Historische Forschung: Hinweise auf Kämpfe um die Munitionsanstalt Espelkamp

Lübbecker Land/Espelkamp. Es war der 4. April 1945. Am Mittwoch nach Ostern befreiten die Alliierten das Lübbecker Land. Levern brannte, weil die Nazi-Funktionäre die Verteidigung befohlen hatten. Lübbecke wurde wenige Stunden später als offene Stadt kampflos besetzt, die Nazi-Funktionäre waren untergetaucht. Am 4. April besetzten die Briten auch die Heeresmunitionsanstalt Lübbecke, also die Muna Espelkamp. Die über Jahrzehnte dargestellte offizielle Version der Geschichte der Stadt hatte der Mainzer Professor Johannes Preuß durch seine Untersuchungen in Teilen widerlegt. Demnach war Espelkamp nicht etwa eine von Dutzenden &bdquo;normaler“ Munas im Deutschen Reich, sondern eine von wenigen Kampfstoff-Munas. Anders als lange behauptet war auch die Füllanlage für chemische Kampfstoffe betriebsbereit. Deshalb war Espelkamp ein vorrangiges Ziel für die Alliierten. Hier fanden sie hochgefährliche Kampfstoffe wie Lost und Tabun. Ganz so friedlich wie geschildert sei die Besetzung der Muna nicht gewesen, sagt Dirk Finkemeier. Der Espelkamper befasst sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Muna Espelkamp. Dass die Besetzung der wichtigen Rüstungsanlage im Mittwald nicht ganz friedlich ablief, dafür verweist Finkemeier auf den Bericht eines Augenzeugen und auf Kriegstagebücher von Einheiten der britischen Armee. Augenzeuge berichtet über Kämpfe um Munitionszug Der Espelkamper erinnert an ein Gespräch, das er im Dezember 2003 mit Walter Wutschig führte. Walter Wutschig leitete die Ausbildung von SS-Männern in der Muna. Wutschig habe ihm von Kämpfen am 4. April 1945 um einen Zug berichtet, der zwischen Gestringen und der Muna auf der Bahnstrecke stand. Was genau dieser Munitionszug geladen hatte, das sei unbekannt, sagt Finkemeier. Bei diesen Kämpfen sei Walter Wutschig nach eigenen Angaben verwundet worden. Zudem habe er berichtet, dass acht SS-Soldaten bei den Kämpfen um diesen Munitionszug umgekommen seien. Die Briten nahmen die Muna in die Zange Gestützt wird diese Aussage durch Aufzeichnungen, die Soldaten des britischen 4. Shropshire Light Infantry Regiments in ihr Kriegstagebuch eintrugen. In den britischen Aufzeichnungen und Karten wird mit Koordinaten gearbeitet. Die Soldaten berichten darin ausführlich über ihren Vormarsch aus Richtung Osnabrück und schildern die Kämpfe an der Koordinate 4920. Finkemeier legt eine britische Armeekarte für Nordwestdeutschland vor. Die Koordinate 4920 ist Levern. Hier gab es ab dem späten Vormittag des 4. April 1945 heftige Kämpfe zwischen den Briten einerseits und kaum ausgebildeten und kaum bewaffneten jungen deutschen Soldaten andererseits, die den Ort auf Befehl von Nazi-Funktionären verteidigen sollten. Neben den Soldaten des Shrophshire Regiments waren auch Panzer der 11. britischen Panzerdivision an den Kämpfen beteiligt. Insgesamt verloren mehr als 20 Menschen ihr Leben – neben zehn deutschen Soldaten auch sechs Briten. Das Kriegstagebuch der Briten verweist darauf, dass mit Major Robert Jackson einer ihrer Offiziere starb und in Levern 150 Gefangene gemacht wurden. Dann berichtet das Kriegstagebuch über eine Zangenbewegung – wohl um die Muna im späteren Espelkamp einzunehmen. Der Standort der Munitionsanstalt ist auf britischen Karten mit der Koordinate 6021 versehen. Die B- und C-Einheit des Regiments rückte über Rahden in Richtung Espelkamp vor, sie berichten über Kämpfe in Rahden. Die A- und D-Einheit des Regiments wählte den südlichen Weg. Im Kriegstagebuch ist die Rede von &bdquo;difficulties at 6021-74“ die Rede, also Schwierigkeiten an der Koordinate 6021-74. Diese Koordinate kennzeichnet einen Bereich zwischen Gestringen und Fabbenstedt westlich der Bahnlinie. Der Hinweis auf &bdquo;Schwierigkeiten“ stützt das, was Walter Wutschig berichtete. 250 gut bewaffnete deutsche Soldaten wurden gefasst Im Kriegstagebuch der 21. britischen Army Group schreibt Major J. W. Poston als Vertrauter des britischen Oberkommandierenden, Feldmarschall Bernhard Montgomery, über die Besetzung der Koordinate 6021, also der Muna. In der &bdquo;wooden area 6021“, also dem waldreichen Gebiet der Muna, seien 250 Soldaten gefangen genommen worden. Ausdrücklich verweist Poston darauf, dass die Deutschen &bdquo;well armed“ gewesen seien, also gut bewaffnet. Das war bei vielen deutschen Einheiten kurz vor Ende des Krieges mitnichten der Fall. Den Briten war dieser Eintrag offenbar wichtig: Es muss eine Besonderheit gewesen sein, kurz vor Kriegsende gut ausgerüstete deutsche Soldaten zu fassen. Warum ausgerechnet das knapp 15 Kilometer von der Muna entfernte Levern verteidigt werden sollte, fragt sich Finkemeier. Zudem verweist er auf einen Bericht der 44. Squadron der 11. Cavalry Group, die zur 5. US-Panzerdivision gehörte. Demnach wurden bei der Aufklärung am 6. April 1945 in einem Wald &bdquo;unmittelbar südlich von Lübbecke“ 501 Deutsche gefangen genommen. Offen sei, ob mit &bdquo;Lübbecke“ die Heeresmunitionsanstalt Lübbecke, also das heutige Espelkamp, oder die Stadt Lübbecke gemeint seien. Ohnehin gibt es auch 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs offene Fragen und manches ist bis heute ungeklärt. Dirk Finkemeier verweist auf den sogenannten Sterthaus-Bericht. Der Gefreite Sterthaus war als Kraftfahrer in der Muna eingesetzt. In britischer Gefangenschaft berichtete er in London ausführlich unter anderem über vier Hallen im Bereich der Füllanlage für chemische Kampfstoffe in der Muna Espelkamp. Er habe auch eine Zeichnung mit allen Gebäuden erstellt. Sterthaus schildere auch den Abwurf von rund 350 Bomben östlich der Füllanlage im Frühjahr 1944. Warum die Bomben nicht auf die Füllanlage und die hier gelagerten chemischen Kampfstoffe fielen? Für Finkemeier eine offene Frage. Auch sei offen, warum eine größere Menge an Bomben neben eine den Alliierten bekannte wichtige Rüstungsanlage geworfen worden sei. Vereinzelte Abwürfe, die ein Ziel verfehlten, habe es immer wieder im Krieg gegeben, merkte Dirk Finkemeier an. Dass eine derart große Menge, wie sie im Sterthaus-Bericht genannt werde, aber ohne Befehl neben einer Rüstungsanlage abgeworfen worden sei, das sei eigentlich nicht vorstellbar. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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