Lübbecke. Das Telefon klingelt schon wieder. Erneut dieselbe Frage am anderen Ende: „Könnt ihr einen Patienten übernehmen?“ Susanne Wenzel geht zum Intensiv-Dashboard, einer Tafel, die die Auslastung der Station zeigt, und grübelt. „Was können wir leisten? Welche Patienten können wir eventuell verlegen? Es geht hier auf der Intensivstation um viel Planung und Organisation. Auch im ländlichen Raum sind Intensivbetten häufig nicht immer sofort verfügbar“, erklärt die Oberärztin.
Susanne Wenzel leitet als Oberärztin des Instituts für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin verantwortlich die interdisziplinäre Intensivstation. Ihr Telefon steht während ihrer Schicht nie still, „privat telefoniere ich inzwischen ungern. Ruhe lernt man wirklich schätzen“, wird Wenzel in einer Pressemitteilung der Mühlenkreiskliniken (MKK) zitiert.
Auf der Lübbecker Intensivstation können zwölf Patientinnen und Patienten intensivmedizinisch behandelt werden. 2017 wurde die Station modernisiert und verfügt über sechs Einzelbetten, ein Doppelzimmer und ein Vierbettzimmer. „Alle zwölf Betten können wir aufgrund des Fachkräftemangels in der Pflege nicht immer belegen“, erklärt Janine Deutscher, pflegerische Teamleitung der Intensivstation.
„Ich liebe das, was ich tue“
Die gelernte Krankenschwester ist 2006 zur Intensivpflege gekommen. „Ich habe diesen Schritt nie bereut, ich liebe das, was ich tue“, sagt die Intensivpflegerin. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester hat Janine Deutscher eine zweijährige berufsbegleitende Weiterbildung zur Fachkraft für Intensiv- und Anästhesiepflege absolviert. „Man lernt in diesem Beruf sein Leben lang, muss sich immer wieder belesen und dranbleiben, das reizt mich persönlich sehr. Stillstand gibt es in der Intensivpflege nicht“, erklärt Deutscher.
Etwa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf der Intensivstation in Lübbecke tätig – darunter auch junge Mütter, die in Teilzeit arbeiten. „Wir sind ein sehr gemischtes Team, unterstützen uns, wo wir können“, sagt die Intensivpflegerin.
Auf der Intensivstation arbeiten Pflege und Medizin eng zusammen, Janine Deutscher und Susanne Wenzel tauschen sich während ihrer gemeinsamen Schicht immer wieder vor dem Intensiv-Dashboard aus. Sie besprechen etwa: Wie viele Patientinnen und Patienten liegen gerade auf der Intensiv? Wer muss beatmet oder isoliert werden? Wer kann bald verlegt werden? Wer muss noch operiert werden? „Weil der Bedarf an Intensivbetten auf der einen Seite immer größer wird, auf der anderen Seite der Mangel an Fachpersonal sowohl im Bereich der Pflege, aber auch im ärztlichen Bereich eklatant zunimmt, ist eine Absprache im Behandler-Team essenziell. Die Medizin kann nicht ohne die Pflege und die Pflege kann nicht ohne uns“, sagt Oberärztin Susanne Wenzel.
Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen ist sehr eng
Das Krankenhaus Lübbecke verfügt über eine interdisziplinäre Intensivstation. Das heißt, dass Patientinnen und Patienten aus allen Disziplinen des Krankenhauses hier versorgt werden. Dazu zählen beispielsweise chirurgische, internistische, urologische, gynäkologische Patienten. „Besonders auf dieser Intensivstation ist die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen Innerer Medizin und Anästhesie eng“, heißt es in der Mitteilung. Es ist jeweils ein Oberarzt der Inneren Medizin sowie ein Oberarzt der Anästhesie fachlich für die Patienten verantwortlich. Darüber hinaus sind Assistenz- und Fachärzte der Disziplinen Innere Medizin, Anästhesie und Chirurgie an der Behandlung auf der Intensivstation beteiligt.
„Wir schaffen es, dass auch ärztliche Kollegen in Teilzeit engagiert im Team arbeiten. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem gilt es immer mehr zu berücksichtigen und ist in der Intensivmedizin schon herausfordernd. Umso mehr freuen wir uns, dass uns dies sowohl in der Pflege als auch im ärztlichen Bereich gut gelingt“, betont die Fachärztin für Anästhesiologie, Susanne Wenzel.
