Video-Notarzt-System nimmt Betrieb im Kreis Minden-Lübbecke auf: So funktioniert es

Minden. Vor fünf Jahren hat die Landesregierung das Telenotarzt-System in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht. Sukzessive sollte das Angebot erweitert werden – ab sofort ist auch der Kreis Minden-Lübbecke Bestandteil des Projekts. Seit dem 1. Juli kann der Rettungsdienst Unterstützung von einem Notarzt aus der Ferne anfordern. Aber wie funktioniert das System eigentlich? Welchen Nutzen versprechen sich die Beteiligten davon? Und wie sieht die Zukunft der Notarztversorgung insgesamt aus? Dr. Gunter Veit, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Mühlenkreis, und Sachbearbeiter Sven Bartmann, der unter anderem als Notfallsanitäter tätig ist und das Telenotarzt-Projekt koordiniert, geben im MT-Gespräch einen Überblick. Wann wird ein Telenotarzt überhaupt benötigt? Das Rettungsdienstpersonal kann einen Telenotarzt hinzuziehen, wenn ein Notarzt vor Ort nicht verfügbar ist oder wenn es eine spezifische Expertise benötigt, die über seine Fähigkeiten hinausgeht. Dies könne beispielsweise bei der Interpretation von EKG-Befunden, bei der Verabreichung von bestimmten Medikamenten oder bei der Koordinierung von Patiententransporten erforderlich sein. Bei schweren Unfällen oder eindeutigen Hinweisen auf eine lebensbedrohliche Lage werde der Notarzt immer ausrücken, betont Veit. Es könne aber zum Beispiel auch vorkommen, dass sich die Situation am Einsatzort anders darstellt als zunächst angenommen. &bdquo;Rückenschmerzen können sich auch als Infarkt herausstellen“, erklärt Bartmann. Der Telenotarzt diene am Ende auch zur rechtlichen Absicherung für das Rettungsdienstpersonal. Mehr zum Thema: In Bielefeld ist der Telenotarzt bereits live vor Ort Wo sitzt der Telenotarzt? Aktuell gibt es für den Regierungsbezirk Detmold zwei Telenotarzt-Zentralen, die auch für den Kreis Minden-Lübbecke zuständig sind. Während in der Leitstelle in Bielefeld rund um die Uhr ein Notarzt erreichbar ist, sei die Anlaufstelle in Paderborn bislang nur montags bis freitags in der Zeit von 8 bis 20 Uhr besetzt, berichtet Veit. Aber auch dort solle bald eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung geschaffen werden. Wie funktioniert die Technik? Damit der Rettungsdienst mit der Telenotarzt-Zentrale in Kontakt treten kann, müssen die Rettungswagen (RTW) technisch nachgerüstet werden. Vier Einsatzfahrzeuge des Kreises (Petershagen, Hille, Espelkamp und Lübbecke) können ab sofort den Telenotarzt nutzen, weitere müssen noch mit dem erforderlichen Spezialrouter (Kostenpunkt: rund 3.000 Euro pro Stück) ausgestattet werden, um eine verschlüsselte Kommunikation zu ermöglichen, erklärt Veit. In Minden seien alle vier Rettungswagen bereits einsatzfähig, in Porta (2) und Bad Oeynhausen (3) stehe die Nachrüstung noch bevor. Weitere Router seien bereits bestellt, sie sollen zeitnah geliefert und eingebaut werden, sagt Veit. Finanziert werde die Aufrüstung über die Rettungsdienstgebühren. Wie hilft der Telenotarzt konkret? Die Rettungskräfte haben bei ihren Einsätzen spezielle Tablet-Computer dabei. Jedes Gerät koste in der Anschaffung rund 2.500 Euro. Bei Bedarf können die Retter mit einem Klick den Telenotarzt hinzuziehen – mit ihm schreiben, telefonieren oder per Videoanruf Kontakt aufnehmen. Der Telenotarzt kann aus der Leitstelle den Einsatz per Vitaldaten-Übertragung verfolgen, er kann die Rettungskräfte unterstützen und anleiten. Er hat zum Beispiel Zugriff auf Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung – &bdquo;alles Live-Daten“, betont Bartmann. Das sei ein großer Vorteil und