ziegel produziert wurden. Wie David berichtet, habe es gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch drei Feldbrandziegeleien gegeben, reine Saisonbetriebe und für die Besitzer eine zusätzliche Einnahmequelle zur Landwirtschaft. Ab 1861 sei dann laut Lahder Kirchenchronik eine Ziegelei der Fürstlichen Rentkammer Bückeburg in die Produktion gegangen, bei deren &bdquo;umfangreichem Betrieb“, so zitiert Heinrich David, &bdquo;die arbeitende Klasse dieser meist ärmlichen Gemeinde einen neuen Nahrungszweig findet.“ Lesen Sie auch: Exklusiver Einblick in Herforder Lost Place 20 Beschäftigte in der alten Ziegelei Nach einigen Besitzerwechseln stiegen 1891 endlich die Brüder Töpker ein, die aus dem Lipperland kamen: Fritz Töpker, der von den Zieglern bald &bdquo;Der Alte“ genannt wurde, und Hermann Töpker, den sie - mit Blick auf den doch deutlichen Größenunterschied - &bdquo;der Kleine“ titulierten. Wie es bei denen in den frühen Jahren zuging, ist über Zeitzeugenberichte überliefert, etwa von Heinrich Schollenbruch, Jahrgang 1891. Er hatte seit 1914 bei Töpker gearbeitet, 20 Beschäftigte habe es dort gegeben, einschließlich der beiden Chefs, die abwechselnd das Heizen übernahmen. Auf einer knapp elf Morgen großen Fläche bei Deterding, Spiekerberg Nummer 95, mussten sechs bis sieben Männer im Winter Ton stechen. Der sogenannte &bdquo;Pottlehm“ oder auch &bdquo;fette Ton“ war Grundlage für Dachziegel, der Schieferton sollte für Mauersteine verwendet werden. Alles sollte möglichst rein sein. Schollenbruch schreibt: &bdquo;Besondere Aufmerksamkeit mussten wir den im Ton vorkommenden Steinen und Steinchen widmen. Mehr als einmal am Tag vernahmen wir den mahnenden Ruf unseres Chefs Fritz Töpker: Steine rutseuken!“ Mehr zum Thema: Der verlassene Tower auf dem Gütersloher Flughafen Hohe Qualität in der Ziegelei Quetzen Gearbeitet wurde in der Saison von &bdquo;Licht zu Licht“ von &bdquo;morgens 7 bis 6 Uhr abends“, wie sich Christian Deterding erinnerte, ebenfalls Zeitzeuge, Jahrgang 1877. Deterding: &bdquo;Die Gebrüder Töpker achteten streng auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Sie waren reelle Leute, scheuten keine Arbeit und griffen kräftig mit zu.“ Niemals habe er mit ihnen Krach gehabt, schreibt Deterding, nur einmal sei er auf dem Heimweg ermahnt worden, weil er mit seinem Kollegen wenige Minuten vor der Zeit seinen Arbeitsplatz verlassen hatte: &bdquo;No, Kerls, wuer wigge denn hen?“ Die Arbeitszeiten, so Fritz Töpker damals, müssten eingehalten werden. In jenen Jahren musste der Ton noch per Spaten gestochen worden, erst 1959 war ein Greifer im Einsatz und - statt Seilwinde oder Pferd - eine Diesellok, die die Loren zur Produktionsstätte brachten. Bei Töpker kaum hundert Meter weiter sorgte nach der Formung durch die Presse ein sogenannter Zickzackofen fürs Brennen. In der Quetzen-Chronik wird das so erklärt: &bdquo;Im Gegensatz zum Ringofen aber wird sie nicht in gerader Richtung, sondern infolge der in den Kammern vorhandenen Öffnungen, die jedes Mal in der Diagonale liegen, in Zickzackform durch die Kammern geschleust.“ Insgesamt habe der Brennkanal eine Länge von 90 Metern gehabt. Dass in Quetzen eine hohe Qualität geliefert wurde, sehe man auch heute noch an vielen Häusern, sagt Wilfried Ernsting, der sich ebenfalls in der Geschichte seines Heimatdorfs auskennt. &bdquo;Die haben sogenannte Doppelfalzziegel hergestellt, die auch wirklich dicht und gut war.“ Lost Place birgt Verletzungsgefahr Doch das alles wurde immer weniger gebraucht, der Umsatz ging zurück. Wie für viele eher kleine Ziegeleien war 1968 in Quetzen Schluss. Dazu dürfte auch, so Wilfried Ernsting, der erhöhte Salpeteranteil im Ton beigetragen haben, der die Bausubstanz beim Ausblühen über die Jahre schädigen kann. &bdquo;Ziegel und Dachpfannen wurden dann eher aus Jössen bezogen“, weiß Ernsting und verweist auf die dortige größere Ziegelei Hollmann, später Wienerberger, die an diesem Standort noch bis 2008 weitergemacht hat. In Quetzen ist - am Tongrubenweg kurz vor Rusbend - derweil so etwas wie ein Lost Place entstanden, ein vergessener Ort, an dem sich die Natur nach und nach ihr Revier zurückerobert. Die leer stehenden Gebäudeteile sind zwar nicht umzäunt, sollten aber dennoch wegen der Verletzungsgefahr keinesfalls betreten werden. Vom Weg aus sind sie aber zu sehen. Neben den nach wie vor verbauten Töpker-Produkten in Quetzen und Umgebung und dem David-Buch gibt es noch einen weiteren Hinweis auf das bedeutende Industrie-Kapitel im Ort: Das große Q im Quetzen-Logo ist ganz bewusst in Rot gehalten - wegen der Ziegelfarbe. 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