Dieses Unternehmen war einmal Lübbeckes größter Gewerbesteuerzahler

Lübbecke. Einst gehörte die &bdquo;Kammgarnspinnerei Wetzel & Co." zu den bedeutendsten Unternehmen des Lübbecker Landes. Dort, wo heutzutage in Lübbecke der Baumarkt Toom steht und Jahre zuvor das Zentrallager des Modekonzerns Hucke war, arbeitete von 1922 bis in die 1970er-Jahre der große Verarbeiter von Rohwolle. Bei den Lübbeckern hieß der Betrieb abgekürzt nur &bdquo;Die Spinnerei". Doch was ist Kammgarn überhaupt? &bdquo;Kammgarne sind feste, glatte und gleichmäßige Garne, die eine geringe Haarigkeit, also wenig abstehende Faserenden, aufweisen. Sie werden vorwiegend als Zwirne vor allem bei hochwertiger Oberbekleidung (Strick- und Webware), Strumpfartikeln, aber auch in hoch entwickelten Funktionstextilien oder Heimtextilien verwendet", so weiß es Wikipedia. In Lübbecke wurde zumeist Schafwolle aus Südamerika und Australien in großen Mengen verarbeitet. Ein gutes Dutzend dieser Betriebe gab es zu Bestzeiten in Deutschland. Ein Zentrum war Mühlhausen in Thüringen. Die letzten schlossen aufgrund der zunehmenden Globalisierung Anfang der 1990er-Jahre. Hugo Harnisch war langjähriger technischer Leiter Eine überaus gute Quelle zur Erklärung der Geschichte des Lübbecker Werkes ist Professor Karl-Jürgen Kemmelmeyer, der in Lübbecke aufgewachsen ist und einen Großteil seiner Kindheit im Werk verlebt hat. Sein Großvater, Hugo Harnisch, war 1922 maßgeblich an der Errichtung des Betriebes beteiligt. Seine Mutter, Erna Kemmelmeyer, war Chefsekretärin, später dann Einkaufsleiterin. Karl-Jürgen Kemmelmeyer hat seine Erinnerungen von 1944 bis 1962 auch in den &bdquo;Zeitsprüngen 1922" des Lübbecker Stadtarchivs ausführlich dokumentiert. Ursprünglich sollte die Spinnerei in Rahden gebaut werden, doch ein Rahdener Großgrundbesitzer wusste das zu verhindern. Er befürchtete die Abwanderung von Arbeitsplätzen. Lübbecke bot sich an. Hier gab es sogar ein Grundstück in Bahnhofsnähe, denn die Rohware kam als Ballen aus Bremen und Hamburg per Bahn. Initiator und Finanzier der Lübbecker Ansiedlung war die Kammgarnspinnerei in Wagenfeld. Eigentümer war damals die große Wollhandelsfirma Fuhrmann & Co. in Amsterdam. Von dort kam der Branchenfachmann Emil Wetzel, der 1937 persönlich haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft wurde. So entstand der Name &bdquo;Wetzel & Co.". Die Belegschaft hatte sich mittlerweile auf fast 700 vergrößert, davon waren 90 Prozent Frauen. Schichtbetrieb war beliebt 1940 hatte Erich Wetzel einen tödlichen Verkehrsunfall. Sein Nachfolger wurde Henry S. Thomas aus Bremen. Im Buch des ehemaligen Oberkreisdirektors Rolf Momburg &bdquo;Spinner Weber Kleidermacher" heißt es: &bdquo;Unter seiner Führung erlebte die Firma nach dem 2. Weltkrieg einen neuen Boom, der nun vor allem von Maschinenstrick- und Webgarnen getragen wurde. Die Beschäftigtenzahl des Betriebes erreichte 1953 die Rekordmarke von 1.200. Das bedeutete, dass die Zigarrenfabrik August Blase mit 500 Arbeitskräften im Lübbecker Werk und die Bremer Papier- und Wellpappenfabrik mit 450 Beschäftigten von der Spinnerei weit übertroffen wurden." Lesen Sie auch: Traditionsunternehmen in Lübbecke: Wie Gerlach die Fußpflege revolutionierte Die Arbeitsplätze waren beliebt, weil in Schichten gearbeitet wurde, so konnten die jungen Frauen auch noch zu Hause oder in der Landwirtschaft helfen. Beliebt und auch noch ordentlich bezahlt heißt aber nicht ungefährlich. Kemmelmeyer berichtet: &bdquo;Mit Spinnmaschinen muss man wegen der vielen sich drehenden und offen liegenden Teile sehr vorsichtig umgehen. Die &bdquo;Spinnmädchen", die beim Aufstecken der Hülsen nah an der Maschine arbeiten mussten, waren ermahnt worden, bei der Arbeit festgebundene Kopftücher und glatte Kittel zu tragen, damit sie nicht bei Unvorsichtigkeit oder mit offenen Haaren von der Maschine eingezogen wurden." In den Aufzeichnungen Kemmelmeyers gibt es aber noch andere wichtige Fakten: &bdquo;Die maschinelle Verspinnung von Kunstfaser (Perlon) mit Wolle zum Garn ist eine Entwicklung meines Großvaters, der damit Pionier in Deutschland war und Wetzel & Co. damit bei Maschinenstrickgarnen zum Marktführer machte. Endlich liefen die Pullover beim Waschen nicht mehr ein, sie wurden formstabil. Das war die Ursache für den Boom der neuen Fasern. Die Wolle wurde unter dem Namen &bdquo;Thomas-Wolle" vermarktet. Wetzel war wegen der Präzision der Maschinenstrickgarne berühmt – Abweichungen in der Dicke der Garne sind bei Maschinenstrickwaren sofort sichtbar." Der jetzt in Hannover lebende Kemmelmeyer erinnert sich: &bdquo;Mein Großvater brachte Teststücke, aus denen meine Großmutter für mich eine grüne Strickjacke zusammennähte." Das &bdquo;Aus" kam dann doch recht plötzlich Doch auch für die Kammgarnspinnerei wuchsen die Bäume nicht in den Himmel, trotz jahrelang guter Gewinne. Rationalisierungen und Produktionsumstellungen sorgten dafür, dass die Belegschaft in den 1960er-Jahren wieder auf etwa 700 zurückging. Wetzel & Co. war aber lange Zeit der größte Gewerbesteuerzahler der Stadt Lübbecke. Exportiert wurde nach ganz Europa. 1966 erfolgte die Anwerbung der ersten Gastarbeiter aus Griechenland, Wohnungen entstanden ganz in der Nähe des Werkes. Viele Lübbecker erinnern sich noch an die Flachdachbauten an der B65. Noch 1971 feierte man das fünfzigjährige Firmenjubiläum. Die Schließung des Betriebs 1973 kam für viele – trotz der Wolken am Himmel – sehr plötzlich. Zur Massenarbeitslosigkeit kam es in Lübbecke aber nicht, der gute Branchenmix und prosperierende Unternehmen, vor allem in Espelkamp, verhinderten das. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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