erleichtere den Austausch enorm. Das gesamte Notfallprotokoll werde digital gespeichert – von der Anamnese über den Erstbefund bis hin zu den eingeleiteten Maßnahmen. Ursprünglich sei einmal geplant gewesen, die Rettungswagen mit Kameras und Telefonen auszustatten für den Austausch mit dem Telenotarzt. Aber: &bdquo;In 90 Prozent der Einsätze brauchen wir die Beratung am Einsatzort und nicht im RTW“, erklärt Veit. Bei der Ausstattung der Fahrzeuge habe es dann Verzögerungen bei einem Anbieter gegeben, weshalb der Kreis letztlich noch einmal einen Wechsel vorgenommen habe. Mittlerweile laufe der Einbau der Technik reibungslos, die Fahrzeuge verfügten über eine starke Netzabdeckung – im Testbetrieb habe es keine nennenswerten Probleme gegeben, weshalb dem offiziellen Start nichts mehr im Weg gestanden habe, berichten Veit und Bartmann. Gibt es Optimierungsbedarf für die Zukunft? Für die Zukunft werde weiter an einer Optimierung gearbeitet, kündigt Veit an. Denn zum einen seien die Tablets vergleichsweise schwer, was ein Nachteil sei, wenn das Personal sowieso schon einiges an Versorgungsequipment mit zum Einsatzort schleppe. Zum anderen sei auch die Kamera der Geräte nicht optimal, wie Bartmann erklärt. Die Qualität auf einem Smartphone sei deutlich besser. Der Kreis erwäge deshalb für die Zukunft, die Rettungskräfte mit Smartphones auszustatten und somit die Kommunikation mit dem Telenotarzt noch einmal zu verbessern. Die Handys wären dann technisch ebenfalls mit dem System der Einsatz-Pads verknüpft, sodass weiterhin alle Live-Daten übermittelt werden könnten. Aber das sei noch Zukunftsmusik, so Veit. Wie oft wird der Telenotarzt kontaktiert? Ob und wie oft der Telenotarzt künftig in den Einsätzen in Minden-Lübbecke hinzugerufen wird, bleibt abzuwarten. Im vergangenen Jahr habe die Zentrale in Bielefeld rund 2.800 Einsätze verzeichnet, zum Beispiel aus den Kreisen Herford und Gütersloh, die bereits bei dem Projekt mitmachen. &bdquo;Das Angebot wird ganz gut angenommen, es könnte aber noch etwas mehr sein“, findet Veit. Womöglich gebe es noch einige &bdquo;Berührungsängste“. Dass die Zahl der Rettungsdiensteinsätze in Minden-Lübbecke nicht unerheblich ist, zeigt ebenfalls ein Blick in die Statistik: Für das Jahr 2024 hat der Kreis 54.270 Einsatzfahrten dokumentiert. Wird durch das System der klassische Notarzt irgendwann ersetzt? Das Telenotarzt-System soll das bestehende Notarztwesen keinesfalls ersetzen, sondern stelle eine sinnvolle Ergänzung dar – das betont nicht nur das Land NRW, sondern dieser Meinung sind auch Gunter Veit und Sven Bartmann. &bdquo;Und der Telenotarzt ist eine Möglichkeit, dem sich abzeichnenden Notarzt-Mangel zu begegnen“, sagt der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes. Nicht bei jedem Notfall sei die persönliche Anwesenheit eines Notarztes nötig, vieles könne das Rettungsdienstpersonal aufgrund der Qualifizierung auch alleine bewältigen. Ein Telenotarzt-System könne die Einsatzkräfte in ihrer Arbeit optimal unterstützen, ergänzt Bartmann. Wird die Nutzung überprüft? Wie gut das neue System im Mühlenkreis funktioniert, wie oft es genutzt wird und ob an einigen Stellen nachjustiert werden muss, soll regelmäßig evaluiert werden – sowohl in den Telenotarzt-Zentralen, aber auch in der Leitstelle des Kreises in Hille, wo die Informationen ebenfalls vorliegen, wie Veit erklärt. Er ist fest davon überzeugt, dass der Telenotarzt für eine deutliche Verbesserung sorgen wird. &bdquo;Das System ist die Zukunft – es wird sich auszahlen.“ 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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