„Einen richtigen Alltag gibt es bei uns nicht, es warten immer neue Herausforderungen auf uns“, erläutert Intensivpflegerin Janine Deutscher. Sie schätzt die vertrauensvolle und wertschätzende Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Team sehr. „Wir begegnen uns hier auf Augenhöhe. Außerdem sind wir auf der Intensivstation ein multiprofessionelles Team – bestehend aus Pflege, Medizin, Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Atemtherapeuten.“
Wie ein beatmeter Patient „entwöhnt“ wird
Seit dem 1. August ist die Intensivstation im Krankenhaus Lübbecke als sogenannte „Weaning-Einheit“ zugelassen. Mit dem Begriff Weaning bezeichnet man in der Intensivmedizin und der Anästhesie die Phase, in welcher die „Entwöhnung“ eines beatmeten Patienten von einer maschinellen Atemunterstützung – also ein Beatmungsgerät – stattfindet. „Das ist ein sehr zeitaufwendiger Prozess und dafür braucht es erfahrenes Personal. Außerdem wird während dieses Prozesses, der sich über mehrere Wochen erstrecken kann, ein Intensivbett lange belegt“, erklärt die Teamleitung der Intensivstation.
„Wir haben auch vorhin einen Anruf aus dem Universitätsklinikum Minden bekommen, ob wir eine Weaning-Patientin übernehmen können“, sagt die Oberärztin Susanne Wenzel ihrer Kollegin Janine Deutscher am Dashboard. Beide überlegen, ob das an diesem Tag noch realisierbar ist. „Aber wir bekommen eventuell auch noch einen Urologie-Patienten hier aus dem Haus. Es ist aber noch nicht ganz klar, ob heute seine Operation wie geplant stattfinden kann, da seine Blutwerte nicht optimal sind“, erklärt Wenzel. Sie greift wieder zum Hörer und erkundigt sich beim OP-Team, welche Eingriffe noch anstehen. „Nach Operationen finden oft geplante, routinemäßige Intensivaufenthalte statt. Diese Fälle sind für das Intensiv-Team einigermaßen gut planbar. Und selbstverständlich gibt es immer wieder unvorhersehbare Notfälle, wie nach Unfällen zum Beispiel“, heißt es vonseiten der MKK.
An diesem Tag findet noch die wöchentliche Weaning-Besprechung auf der Intensivstation statt. Dann wollen Wenzel und Deutscher auch mit den anderen Kolleginnen und Kollegen über die Mindener Patientin sprechen, die nach Lübbecke verlegt werden soll. Intensivpflegerin Janine Deutscher: „Diese Besprechung ist sehr wichtig und alle Professionen sind vertreten – von der Pflege bis zur Ergotherapie. Wir besprechen komplizierte und behandlungsintensive Fälle. Einer unserer Kollegen ist auch als Atemtherapeut ausgebildet und trägt mit seiner Expertise viel Fachwissen und neueste Erkenntnisse ins Team weiter.“
Es gibt immer wieder unvorhergesehene Notfälle
„Ab welchem Zeitpunkt kann mit dem Weaning gestartet werden? Wann ist ein Patient so weit, dass er von der Beatmungsmaschine entwöhnt werden kann – das entscheiden wir alle gemeinsam als interdisziplinäres Team“, sagt Janine Deutscher.
Die Pflege Schwerstkranker ist für die erfahrene Intensivpflegerin besonders herausfordernd: Es geht dabei schließlich oft um Leben und Tod. „Wenn schwerstkranke Patienten unsere Station gesund verlassen können, ist das für uns alle emotional und ein echtes Erfolgserlebnis“, betont Deutscher.
Doch sie ist ehrlich: Die vergangenen Jahre waren hart für das Team. Die drei Jahre während der Corona-Pandemie haben ihre Spuren hinterlassen. „Wir scheinen wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Während Corona haben alle über die Intensivstationen gesprochen und welche wichtige Arbeit hier geleistet wird. Aber plötzlich spricht keiner mehr über uns“, sagt die Lübbecker Intensivpflegerin.
„Wir tun wirklich unser Bestes“
Sie wünscht sich mehr Anerkennung für das, was die Kolleginnen und Kollegen hier jeden Tag leisten. „Außerdem wünsche ich mir mehr Verständnis, auch von den Angehörigen. Wir tun wirklich unser Bestes und alles, was in unserer Macht steht.“
Was dem Intensiv-Team zusehends auffällt: Immer mehr Patientinnen und Patienten kommen mit vermeintlich „harmlosen“ Infekten, die schwere Verläufe annehmen. Im vergangenen Herbst und Winter gab es in Lübbecke beispielsweise mehrere schwere Fälle von Scharlach-Infektionen. Außerdem kämen einige Patientinnen und Patienten erst sehr spät ins Krankenhaus, „irgendwie fällt vielen seit Corona der Gang ins Krankenhaus schwer“. Das sei besorgniserregend. Denn je früher man komme, desto besser seien die Heilungschancen, betont Oberärztin Susanne Wenzel.
Am Ende ihrer Schicht stehen sie und Deutscher wieder vor dem Intensiv-Dashboard, machen mit den Kolleginnen und Kollegen der nächsten Schicht eine Übergabe. Was die beiden morgen erwarten wird, können sie kaum abschätzen. „Aber das ist der Reiz der Intensivstation. Jeden Tag kämpft das Team dafür, dass die Patientinnen und Patienten überleben, und geben ihr Bestes“, schreiben die MKK.