Intim-Tätowierer soll Frauen sexuell missbraucht haben - auch Ronja aus Minden-Lübbecke

Minden/Hamburg. Die Vorwürfe wiegen schwer: Ein 35-jähriger Tätowierer aus Hamburg soll etliche Frauen während oder nach Terminen sexuell belästigt haben. In einigen Fällen soll es auch zu Vergewaltigungen gekommen sein. Die Hamburger Polizei bestätigt, dass Beamten des Fachkommissariats LKA 42 wegen der Vorwürfe ermitteln. Die Abteilung ist in der Hansestadt für alle Sexualstrafverfahren zuständig. Der Tatverdächtige hat vor etwa zehn Jahren in Minden-Lübbecke gelebt, gearbeitet - und soll auch hier Frauen missbraucht haben. Der 35-Jährige hatte sich auf Tätowierungen im Intimbereich spezialisiert. Wie ein Sprecher der Polizei Hamburg gegenüber dem Mindener Tageblatt (MT) bestätigt, hätten sich rund 20 Frauen wegen Übergriffen bei der Polizei gemeldet. &bdquo;Dabei handelt es sich auch um Betroffene aus dem Bereich Minden-Lübbecke.“ Aktuell würde die Polizei die Vorwürfe prüfen, um festzustellen, ob und welchen Straftatbestand sie erfüllen - und für welche sich der 35-Jährige überhaupt noch verantworten müsste. &bdquo;Die mutmaßlichen Taten liegen teilweise schon sehr viele Jahre zurück“, so der Polizeisprecher. Einige könnten deshalb schon verjährt sein. &bdquo;Deswegen sortieren und priorisieren wir aktuell die Vorwürfe.“ Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Kein Safe Space (@keinsafespace) Tätowierer soll Machtposition ausgenutzt haben Eine der betroffenen Frauen aus der Region hat nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Tätowierer unmittelbar Anzeige bei der Polizei in Hamburg erstattet. Sie war über die Instagram-Seite &bdquo;keinsafespace“, in der etliche Frauen anonym von sexuellen Übergriffen im Rahmen von Tattoo-Sitzungen berichten, und einen Artikel in der Bild-Zeitung auf die Fälle aufmerksam geworden. &bdquo;Ich habe direkt nach dem ersten Satz gewusst, dass es um ihn geht“, sagt sie. Sie sei damals Anfang 20 gewesen und habe niemals gedacht, dass es auch anderen Frauen so ergangen sei wie ihr: &bdquo;Ich dachte immer, dass ich ein Einzelfall gewesen bin.“ Eine derer, die auf der Instagram-Seite zuerst Anschuldigungen gegen den Mann erhoben hatte, erklärte dass der Mann während eines Tattoo-Termins aufdringlich geworden sei. &bdquo;Er hat mich an Stellen berührt, die nichts mit der Tätowierung zu tun hatten“, schrieb die Frau im sozialen Netzwerk Instagram. &bdquo;Als ich ihm sagte, er solle aufhören, wurde er aggressiv und drohte mir.“ Weitere Frauen meldeten sich und beschreiben dort ähnliche Vorfälle. Viele von ihnen erklärten, dass der Tätowierer seine Machtposition und die intime Atmosphäre eines Tattoo-Studios ausgenutzt habe, um die Frauen zu manipulieren oder einzuschüchtern. Auch die Polizei Hamburg ist mittlerweile auf der Seite unterwegs. Sie kommentierte alle drei Beiträge und bat Betroffene, Anzeige zu erstatten. Kurz nach ihrer Anzeige hat die Frau aus der Region auch mit dem MT über die vermeintlichen Übergriffe von damals gesprochen und wie die Ermittlungen alte Wunden aufgerissen hätten: &bdquo;Bis vor Kurzem wusste niemand davon.“ Der Redaktion ist der Name der Betroffenen bekannt, um ihre Anonymität zu wahren heißt sie im folgenden Text Ronja. Dem MT liegen außerdem Chat-Nachrichten zwischen ihr und dem Tatverdächtigen vor. Darüber hinaus hat die Redaktion mit weiteren Weggefährten des Tätowierers aus seiner Zeit in der Region gesprochen. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Kein Safe Space (@keinsafespace) Verdächtiger stach schon im WG-Zimmer Tattoos Der Tätowierer, der aktuell offenbar komplett von der Bildfläche verschwunden ist, hat Wurzeln in Georgien. Er ist in Deutschland aufgewachsen und gibt in sozialen Medien an, in Löhne zur Schule gegangen zu sein. Ab Mitte der 2000er-Jahre war er nach MT-Informationen dann sehr viel in verschiedenen Diskotheken der Region tätig - ob als Lightjockey, Animateur oder Gogo-Tänzer. So soll er in der Szene ein bekanntes Gesicht in Bad Oeynhausen, Herford und auch Osnabrück gewesen sein, Bekannte beschreiben ihn als &bdquo;Lebemann“. Bereits zu dieser Zeit soll der damals Mitte 20-Jährige auch erste Tattoos gestochen haben. Sein vermeintliches erstes Tattoo sticht er im Juni 2011 auf dem eigenen Bein. Auf seinem Facebook-Profil findet sich noch heute ein Bild davon. Bis Anfang 2015 soll er nach Angaben mehrerer Personen in der Region tätig gewesen sein, damals schon stach er offenbar Tattoos im Intimbereich. &bdquo;Ich habe ihn vor mehr als zehn Jahren kennengelernt“, erinnert sich Ronja an die ersten Begegnungen in Bad Oeynhausen. Zu dieser Zeit habe der Verdächtige schon ein WG-Zimmer in Hannover gehabt, in dem er tätowiert haben soll. Während der ersten Sitzungen, keines der Tattoos befand sich im Intimbereich, sei alles in Ordnung gewesen, erinnert sich Ronja. Nach einer längeren Pause ließ sie sich dann im Intimbereich tätowieren, wie sie berichtet. Ronja realisiert erst auf dem Nachhauseweg, was passiert ist Während der Sitzung habe der heute 35-Jährige sie immer wieder berührt. &bdquo;Das war Absicht und kein Versehen. Man merkt ja, wenn jemand aus Versehen irgendwo gegen kommt“, sagt Ronja. Als das Tattoo dann so gut wie fertig war, sei es zum Übergriff gekommen. Ronja kann sich noch genau an das Geschehene erinnern. Das MT verzichtet auf aus Gründen des Opferschutzes auf detaillierte Schilderungen, es soll jedoch zum ungewollten Geschlechtsverkehr gekommen sein. Sie habe Angst gehabt und erst auf dem Nachhauseweg realisiert, was passiert war, beschreibt Ronja. Heute wisse sie: &bdquo;Ich bin vergewaltigt worden.“ Ein paar Monate später tätowiert der Mann sie ein weiteres Mal - diesmal bei Freunden von ihm. Ronja nimmt eine Freundin zu der privaten Sitzung mit. Sie glaubt, dass sie so sicher ist. &bdquo;Als das Tattoo fertig gestochen war, sagte er mir, dass wir es uns in einem besser beleuchteten Raum anschauen müssen“, erinnert sie sich. Wieder soll es zum Übergriff gekommen sein. Ronja sagt: &bdquo;Es ging so schnell, dass die anderen Personen gar keinen Verdacht schöpfen konnten“. Warum sie nichts gesagt hat? &bdquo;Ich bin zu dieser Zeit kein Unschuldslamm gewesen und weiß nicht, ob man mir geglaubt hätte.“ Trotz dieser zwei vermeintlichen Übergriffe kommt es zu einer weiteren Sitzung. &bdquo;Hey, hast du Lust auf ein Tattoo“, schreibt er ihr via Messenger-Dienst. Die Chats liegen dem MT vor. Die Echtheit lässt sich nicht final überprüfen, das Profil zeigt aber den Beschuldigten eindeutig. Es würde gerade nicht so gut passen, antwortet sie, doch am Ende lässt sie sich dennoch darauf ein. Verdächtiger war wortgewandt, charismatisch - und extrem fahrig Diesmal hat sie aber einen Exit-Plan im Kopf. &bdquo;Ich habe mir überlegt, was ich sage, wenn er es wieder probieren sollte“, schildert sie. Als es nach der dritten Sitzung in Hannover dann wieder zum ungewollten Geschlechtsverkehr kommen soll, sagt Ronja: &bdquo;Ich habe einen Freund“. Das habe funktioniert, doch: &bdquo;Er wurde dann total aggressiv und schrie mich an.“ Sie setzt sich ins Auto, verlässt Hannover. Den Tätowierer hat sie den seitdem nie wieder gesehen, sagt sie. Sie beschreibt den Verdächtigen als einen damals attraktiven Mann. Auf Fotos in sozialen Netzwerken inszeniert er sich auch heute noch wie ein Rockstar, setzt sich und seine volltätowierten Körper gekonnt in Szene. Eine weitere Person, mit der das MT gesprochen hat, bestätigt das. &bdquo;Wenn er in den Raum gekommen ist, hat er immer die Blicke auf sich gezogen.“ In der Tattoo-Szene in Minden und Hamburg ist der Mann bekannt. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Kein Safe Space (@keinsafespace) Den Beschreibungen mehrerer Menschen aus Minden-Lübbecke nach war der Tätowierer außerdem wortgewandt, charismatisch - aber auch extrem fahrig. &bdquo;Ich habe Angst und Respekt vor ihm gehabt“, sagt Ronja. Sie könne gar nicht genau beschreiben, weshalb. Sie habe vieles verdrängt, wenngleich die Tattoos sie ständig an den Mann erinnern würden. &bdquo;Ich gucke die Tattoos mit noch mehr Ekel an“ &bdquo;Ich habe die letzten zehn Jahre gut damit gelebt. Natürlich habe ich sie mit den Situationen in Verbindung gebracht, aber nicht geweint, wenn ich draufgeschaut habe“, sagt sie. Doch seitdem sie die zahlreichen Beiträge und Schilderungen von Frauen gelesen hat, die dieselben oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollen wie sie, gehe es ihr mental richtig schlecht. &bdquo;Es kommt alles wieder hoch“, sagt sie und fügt an: &bdquo;Ich gucke die Tattoos mit noch mehr Ekel an als zuvor.“ Viele Tätowierer aus Hamburg bekunden aktuell ihre Solidarität und bieten Betroffenen an, die Tattoos gegen Materialkosten überstechen zu lassen. &bdquo;Das kommt für mich leider nicht in Frage. Es wäre zu viel Fläche.“ Aber so schwer und aufwühlend die Situation gerade für sie sei, ist Ronja auch froh, dass die Fälle nun publik geworden sind. Sie hofft nun, dass der 35-Jährige für die mutmaßlichen Taten gerecht bestraft wird. Ebenso glaubt sie, dass es womöglich noch deutlich mehr Betroffene gibt. &bdquo;Vielleicht trägt meine Geschichte dazu bei, dass sich weitere Opfer bei der Polizei melden.“ Sie müsse demnächst eine Zeugenaussage machen - und wenn es zum Prozess kommt, möglicherweise auch vor Gericht aussagen. Bis dahin werden die Ermittler des LKA in Hamburg noch jede Menge zu tun haben. Neben möglichen Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch werfen die Opfer dem Tattoo-Künstler unter anderem vor, dass er sie unsittlich berührt haben soll, während er im Intimbereich und am Oberkörper tätowierte. Von einigen Taten soll der Verdächtige auch Filme und Fotos gemacht haben, heißt es in Medienberichten. Mann soll in Georgien untergetaucht sein Das Tattoo-Studio in Hamburg, in dem der Mann zuletzt angestellt gewesen ist, ist seit Bekanntwerden der Vorwürfe geschlossen. Auch die Website des Studios ist nicht mehr erreichbar. Ebenso wurde das Instagram-Konto, das zuvor regelmäßig aktualisiert wurde, gelöscht. Beim Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Tatverdächtigen heißt es am Telefon, dass man den 35-Jährigen &bdquo;herausgeschmissen“ habe. Man hoffe, dass die Fälle vollends aufgeklärt werden. Gerüchte, dass der Mann in seinem Heimatland Georgien untergetaucht sein soll, kommentiert die Polizei gegenüber dem MT nicht - aus ermittlungstaktischen Gründen. Für das MT war der Mann sowohl telefonisch als auch schriftlich für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Die Beamten bitten jedoch potenzielle weitere Zeugen und Opfer, sich telefonisch unter 040428656789 bei der Polizei Hamburg oder bei jeder anderen Polizeidienststelle in Deutschland zu melden.

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